Mit Avowed liefert Obsidian Entertainment nach einer längeren Entwicklungszeit ihr neuestes Werk ab und kehrt damit zu ihren Wurzeln als Meister des Fantasy-Rollenspiels zurück. Nach dem durchaus gelungenen Science-Fiction-Ausflug The Outer Worlds war die Erwartungshaltung entsprechend hoch, besonders da das Spiel im bereits etablierten Eora-Universum der Pillars of Eternity-Reihe angesiedelt ist. Ursprünglich für Herbst 2024 geplant, wurde Avowed auf Februar 2025 verschoben – nicht etwa wegen Qualitätsproblemen, sondern um den überfüllten Xbox-Release-Kalender zu entzerren, wie Phil Spencer später erklärte. Das war rückblickend eine kluge Entscheidung, denn so konnte das Spiel die volle Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient.
Von Beginn an merkt man Avowed die typische Obsidian-DNA an: Eine komplexe Welt voller politischer Intrigen, moralisch grauer Entscheidungen und Charaktere, die mehr sind als nur Queststeller mit Ausrufezeichen über dem Kopf. Das Studio hat sich einen Namen damit gemacht, Geschichten zu erzählen, die den Spieler zum Nachdenken bringen – und auch hier wird diese Tradition fortgeführt, wenn auch nicht ganz so konsequent wie in früheren Werken.
Story und Gameplay
In Avowed schlüpfen wir in die Rolle eines „Gottähnlichen“ Gesandten des Aedyr-Reiches, der in die mysteriösen Lebenden Lande geschickt wird, um eine geheimnisvolle Seuche namens Traumgeißel zu untersuchen. Diese Plage verwandelt Menschen und Tiere nicht nur in wahnsinnige Kreaturen, sondern lässt auch bunte Pilze aus ihren Körpern wachsen – ein verstörendes Bild, das durchaus seine beabsichtigte Wirkung erzielt. Als Gottähnlicher tragen auch wir diese Pilzwucherungen im Gesicht, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist, aber perfekt zur düsteren Atmosphäre der Welt passt.
Die Hauptquest führt uns durch etwa 35 Stunden Spielzeit und erzählt eine Geschichte, die zwar solide ist, aber nicht ganz an die Höhepunkte von Fallout: New Vegas oder die ersten Pillars of Eternity-Teile heranreicht. Obsidian versteht es nach wie vor, komplexe politische Verhältnisse zu erschaffen – hier zwischen dem imperialistischen Aedyr-Reich und den unabhängigen Bewohnern der Lebenden Lande – aber die großen emotionalen Momente bleiben leider aus. Trotzdem gibt es genügend interessante Nebenquests und Charaktermomente, die zeigen, dass hier Profis am Werk waren.
Das Gameplay zeigt sich wesentlich dynamischer als in vielen anderen First-Person-RPGs. Das Kampfsystem ist definitiv das Herzstück von Avowed und hier hat Obsidian endlich einmal ein System erschaffen, das genauso gut funktioniert wie ihre Dialoge. Mit zwei umschaltbaren Loadouts können wir blitzschnell zwischen verschiedenen Kampfstilen wechseln – vom Axt schwingenden Nahkämpfer zum Magie schleudernden Zauberer in Sekundenschnelle. Diese Flexibilität macht jeden Kampf zu einem kleinen taktischen Puzzle: Soll ich den Ork mit dem Schwert attackieren oder lieber mit dem Blitzzauber auf Distanz halten? Die Entscheidung liegt komplett beim Spieler.
Besonders das Magiesystem verdient Lob. Anstatt uns auf wenige Standardzauber zu beschränken, haben wir durch die Grimoire-Mechanik stets Zugriff auf eine große Bandbreite an Sprüchen. Das führt dazu, dass man tatsächlich experimentiert und nicht, wie in vielen anderen Spielen, bei den zwei wirkungsvollsten Zaubern hängen bleibt. Ein Ausdauersystem sorgt dafür, dass man nicht einfach wild um sich schlagen kann, sondern seine Aktionen durchdenken muss.
Die Welt selbst besteht nicht aus einer riesigen offenen Karte, sondern aus mehreren miteinander verbundenen Gebieten – ein Ansatz, der sich bewährt hat. Jedes Gebiet ist handwerklich liebevoll gestaltet und steckt voller Geheimnisse, optionaler Dungeons und versteckter Schätze. Die Erkundung fühlt sich nie wie Zeitverschwendung an, da praktisch überall interessante Dinge zu entdecken sind.
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Grafik
Visuell macht Avowed eine durchaus gute Figur, auch wenn es nicht zu den absoluten Grafik-Schwergewichten zählt. Die Lebenden Lande präsentieren sich als farbenprächtige, fast schon psychedelische Landschaft, in der die kontrastierenden Pilzwucherungen der Traumgeißel eine beklemmende Note setzen. Besonders die Umgebungsgestaltung kann überzeugen – von verfallenen Ruinen bis hin zu lebendigen Siedlungen wirkt alles stimmig und durchdacht.
Ray Tracing-Unterstützung und DLSS auf dem PC sorgen für beeindruckende Lichteffekte, besonders wenn die Sonne durch das dichte Blätterdach filtert oder Fackeln in dunklen Höhlen flackern. Die Charaktermodelle sind solide gearbeitet, auch wenn die Gesichtsanimationen manchmal etwas steif wirken können. Das ist besonders in wichtigen Dialogszenen bemerkbar, stört aber den Gesamteindruck nicht nachhaltig.
Weniger gelungen sind leider die Performance-Aspekte. Besonders auf der Xbox Series X kommt es in grafisch anspruchsvollen Bereichen zu merklichen Framerate-Einbrüchen, und auch auf dem PC sollte man mit einem potenten System rechnen, um das Spiel in voller Pracht zu erleben. Hier zeigt sich, dass eine weitere Verschiebung dem Spiel vielleicht gut getan hätte.
Sound
Akustisch liefert Avowed eine durchweg solide Leistung ab. Der Soundtrack ist atmosphärisch passend, ohne aufdringlich zu werden, und unterstützt perfekt die jeweilige Stimmung der verschiedenen Gebiete. Besonders die Umgebungsgeräusche verdienen Lob – das Rascheln im Unterholz, das Knacken von Ästen oder das unheimliche Flüstern des Windes in verfluchten Ruinen tragen erheblich zur Immersion bei.
Die englische Sprachausgabe ist erstklassig besetzt und auch die deutschen Untertitel sind sehr gut lokalisiert. Leider gibt es keine deutsche Synchronisation, was bei einem Dialog-lastigen Obsidian-Spiel durchaus schmerzt. Gerade bei längeren Gesprächen mit wichtigen NPCs wäre eine deutsche Sprachausgabe wünschenswert gewesen, um sich voll auf die komplexen politischen Diskussionen einlassen zu können.
Die Kampfgeräusche sind wuchtig und vermitteln ein gutes Gefühl für das Gewicht der Waffen. Zaubersprüche klingen magisch und bedrohlich zugleich, ohne dabei übertrieben oder kitschig zu wirken.
Game Pass und Premium Edition
Ein großer Pluspunkt ist die Verfügbarkeit im Xbox Game Pass vom ersten Tag an. Für Abonnenten ist Avowed damit praktisch ein kostenloses Geschenk und rechtfertigt allein schon eine Mitgliedschaft für einige Monate. Für 70 Euro als Vollpreis ist das Spiel durchaus angemessen bewertet, auch wenn es nicht ganz die Spieldauer von Konkurrenz-Titeln erreicht.
Die Premium Edition für 90 Euro bietet einige Bonus-Skins und digitale Extras, ist aber insgesamt eher unspektakulär. Wer bereits fünf Tage früher spielen wollte, konnte das mit der Premium-Ausgabe ab dem 13. Februar 2025 tun – ein nettes Feature für ungeduldige Fans.
Fazit zu Avowed
Avowed ist ein typisches Obsidian-Spiel geworden – mit allen Stärken und Schwächen, die das mit sich bringt. Die Stärken überwiegen dabei deutlich: Das Kampfsystem ist endlich einmal so gut wie die Dialoge, die Welt ist interessant und dicht erzählt, und die Charakterentscheidungen haben tatsächlich spürbare Auswirkungen. Es ist ein Spiel, das Respekt vor der Intelligenz des Spielers zeigt und nicht alles vorkaut.
Die Schwächen sind allerdings auch unverkennbar: Performance-Probleme, eine Story die zwar gut, aber nicht herausragend ist, und das Gefühl, dass hier manchmal das gewisse Etwas fehlt, das Obsidians beste Werke ausmacht. Avowed ist ein sehr gutes Spiel, aber kein Meisterwerk.
Wer bereits Fan von Obsidians Arbeiten ist, wird an Avowed definitiv seine Freude haben. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass das Studio ein Fantasy-RPG in der ersten Person gewagt hat, und das Experiment ist größtenteils gelungen. Die 35 Stunden vergehen wie im Flug, und ich erwische mich bereits dabei, über einen zweiten Durchlauf nachzudenken, um andere Entscheidungen zu treffen.
Für Rollenspieler, die Wert auf komplexe Entscheidungen, flexibles Kampfsystem und durchdachtes Worldbuilding legen, ist Avowed eine klare Empfehlung – besonders im Game Pass. Es mag nicht das nächste Skyrim sein, aber es ist definitiv das bessere Skyrim, das wir 2025 bekommen haben.