Über zwei Jahrzehnte ist es her, dass Ensemble Studios mit Age of Mythology einen mutigen Schritt wagte und die bewährte Age of Empires-Formel mit mythologischen Elementen erweiterte. Damals, im Jahr 2002, waren Echtzeitstrategiespiele auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, und dieser Ableger der erfolgreichen Reihe brachte frischen Wind ins Genre. Statt ausschließlich historischer Schlachten wartete das Spiel mit Göttern, Helden und mythischen Kreaturen auf – eine Kombination, die sofort begeisterte. Nach der 2014 erschienenen Extended Edition, die eher eine technische Auffrischung darstellte, haben sich nun World’s Edge, Forgotten Empires, Tantalus Media und weitere Studios der Herausforderung gestellt, dem Klassiker eine echte Neuauflage zu spendieren. Das Ergebnis trägt den bezeichnenden Titel Retold und verspricht, die Geschichte neu zu erzählen – mit moderner Technik und zeitgemäßen Gameplay-Anpassungen. Ob diese Götter-Rückkehr auch 2024 noch überzeugen kann und was genau dieses Remake zu bieten hat, klären wir in diesem ausführlichen Test.
Götter, Helden und eine epische Reise
Die Kampagne von Age of Mythology Retold bleibt der Vorlage treu und erzählt erneut die Geschichte des atlantischen Admirals Arkantos. Der Held wird von Visionen heimgesucht und begibt sich auf eine weitreichende Reise, die ihn von der Belagerung Trojas über die Weiten Ägyptens bis in die frostigen Gefilde der Nordmänner führt. Unterwegs muss er nicht nur den Machenschaften des Zyklopen Gargarensis Einhalt gebieten, sondern gerät auch zwischen die Fronten intriganter Götter und mächtiger Titanen.
Was die Kampagne so besonders macht, ist ihre Vielfalt. Über 50 Missionen verteilen sich auf mehrere Erzählstränge, die alle miteinander verwoben sind. Dabei wechseln die Spieler zwischen den verschiedenen Kulturen – Griechen, Ägypter, Nordmänner und Atlanter – und erleben so unterschiedliche Spielstile. Die Missionen selbst sind abwechslungsreich gestaltet und beschränken sich nicht auf das übliche „Basis aufbauen, Armee ausheben, Feind vernichten“-Schema. Mal muss man mit nur wenigen Einheiten durch feindliches Gebiet schleichen, dann wieder gilt es, eine Stadt gegen Wellen von Angreifern zu verteidigen oder zeitkritische Ziele zu erreichen. Diese Vielfalt sorgt dafür, dass die Kampagne auch nach vielen Stunden nicht langweilig wird.
Die Entwickler haben die Kampagne für Retold komplett neu vertont. Die deutschen Sprecher leisten durchweg gute Arbeit und verleihen den Charakteren Leben, auch wenn manch ein Veteran der Originalfassung den etwas schmalzigeren Charme der alten Synchronisation vermissen mag. Objektiv betrachtet ist die neue Vertonung jedoch professioneller und zeitgemäßer – passend zum aufpolierten Look des gesamten Spiels.
Vier Kulturen, unzählige Strategien
Das Herzstück von Age of Mythology Retold bildet nach wie vor das klassische Echtzeitstrategie-Gameplay. Ressourcen sammeln, Gebäude errichten, Technologien erforschen und Armeen aufstellen – wer die Age of Empires-Reihe kennt, fühlt sich sofort heimisch. Doch Age of Mythology fügt dieser bewährten Formel eine entscheidende Zutat hinzu: die Götter und ihre mythischen Kreaturen.
Zu Beginn jeder Partie wählt man eine der vier Kulturen und einen Hauptgott aus. Diese Wahl bestimmt nicht nur, welche besonderen Fähigkeiten zur Verfügung stehen, sondern prägt den gesamten Spielstil. Die Griechen etwa setzen auf disziplinierte Phalanxen und können Helden wie Herakles oder Odysseus ins Feld führen. Die Ägypter verfügen über mächtige Priester, die Göttergunst erwirtschaften und Gegner in harmlose Schweine verwandeln können. Die Nordmänner wiederum sind aggressiv und können ihre Einheiten durch das Sammeln von Göttergunst auf dem Schlachtfeld verstärken. Die Atlanter schließlich spielen sich gänzlich anders, da ihre Dorfbewohner nicht kämpfen können, dafür aber Citizens als vielseitige Einheiten fungieren.
Bei jedem Zeitalteraufstieg wählt man zudem einen von zwei untergeordneten Göttern, was weitere Einheiten, Technologien und vor allem Götterkräfte freischaltet. Diese göttlichen Fähigkeiten sind das Salz in der Suppe und unterscheiden Age of Mythology maßgeblich von anderen Echtzeitstrategiespielen. Ob man nun einen Blitzsturm auf die feindliche Armee niedergehen lässt, ein Erdbeben verursacht oder heilenden Regen beschwört – die Götterkräfte können das Blatt einer Schlacht entscheidend wenden.
Was Retold besser macht
Die Entwickler haben sich nicht damit begnügt, lediglich die Grafik aufzupolieren. Retold bringt zahlreiche durchdachte Änderungen mit, die das Spielerlebnis spürbar verbessern, ohne den Kern des Originals zu verfälschen.
Die markanteste Neuerung betrifft die Götterkräfte selbst. Während diese im Original nur ein einziges Mal pro Partie einsetzbar waren – was oft dazu führte, dass Spieler sie bis zum Spielende aufhoben und am Ende gar nicht nutzten – funktionieren sie in Retold nun mit Cooldown-Zeiten. Man kann sie mehrfach verwenden, muss aber zwischen den Einsätzen warten und jedes Mal Göttergunst investieren. Diese Änderung macht die coolsten Features des Spiels tatsächlich nutzbar und eröffnet neue taktische Möglichkeiten.
Das Bevölkerungslimit wurde von 100 auf 160 Einheiten erhöht, was größere Armeen und epischere Schlachten ermöglicht. Dazu kommt ein komplett neues Zeitalter: das Wunder-Zeitalter. Dieses wird freigeschaltet, sobald man ein Wunder fertiggestellt hat, und sorgt für ein explosives Endgame. Die Kosten für Götterkräfte sinken drastisch, Titanen und mythische Einheiten werden stärker, und das strategische Chaos erreicht seinen Höhepunkt. Genau diese Art von spektakulärem Finale macht Age of Mythology so besonders.
Auch an der Zugänglichkeit wurde gearbeitet. Ein optionales Dorfbewohner-Automatisierungssystem nimmt Spielern viel Mikromanagement ab, indem es automatisch Ressourcen sammelt und Aufgaben verteilt. Das System funktioniert nicht immer perfekt – gelegentlich stehen Arbeiter untätig herum – doch für Einsteiger oder Spieler, die sich auf die großen strategischen Entscheidungen konzentrieren möchten, ist es eine willkommene Hilfe. Veteranen können natürlich weiterhin alles manuell steuern.
Für Xbox-Spieler besonders relevant: Retold bietet eine hervorragende Controller-Unterstützung. Radialmenüs, durchdachte Tastenbelegungen und angepasste UI-Elemente sorgen dafür, dass das Spiel auch auf der Konsole flüssig von der Hand geht. Zwar bleibt die Kombination aus Maus und Tastatur die präziseste Steuerungsmethode, doch die Controller-Umsetzung gehört zum Besten, was das Genre auf Konsolen zu bieten hat.
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Wenn die Götter erstrahlen
Optisch hat Age of Mythology Retold einen gewaltigen Sprung gemacht. Jede Einheit, jedes Gebäude und jede Umgebung wurde von Grund auf neu erstellt. Die Modelle sind detailreich, die Animationen flüssig, und Partikeleffekte verleihen den mythischen Fähigkeiten die nötige Wucht. Besonders beeindruckend sind die Wassereffekte und die dynamische Beleuchtung, die den Schauplätzen Leben einhauchen.
Dabei haben die Entwickler den Look des Originals respektiert und modernisiert, statt ihn zu verfälschen. Die Proportionen der Einheiten, die Farbpalette und der generelle künstlerische Stil bleiben erkennbar, sehen aber aus, als hätte man eine vergilbte Erinnerung durch eine Zeitmaschine geschickt und in brillanter Auflösung zurückbekommen. Auf maximalen Grafikeinstellungen ist das Spiel eine Augenweide – wenngleich es natürlich nicht mit den Budget-Monstern von AAA-Studios mithalten kann.
Soundtechnisch überzeugt Retold ebenfalls. Der Soundtrack wurde vollständig neu orchestriert und transportiert die mythologische Atmosphäre gekonnt. Die Klänge von Schwertern, die auf Schilde krachen, das Gebrüll von Minotauren oder das Donnern herabstürzender Meteore – all das klingt satt und kraftvoll. Die Umgebungsgeräusche runden das Bild ab und sorgen dafür, dass sich jede der vier Kulturen auch akustisch unterscheidbar anfühlt.
Mehrspieler und Wiederspielwert
Neben der umfangreichen Kampagne bietet Age of Mythology Retold zahlreiche weitere Modi. Im Skirmish-Modus treten Spieler gegen die KI an, wobei über 40 Maps zur Verfügung stehen. Die künstliche Intelligenz wurde gegenüber dem Original verbessert, zeigt aber nach wie vor Schwächen. Gerade auf höheren Schwierigkeitsgraden spielt sie zwar durchaus fordernd, doch ihre Wegfindung und taktischen Entscheidungen lassen gelegentlich zu wünschen übrig.
Der Online-Multiplayer ist das Kernstück für alle, die langfristig am Ball bleiben möchten. Hier zeigt sich die strategische Tiefe des Spiels in vollem Umfang. Die Balance zwischen den Kulturen und Göttern wurde sorgfältig überarbeitet, und regelmäßige Updates sorgen für weitere Anpassungen. Wer sich in der kompetitiven Szene beweisen will, findet hier ein faires und spannendes Umfeld vor.
Ein besonderes Highlight ist der neue Arena-der-Götter-Modus, der im November 2024 nachgereicht wurde. Hier schlüpft man in die Rolle des Helden Kastor und absolviert 35 zufallsgenerierte Szenarien mit besonderen Herausforderungen und Belohnungen. Der Modus kann solo oder kooperativ gespielt werden und bietet eine erfrischende Alternative zu den klassischen Matches.
Natürlich darf auch der Szenario-Editor nicht fehlen. Dieser erlaubt es der Community, eigene Maps und Kampagnen zu erstellen. Die Modding-Unterstützung ist umfassend, und erste kreative Projekte sind bereits verfügbar. Wer früher mit dem Editor experimentiert hat, wird sich freuen: Er ist intuitiver und mächtiger als je zuvor.
Erweiterungen und Zukunft
Die Basis-Version von Age of Mythology Retold umfasst die vier klassischen Kulturen. Die Chinesen, die 2014 mit dem Tale of the Dragon-DLC hinzukamen, sind nicht im Hauptspiel enthalten. Allerdings wurde bereits angekündigt, dass im März 2025 die Erweiterung „Immortal Pillars“ erscheinen wird, die das chinesische Pantheon in überarbeiteter Form zurückbringt. Für September 2025 ist mit „Heavenly Spear“ eine zweite Erweiterung geplant, die erstmals eine komplett neue Kultur einführen soll: die Japaner. Mit 12 neuen Göttern, mythischen Yokai wie Kitsune und Tengu sowie einer eigenständigen Kampagne um die Bauerntochter Yasuko verspricht diese Erweiterung, das Spiel erheblich zu erweitern.
Wer die Premium Edition kauft, erhält beide kommenden Erweiterungen sowie den Freyr-Gottespack für die Nordmänner und exklusive Porträts. Für Langzeitspieler lohnt sich diese Investition, zumal Microsoft klar signalisiert hat, dass Retold langfristig unterstützt werden soll.
Die kleinen Makel
Bei allem Lob gibt es dennoch Kritikpunkte. Der Schwierigkeitsgrad der Kampagne fällt selbst auf mittleren Stufen überraschend hoch aus, was Einsteiger frustrieren kann. Zwar wurden nach Release mehrere Missionen entschärft, doch manche Szenarien erfordern nach wie vor mehrere Anläufe und ein solides Verständnis der Mechaniken.
Die KI-Gegner zeigen, wie erwähnt, immer wieder Schwächen bei der Wegfindung. Einheiten verheddern sich gelegentlich an Engstellen oder nehmen unnötig lange Umwege. Das betrifft sowohl eigene als auch feindliche Truppen und wirkt in einem ansonsten so polierten Remake anachronistisch.
Technisch läuft das Spiel auf dem PC größtenteils flüssig, allerdings gibt es je nach Grafikkarten-Hersteller Unterschiede. Nvidia-Nutzer haben das stabilste Erlebnis, während es auf AMD Radeon und Intel Arc vereinzelt zu Performance-Einbrüchen kommen kann. Diese Probleme sollten mit künftigen Patches behoben werden, schmälern aber aktuell noch das Gesamtbild.
Zu guter Letzt sei erwähnt, dass die Automatisierungssysteme nicht immer zuverlässig arbeiten. Dorfbewohner, die eigentlich automatisch Ressourcen sammeln sollten, verharren manchmal einfach an Ort und Stelle. Das ist nicht spielbrechend, aber ärgerlich – besonders in hektischen Gefechten, wo man sich auf die Automatik verlassen möchte.
Fazit zu Age of Mythology Retold
Age of Mythology Retold ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein Remake aussehen sollte. Die Entwickler haben die Essenz des 22 Jahre alten Originals bewahrt und gleichzeitig sinnvolle Modernisierungen vorgenommen. Die aufpolierte Grafik, die neu orchestrierte Musik und die durchdachten Gameplay-Anpassungen heben das Spiel auf einen zeitgemäßen Standard, ohne den Charme des Klassikers zu opfern.
Die Kampagne bietet dutzende Stunden packende Unterhaltung, der Multiplayer ist strategisch tiefgehend und fair balanciert, und die Community-Features versprechen Langzeitmotivation. Einsteiger finden dank zahlreicher Hilfestellungen und Tutorials einen angenehmen Einstieg, während Veteranen die taktische Komplexität zu schätzen wissen. Die Vielfalt der vier Kulturen und ihrer jeweiligen Götter sorgt für immensen Wiederspielwert, zumal jede Kombination sich völlig anders spielt.
Echtzeitstrategiespiele haben es heutzutage nicht leicht. Das Genre ist längst nicht mehr so populär wie zu seiner Blütezeit um die Jahrtausendwende. Umso erfreulicher ist es, dass Microsoft und die beteiligten Studios den Mut hatten, Age of Mythology diese liebevolle Neuauflage zu spendieren. Retold beweist, dass klassisches Basisbau-RTS mit großen Schlachten nach wie vor funktioniert und Spaß macht – vorausgesetzt, es wird mit Leidenschaft und Können umgesetzt.
Kleinere technische Probleme und die gelegentlich zickige KI trüben das Gesamtbild nur minimal. Was zählt, ist das große Ganze: Age of Mythology Retold ist nicht nur eine Hommage an einen Klassiker, sondern ein vollwertiges, zeitgemäßes Echtzeitstrategiespiel, das sowohl Nostalgiker als auch Neulinge begeistern kann. Wer schon immer mal Zyklopen, Hydren und Götter kommandieren wollte oder einfach nur Lust auf klassisches RTS-Gameplay hat, sollte unbedingt zugreifen. Die Götter haben gerufen – und diesmal in Hochglanz.










