Nach über einem Jahrzehnt unermüdlicher Fan-Forderungen ist es endlich soweit: Assassin’s Creed Shadows entführt uns in das feudale Japan der Sengoku-Periode. Ubisoft Quebec, das bereits mit Assassin’s Creed Odyssey und Syndicate überzeugte, wagte sich an das wohl meistgewünschte Setting der gesamten Franchise. Doch kann Shadows die astronomisch hohen Erwartungen erfüllen, oder bricht das Spiel unter dem Gewicht jahrelanger Vorfreude zusammen?
Die bewegte Entstehungsgeschichte von Shadows
Die Entwicklung von Assassin’s Creed Shadows begann bereits 2020, direkt nach dem Release von Valhalla. Ursprünglich unter dem Codenamen „Red“ angekündigt, war das Spiel Teil von Ubisofts großem Infinity-Projekt (später umbenannt in Animus Hub), das alle zukünftigen AC-Titel miteinander verbinden sollte.
Was das Projekt besonders machte: Zum ersten Mal in der Seriengeschichte entschied sich Ubisoft für zwei völlig unterschiedliche Protagonisten. Naoe, eine fiktive Shinobi aus der Iga-Provinz, sollte die klassischen Assassinen-Elemente verkörpern, während Yasuke, basierend auf der historischen Figur des afrikanischen Samurai, eine völlig neue Spielerfahrung bieten sollte.
Die Entwicklung war nicht ohne Kontroversen. Ursprünglich für November 2024 geplant, wurde Shadows zweimal verschoben – erst auf Februar 2025, schließlich auf März 2025. Ubisoft nahm sich diese zusätzliche Zeit, um auf Kritik einzugehen und das Spiel zu polieren. Besonders in Japan sorgte die Darstellung von Yasuke für Diskussionen, was Ubisoft dazu bewegte, bestimmte kulturell sensible Elemente anzupassen, wie die Zerstörbarkeit von Tempeln und die Darstellung von Gewalt in religiösen Stätten.
Story: Zwei Schicksale, eine Bestimmung
Assassin’s Creed Shadows spielt während der turbulenten Azuchi-Momoyama-Periode (1568-1603), einer der blutigsten und transformativsten Epochen der japanischen Geschichte. Das Spiel wirft uns mitten in die Machtkämpfe zwischen Oda Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und anderen Daimyo, die um die Einigung Japans kämpfen.
Die Geschichte beginnt mit Yasuke, der als Sklave portugiesischer Jesuiten nach Japan kommt und durch seine beeindruckende Statur und seinen Kampfgeist die Aufmerksamkeit von Oda Nobunaga erregt. Nobunaga nimmt ihn in seine Dienste und lässt ihn zum Samurai ausbilden – eine historisch belegte, aber umstrittene Tatsache, die Ubisoft geschickt für ihre Zwecke nutzt.
Parallel dazu erleben wir Naoes Geschichte. Als Shinobi aus der Iga-Provinz wird ihr Leben durch Yasuke und Nobunagas Feldzug gegen ihre Heimat zerstört. Ihr Vater stirbt in den Wirren des Krieges, und sie schwört Rache – ein klassischer Racheplot, der jedoch durch die excellente Charakterentwicklung und das politische Intrigenspiel an Tiefe gewinnt.
Was Shadows von anderen AC-Spielen unterscheidet: Die Assassinen-Templer-Konflikte treten deutlich in den Hintergrund. Stattdessen konzentriert sich das Spiel auf die historischen Machtkämpfe und die persönlichen Geschichten der Protagonisten. Die mysteriöse Shinbakufu-Organisation fungiert als Hauptantagonist – maskierte Figuren, die im Schatten die Fäden ziehen und für das Chaos verantwortlich sind.
Die Erzählung entwickelt sich langsam, aber stetig zu einem epischen Drama über Ehre, Verrat und die Kosten des Wandels. Besonders gelungen ist, wie das Spiel die unterschiedlichen Perspektiven von Yasuke (dem Außenseiter) und Naoe (der Einheimischen) nutzt, um verschiedene Facetten der japanischen Gesellschaft zu beleuchten.
Grafik: Ein visuelles Meisterwerk des feudalen Japan
Visuell ist Assassin’s Creed Shadows zweifellos eines der schönsten Spiele, die Ubisoft je geschaffen hat. Die Creation Engine 2 zeigt hier ihre vollen Fähigkeiten und erschafft ein atemberaubendes feudales Japan, das sowohl historisch authentisch als auch künstlerisch beeindruckend ist.
Die vier Jahreszeiten spielen eine zentrale Rolle in der visuellen Gestaltung. Kirschblüten im Frühling, grüne Reisfelder im Sommer, brennend rote Ahornwälder im Herbst und schneebedeckte Landschaften im Winter – jede Jahreszeit bringt ihre eigene Atmosphäre mit sich. Das dynamische Wettersystem sorgt dafür, dass sich die Welt lebendig anfühlt: Regentropfen perlen von Bambusblättern, Nebel wabert durch Gebirgstäler, und Schneeflocken tanzen im Licht der Laternen.
Die Architektur ist mit enormer Detailgenauigkeit umgesetzt. Von den imposanten Burgen wie Azuchi-jo mit ihren verschachtelten Verteidigungsanlagen bis hin zu bescheidenen Bauernhäusern – jedes Gebäude erzählt seine eigene Geschichte. Die Städte wie das geschäftige Hafen-Viertel Sakai oder die politische Hauptstadt Kyoto pulsieren vor Leben. Händler preisen ihre Waren an, Handwerker hämmern in ihren Werkstätten, und Geishas wandeln durch die Straßen.
Die Charaktermodelle haben einen deutlichen Sprung gegenüber Valhalla gemacht. Yasuke wird als imposante Gestalt dargestellt – über 1,80m groß in einer Zeit, als der durchschnittliche Japaner nur 1,60m maß. Seine gehörnte Rüstung verstärkt seine einschüchternde Erscheinung. Naoe hingegen wirkt zierlich und flink, ihre Bewegungen sind geschmeidig wie die einer Katze.
Besonders beeindruckend sind die Lichteffekte. Das Spiel mit Licht und Schatten ist nicht nur visuell reizvoll, sondern auch gameplay-relevant. Naoe kann Laternen löschen, um Schatten zu schaffen, sich zu verstecken – ein System, das endlich wieder echte Stealth-Mechaniken in die Serie bringt.
Sound: Die Seele Japans in Musik gefasst
Der Soundtrack von Lorne Balfe ist ein wahres Meisterwerk, das traditionelle japanische Instrumente wie Shakuhachi, Koto und Taiko-Trommeln mit orchestralen Arrangements verbindet. Die Musik fängt perfekt die Melancholie und Schönheit der Sengoku-Zeit ein – von meditativen Momenten in Zen-Gärten bis hin zu epischen Schlachtenhymnen.
Die englische Sprachausgabe ist durchweg hochwertig. Tongayi Chirisa verleiht Yasuke eine tiefe, autoritäre Stimme, die sowohl seine Stärke als auch seine inneren Konflikte transportiert. Laya DeLeon Hayes bringt Naoe mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit zum Leben. Die deutschen Untertitel sind präzise übersetzt und fangen die kulturellen Nuancen gut ein.
Die Umgebungsgeräusche verdienen besondere Erwähnung. Das Knarren von Bambusrohren im Wind, das Plätschern von Bergbächen, das metallische Singen von Katanas beim Ziehen – jedes Detail trägt zur Atmosphäre bei. In den Städten herrscht authentisches Treiben: Marktschreier, das Klappern von Pferdehufen auf Steinpflaster, und das ferne Echo von Tempelsingen.
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Gameplay: Zwei Krieger, zwei Welten
Das Gameplay von Shadows markiert eine Rückkehr zu den Wurzeln der Serie, kombiniert mit modernen RPG-Elementen. Das Dual-Protagonisten-System ist nicht nur narrativ interessant, sondern verändert fundamental, wie man das Spiel spielt.
Naoe: Die perfekte Shinobi
Naoe verkörpert alles, was Fans an klassischen Assassin’s Creed-Spielen geliebt haben. Ihre Stealth-Fähigkeiten sind die ausgereiftesten der gesamten Serie. Zum ersten Mal seit Jahren können Spieler wieder echte Schatten nutzen, um unsichtbar zu werden. Das Licht-und-Schatten-System funktioniert dynamisch: Naoe kann Laternen mit Shuriken zerstören, um Dunkelheit zu schaffen, sich in natürlichen Schatten verstecken oder sogar unter Gebäuden hindurchkriechen.
Ihre Beweglichkeit ist atemberaubend. Der Greifhaken ermöglicht flüssige Fortbewegung über Dächer und Wände. Sie kann sich an Seilen schwingen, bäuchlings robben und sogar zur Seite rollen, während sie am Boden liegt – eine Neuheit in der Serie. Ihre Kusarigama (Kettensichel) erlaubt spektakuläre Kampfkombinationen, die Geschwindigkeit und Präzision vereinen.
Das Arsenal umfasst klassische Ninja-Werkzeuge: Kunai für stille Fernkämpfe, Rauchbomben zum Verschwinden, Shinobi-Glocken zum Ablenken von Wachen, und natürlich die Versteckte Klinge für präzise Assassinationen.
Yasuke: Der Samurai mit Herz
Yasuke spielt sich völlig anders. Als Tank-Charakter kann er frontale Angriffe wagen, die Naoe sofort töten würden. Seine Katana-Kampfkunst folgt authentischen Samurai-Techniken – jeder Schwung ist kalkuliert, jeder Block eine Kunst. Seine Langschwert-Kombos sind vernichtend gegen gepanzerte Gegner.
Interessant ist, dass Yasuke durchaus Stealth-Optionen hat, diese aber komödiantisch umgesetzt sind. Er ist zu groß für die meisten Verstecke, seine Rüstung klappert verräterisch, und beim Unterwassertauchen taucht er sofort wieder auf, weil er „ungern das Gesicht unter Wasser hat“. Diese Beschränkungen sind nicht frustrierend, sondern unterstreichen seinen Charakter.
Seine Fernkampf-Fähigkeiten sind überraschend stark. Mit dem Bogen kann er Gegner aus der Distanz ausschalten, und seine Brutal-Assassinations sind zwar laut, aber verheerend effektiv.
Das Erkunden Japans
Die Spielwelt umfasst mehrere Provinzen mit unterschiedlichen Charakteristika. Iga ist gebirgig und perfekt für Stealth-Gameplay, Yamato bietet dichte Wälder und politische Intrigen, während Ōmi mit seinen weitläufigen Reisfeldern ideal für Yasuke’s direkten Ansatz ist.
Das Erkundungssystem wurde überarbeitet. Statt eines Adlers müssen Spieler ihre eigenen Sinne verwenden. Observe-Modus und Adlersicht können kombiniert werden, um Feinde durch Wände zu markieren. Das Scouting-System verlangt von Spielern, Hinweise zu sammeln und Ziele zu lokalisieren, anstatt sie einfach auf der Karte zu markieren.
Progression und Charakterentwicklung
Jeder Charakter hat eigene Skillbäume: Naoe konzentriert sich auf Assassinen-Fähigkeiten, während Yasuke Samurai-Techniken entwickelt. Die Waffen-Upgrades sind umfangreich – von verschiedenen Katana-Arten bis hin zu spezialisierten Shinobi-Werkzeugen.
Das Rüstungssystem beeinflusst nicht nur die Defensive, sondern auch das Gameplay. Schwere Rüstung macht Yasuke noch lauter, während leichte Kleidung Naoe’s Beweglichkeit verstärkt.
Die Welt des Sengoku-Japan
Assassin’s Creed Shadows präsentiert Japan in einer seiner faszinierendsten Epochen. Die Sengoku-Zeit (1467-1615) war geprägt von ständigen Kriegen, politischen Intrigen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Das Spiel fängt diese Atmosphäre perfekt ein.
Die historischen Figuren sind liebevoll umgesetzt. Oda Nobunaga wird als visionärer, aber rücksichtsloser Anführer dargestellt, der Japan modernisieren will. Toyotomi Hideyoshi erscheint als cleverer Stratege, und selbst kleinere Daimyo haben eigene Persönlichkeiten und Motivationen.
Die sozialen Strukturen werden authentisch dargestellt. Das Klassensystem zwischen Samurai, Bauern, Handwerkern und Händlern spielt eine wichtige Rolle in Quests und Dialogen. Religiöse Konflikte zwischen Buddhismus, Shintoismus und dem aufkommenden Christentum sorgen für zusätzliche Spannung.
Technische Performance und Stabilität
Zum Launch lief Assassin’s Creed Shadows deutlich stabiler als viele andere Ubisoft-Titel. Auf PlayStation 5 und Xbox Series X/S erreicht das Spiel im Performance-Modus meist stabile 60fps, während der Quality-Modus 30fps mit verbesserter Grafik bietet.
Auf dem PC zeigt das Spiel seine Stärken bei entsprechender Hardware. Mit einer RTX 4090 und modernem Prozessor sind 4K bei High Settings problemlos möglich. Die Ray-Tracing-Implementierung ist besonders bei Spiegelungen auf Wasseroberflächen und in Rüstungen beeindruckend.
Kleinere Bugs sind noch vorhanden – gelegentlich bleiben NPCs in Animationen hängen oder Yasuke steckt in zu niedrigen Doorways fest. Diese Probleme sind aber meist amüsant statt frustrierend und werden kontinuierlich behoben.
Die Ladezeiten auf SSD sind angenehm kurz. Zwischen Regionen zu wechseln dauert selten länger als 10-15 Sekunden.
Langzeitmotivation und Wiederspielwert
Shadows bietet enormen Wiederspielwert. Die unterschiedlichen Spielstile von Naoe und Yasuke führen zu völlig verschiedenen Spielerfahrungen. Eine Mission als Naoe zu infiltrieren fühlt sich grundlegend anders an, als sie mit Yasuke frontal anzugehen.
Das New Game Plus-System erlaubt es, mit entwickelten Charakteren eine neue Reise zu beginnen, wobei bestimmte Story-Entscheidungen andere Konsequenzen haben können.
Side-Activities sind sinnvoller gestaltet als in früheren AC-Spielen. Haiku-Schreiben an malerischen Orten, Heißluftbad-Sessions für Charakterboni, oder Saké-Verkostungen mit lokalen Händlern – diese Aktivitäten verstärken die japanische Atmosphäre, anstatt nur Zeit zu verschwenden.
Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge
Trotz aller Stärken hat Shadows auch Schwächen. Das Dual-Protagonisten-System, obwohl innovativ, führt gelegentlich zu Pacing-Problemen. Manche Spieler bevorzugen deutlich einen Charakter und empfinden den Wechsel als störend.
Die KI der Gegner könnte intelligenter sein. Wachen vergessen oft zu schnell, dass gerade ihr Kollege verschwunden ist, und Alarm-Zustände werden unrealistisch schnell beendet.
Das Kampfsystem, obwohl verbessert, erreicht nicht die Präzision von spezialisierten Kampfspielen wie Ghost of Tsushima oder Sekiro. Besonders Yasuke’s Kämpfe können sich repetitiv anfühlen.
Das Free-Climbing, eine Stärke früherer AC-Spiele, wurde eingeschränkt. Beide Charaktere können nicht mehr jede Wand erklimmen, was manche Fans frustrieren könnte.
Vergleich zu anderen Japan-Spielen
Shadows muss sich unweigerlich mit anderen Japan-Spielen messen. Verglichen mit Ghost of Tsushima bietet es weniger filmreife Katana-Kämpfe, aber deutlich mehr historische Tiefe und RPG-Elemente. Sekiro bleibt in puncto Kampfmechanik überlegen, aber Shadows bietet mehr Freiheit und Erkundungsmöglichkeiten.
Die Nioh-Serie ist technisch komplexer, aber weniger zugänglich. Rise of the Ronin deckt eine spätere Periode ab, aber Shadows übertrifft es in Produktionswerten und narrativer Kohärenz.
Fazit: Der Japan-Traum wird endlich Realität
Assassin’s Creed Shadows ist das Japan-Spiel, auf das Fans seit über einem Jahrzehnt gewartet haben. Es ist nicht perfekt, aber es ist das bisher authentischste und atmosphärischste AC-Spiel seit den Zeiten von Ezio.
Die größten Stärken liegen in der Atmosphäre und der Charakterdifferenzierung. Wenn Naoe leise durch einen nächtlichen Tempel schleicht, während draußen der Regen auf Bambusblätter prasselt, oder wenn Yasuke in seiner vollen Rüstung einen Burghof betritt und alle Feinde ehrfürchtig zurückweichen – dann funktioniert Shadows perfekt.
Das Dual-Protagonisten-System ist gewagt und größtenteils erfolgreich. Statt zwei mittelmäßige Charaktere zu haben, bekommen wir zwei spezialisierte, authentische Erfahrungen.
Shadows rehabilitiert auch die Stealth-Mechaniken der Serie. Nach Jahren der RPG-Verwässerung kehrt endlich das zurück, was Assassin’s Creed einzigartig machte: die Kunst des unsichtbaren Tötens.
Für wen eignet sich Shadows? Für AC-Fans, die sich nach den klassischen Stealth-Elementen sehnen. Für Japan-Enthusiasten, die eine authentische Sengoku-Erfahrung suchen. Für RPG-Spieler, die komplexe Charakterentwicklung schätzen. Und besonders für alle, die sowohl die Anmut der Shinobi als auch die Macht der Samurai erleben möchten.
Bewertung: 9/10
Assassin’s Creed Shadows liefert nach Jahren der Experimente endlich wieder ein echtes Assassin’s Creed-Spiel ab, das sowohl Nostalgikern als auch Neulingen gerecht wird. Das feudale Japan war das Warten wert – Ubisoft hat ein Meisterwerk geschaffen, das die Serie wieder auf den richtigen Pfad bringt.
Für Fans von: Assassin’s Creed II-IV, Ghost of Tsushima, Nioh, The Last Samurai
Altersfreigabe: USK 16 (CERO Z in Japan)
Plattformen: PC, PlayStation 5, Xbox Series X/S
Spielzeit: 40-60 Stunden für die Hauptstory, 80+ Stunden für Completionists