Baldurs Gate II:_Schatten_von_Amn

[Review] Baldur’s Gate 2: Shadows of Amn

Mit Baldur’s Gate 2: Shadows of Amn liefert BioWare den heiß erwarteten Nachfolger zu einem der besten Rollenspiele aller Zeiten ab. Nach dem überragenden Erfolg des ersten Teils waren die Erwartungen entsprechend hoch – und BioWare hat nicht nur geliefert, sondern sogar noch einen draufgesetzt. Das kanadische Entwicklerstudio hat sich bereits mit dem ersten Baldur’s Gate einen Namen als Meister des computergestützten Rollenspiels gemacht, doch mit dem Nachfolger wird deutlich: Hier entsteht gerade ein neuer Standard für das gesamte Genre.

Von der ersten Minute an wird klar, dass BioWare aus den Erfahrungen des Vorgängers gelernt hat. Während der erste Teil noch etwas behäbig startete und neue Spieler sanft in die komplexe Welt von Dungeons & Dragons einführte, geht Shadows of Amn direkt in medias res. Man erwacht in einem düsteren Kerker, gefangen von dem mysteriösen Magier Irenicus (großartig vertont von David Warner, bekannt aus Titanic und Star Trek), und muss sich Schritt für Schritt aus dieser misslichen Lage befreien. Was folgt, ist eine Reise durch die Forgotten Realms, die ihresgleichen sucht.

Die Story von Baldur’s Gate 2

Die Geschichte von Shadows of Amn knüpft nahtlos an die Ereignisse des ersten Teils an, kann aber auch ohne Vorkenntnisse gespielt werden – wenngleich Veteranen natürlich deutlich mehr emotionale Verbindung zu den Charakteren und Ereignissen aufbauen werden. Nach den dramatischen Ereignissen am Ende des ersten Baldur’s Gate findet sich der Protagonist in der Millionenstadt Athkatla wieder, einer brodelnden Metropole voller Intrigen, Geheimnisse und Gefahren.

Was BioWare hier abliefert, ist nichts weniger als eine interaktive Fantasy-Saga von epischen Ausmaßen. Die Hauptquest um die Verfolgung des Antagonisten Irenicus und die Rettung der entführten Imoen ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die wahre Stärke von Baldur’s Gate 2 liegt in den unzähligen Nebengeschichten, Charakterentwicklungen und moralischen Dilemmata, die den Spieler vor schwerwiegende Entscheidungen stellen. Jeder Gefährte hat seine eigene, vielschichtige Hintergrundgeschichte, die sich über den gesamten Spielverlauf entwickelt und zu emotionalen Höhepunkten führt.

Besonders beeindruckend ist die Art, wie BioWare mit dem Konzept der Nachkommenschaft Bhaals umgeht. Der Protagonist ist ein Kind des Todesgottes, und diese göttliche Abstammung bringt sowohl Fluch als auch Segen mit sich. Die moralischen Entscheidungen haben spürbare Auswirkungen nicht nur auf die Geschichte, sondern auch auf die Charakterentwicklung. Will man der Dunkelheit in sich nachgeben oder den schweren Weg des Guten gehen? Diese Fragen durchziehen das gesamte Spiel und sorgen für eine emotionale Tiefe, die in Computerspielen selten erreicht wird.

Gameplay und Kampfsystem

Das Herzstück von Baldur’s Gate 2 ist das auf Dungeons & Dragons 2nd Edition basierende Regelwerk, das BioWare nahezu perfekt in Echtzeit mit Pause umgesetzt hat. Neulinge mögen zunächst von der Komplexität des Systems überwältigt sein – THAC0-Werte, Rüstungsklassen, Resistenzen und Immunitäten wollen verstanden werden. Doch wer sich die Zeit nimmt, sich in die Materie einzuarbeiten, wird mit einem der tiefgreifendsten und taktischsten Kampfsysteme belohnt, das jemals in einem Computerspiel implementiert wurde.

Die Kämpfe in Baldur’s Gate 2 sind wahre Schachpartien. Besonders die Magierduelle erreichen eine strategische Tiefe, die ihresgleichen sucht. Verschiedene Zaubersprüche können sich gegenseitig aufheben, Schutzsprüche müssen in der richtigen Reihenfolge entfernt werden, und ein falsch getimter Feuerball kann die eigene Party in Rauch aufgehen lassen. Das Pausensystem ist dabei nicht nur hilfreich, sondern essentiell – ohne die Möglichkeit, das Geschehen anzuhalten und Befehle zu erteilen, wären viele der späteren Kämpfe schlichtweg unlösbar.

Was das Spiel besonders auszeichnet, ist die Vielfalt der Lösungsansätze. Fast jede Situation kann auf verschiedene Weise gemeistert werden – durch rohe Gewalt, clevere Magie, Schleichen oder sogar Verhandlung. Die Klassenwahl hat enormen Einfluss auf das Spielerlebnis. Ein Magier spielt sich fundamental anders als ein Kämpfer, und die verschiedenen Kits (Spezialisierungen) bieten noch mehr Variationsreichtum.

Die Charakterentwicklung ist ein Fest für Taktik-Fans. Jeder Stufenaufstieg will wohl überlegt sein, neue Zaubersprüche müssen ausgewählt werden, und die richtige Ausrüstung kann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Dabei ist das Spiel fair – auch vermeintlich schwächere Charakterklassen haben ihre Daseinsberechtigung und einzigartige Fähigkeiten.

Die Gefährten – Charaktere mit Seele

Eine der größten Stärken von Baldur’s Gate 2 sind zweifelsohne die Gefährten. Jeder NPCs, der sich der Party anschließen kann, ist ein vollständig ausgearbeiteter Charakter mit eigener Persönlichkeit, Motivation und Entwicklung. Da wären Minsc, der durchgeknallte Berserker mit seinem Hamster Boo, der bereits im ersten Teil die Herzen der Spieler eroberte. Jaheira, die Druide und ehemalige Mentorfigur, die mit dem Verlust ihres Ehemanns kämpft. Oder Yoshimo, der charmante Dieb mit einem dunklen Geheimnis.

Besonders hervorzuheben ist Irenicus als Antagonist. David Warner haucht der Figur eine eiskalte Bedrohlichkeit ein, die unter die Haut geht. Dieser Magier ist nicht einfach nur böse – er ist von Rache und Verzweiflung getrieben, was ihn zu einem der faszinierendsten Schurken der Spielegeschichte macht. Seine Motivation wird nach und nach enthüllt und macht ihn trotz seiner Taten auf bizarre Weise nachvollziehbar.

Die Interaktionen zwischen den Charakteren sind dabei nicht nur oberflächliches Geplänkel. Gefährten können sich streiten, verlieben sich ineinander oder verlassen sogar die Gruppe, wenn ihre Weltanschauung zu sehr von der des Protagonisten abweicht. Diese Dynamik sorgt dafür, dass sich jeder Spieldurchgang anders anfühlt, je nachdem, welche Charaktere man mitnimmt.

Grafik und Präsentation

Optisch setzt Baldur’s Gate 2 auf den bewährten Infinity Engine, die bereits im Vorgänger überzeugte. Die isometrische Perspektive ermöglicht es, auch größere Schlachten übersichtlich darzustellen, während die handgemalten Hintergründe für eine stimmungsvolle Atmosphäre sorgen. Besonders die Stadt Athkatla ist ein wahres Kunstwerk – jeder Stadtteil hat seinen eigenen Charakter, von den noblen Vierteln bis hin zu den düsteren Docks.

Die Zwischensequenzen sind zwar sparsam eingesetzt, dafür aber umso wirkungsvoller. Die Eingangssequenz, in der Irenicus seine finsteren Experimente durchführt, brennt sich ins Gedächtnis ein und setzt den Ton für das gesamte Abenteuer.

Was die technische Umsetzung angeht, läuft das Spiel auf aktueller Hardware flüssig und stabil. Die Ladezeiten sind erträglich, und größere Bugs sind mir während meiner über 60 Stunden Spielzeit nicht aufgefallen. BioWare hat hier saubere Arbeit geleistet.

Sound und Vertonung

Audiovisuell ist Baldur’s Gate 2 eine Wucht. Der Soundtrack von Michael Hoenig ist schlichtweg brillant und unterstreicht perfekt die verschiedenen Stimmungen des Spiels. Von der melancholischen Taverne bis hin zu den heroischen Kampfhymnen – jeder Track sitzt und verstärkt die Immersion erheblich.

Die Sprachausgabe ist durchweg hochklassig besetzt. Neben David Warner als Irenicus glänzen auch die Sprecher der Gefährten mit authentischen und charakteristischen Stimmen. Minsc‘ markige Sprüche („Butt-kicking for goodness!“) sind bereits jetzt Kult, und auch die leiseren Töne, etwa bei Jaheiras nachdenklichen Momenten, werden perfekt transportiert.

Die deutschen Untertitel sind akkurat übersetzt und fangen den Ton des Originals gut ein, auch wenn manche der markanten englischen Phrasen in der Übersetzung etwas von ihrem Charme verlieren.

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Spielumfang und Wiederspielwert

Mit einer Spieldauer von 60-100 Stunden (je nach Gründlichkeit und Schwierigkeitsgrad) bietet Baldur’s Gate 2 einen schier unendlichen Spielumfang. Das Spiel steckt voller optionaler Inhalte – von den Stronghold-Quests, die je nach Charakterklasse völlig unterschiedlich ausfallen, bis hin zu versteckten Bereichen und geheimen Begegnungen.

Der Wiederspielwert ist enorm. Verschiedene Charakterklassen, unterschiedliche Moralvorstellungen und alternative Gefährten-Kombinationen sorgen dafür, dass auch der dritte oder vierte Durchgang noch neue Überraschungen bereithält. Besonders die Romanze-Optionen mit verschiedenen NPCs verleihen dem Spiel eine sehr persönliche Note.

Die Modding-Community hat bereits begonnen, das Spiel zu erweitern, und die mitgelieferten Editor-Tools versprechen noch jahrelangen zusätzlichen Content von Fans für Fans.

Kleine Kritikpunkte

Bei all dem Lob dürfen ein paar Kritikpunkte nicht verschwiegen werden. Der Einstieg ist für Rollenspiel-Neulinge brutal – das Spiel erklärt die komplexen D&D-Regeln nur oberflächlich und wirft einen direkt ins kalte Wasser. Wer sich nicht die Zeit nimmt, das dicke Handbuch zu studieren, wird schnell frustriert aufgeben.

Manche Rätsel und Questlösungen sind sehr kryptisch und ohne Hilfsmittel kaum zu lösen. Hier hätte man sich etwas mehr Führung gewünscht, ohne gleich die Hand zu sehr zu halten.

Die Inventarverwaltung wird bei der schieren Masse an Gegenständen gelegentlich zur Geduldsprobe, und das Interface könnte an manchen Stellen etwas benutzerfreundlicher sein.

Fazit zu Baldur’s Gate 2: Shadows of Amn

Baldur’s Gate 2: Shadows of Amn ist nichts weniger als ein Meisterwerk des Rollenspiel-Genres. BioWare hat hier einen Standard gesetzt, an dem sich zukünftige CRPGs messen lassen müssen. Die Kombination aus epischer Storyline, tiefgreifendem Gameplay, unvergesslichen Charakteren und schier endlosem Spielumfang macht dieses Spiel zu einem Pflichtkauf für jeden RPG-Fan.

Wer bereit ist, Zeit und Geduld in das Erlernen der komplexen Mechaniken zu investieren, erhält dafür ein Spielerlebnis, das noch Jahre später nachwirkt. Baldur’s Gate 2 ist nicht nur ein Spiel – es ist eine Reise in eine Welt, die man nicht mehr verlassen möchte.

Dies ist das Rollenspiel, auf das wir alle gewartet haben. BioWare hat mit Shadows of Amn bewiesen, dass Computerspiele durchaus die Tiefe und emotionale Resonanz klassischer Fantasy-Literatur erreichen können. Ein absolutes Muss für jeden, der sich auch nur ansatzweise für das Genre interessiert.

Wertung: 95/100

Pro:

  • Epische, vielschichtige Story mit moralischen Dilemmata
  • Extrem tiefgreifendes, taktisches Kampfsystem
  • Unvergessliche, charakterstarke NPCs
  • Enormer Spielumfang und Wiederspielwert
  • Brillanter Soundtrack und erstklassige Vertonung
  • Unzählige Lösungswege und Charakterentwicklungsmöglichkeiten

Contra:

  • Sehr steile Lernkurve für Einsteiger
  • Teilweise kryptische Questlösungen
  • Interface könnte benutzerfreundlicher sein
  • Inventarverwaltung wird bei vielen Items unübersichtlich

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