Als Larian Studios 2019 die Übernahme der Baldur’s Gate-Lizenz ankündigte, war ich sofort dabei. Nicht nur, weil ich bereits die Divinity: Original Sin-Spiele gespielt und ihre Qualität zu schätzen gelernt hatte, sondern auch weil ich natürlich ein großer Fan von Baldur’s Gate (1998) und Baldur’s Gate 2 (2000) bin – die Aussicht auf eine moderne D&D-Umsetzung war daher einfach zu verlockend. Also habe ich Baldur’s Gate 3 von Beginn an über Crowdfunding unterstützt und den Early Access über drei Jahre hinweg aufmerksam verfolgt. Jetzt, nach dem finalen Release am 3. August 2023, kann ich mit Gewissheit sagen: Das Warten hat sich gelohnt – und wie!
Mit Baldur’s Gate 3 liefert Larian Studios nicht nur den würdigen Nachfolger zu BioWares Klassikern aus den späten 90ern, sondern setzt gleichzeitig neue Maßstäbe für das gesamte CRPG-Genre. Was als ambitioniertes Early Access-Projekt begann, ist zu einem wahren Monumentalwerk geworden, das sowohl Veteranen als auch Neueinsteiger gleichermaßen begeistern wird.
Story und Charaktere
Die Geschichte beginnt unspektakulär: Wir erwachen auf einem Gedankenschinder-Schiff mit einem Parasiten im Kopf, der uns binnen weniger Tage in einen Mind Flayer verwandeln wird. Was zunächst wie ein klassischer „Rette-die-Welt“-Plot klingt, entpuppt sich jedoch schnell als weitaus komplexeres Narrativ, das geschickt zwischen persönlichen Dramen und epischen Ereignissen jongliert.
Das wahre Genie liegt jedoch in der Art, wie Larian die D&D 5E-Regeln nicht nur übernommen, sondern perfekt in ein digitales Medium übertragen hat. Jeder Dialog, jede Entscheidung, jeder Würfelwurf fühlt sich an wie eine echte Pen & Paper-Session mit einem außergewöhnlich kreativen Dungeon Master. Die Tatsache, dass man buchstäblich mit jedem NPC sprechen kann – und dabei oft überraschende Reaktionen erhält – verleiht der Welt eine Lebendigkeit, die ich so seit den alten Black Isle-Titeln nicht mehr erlebt habe.
Die Begleiter sind dabei keine simplen Questgeber oder Kampfunterstützung, sondern vollwertige Charaktere mit eigenen Motivationen, Geheimnissen und Charakter-Erzählbögen. Shadowheart, Astarion, Gale, Wyll und Lae’zel entwickeln sich über die gesamte Spielzeit hinweg weiter – abhängig von euren Entscheidungen und eurer Beziehung zu ihnen. Diese Entwicklung passiert nicht in isolierten Cutscenes, sondern organisch während der Reise, was für eine natürliche Gruppendynamik sorgt.
Gameplay und Kampfsystem
Nach drei Jahren Early Access hatte ich bereits einen guten Eindruck vom Kampfsystem, aber die finale Version übertrifft noch einmal alle Erwartungen. Das rundenbasierte Kampfsystem basiert auf D&D 5E und bietet eine Tiefe, die sowohl Strategiefans als auch Action-orientierte Spieler zufriedenstellt. Jeder Kampf wird zu einem taktischen Puzzle, bei dem Positionierung, Umgebungsinteraktion und Ressourcenmanagement über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Besonders beeindruckend ist die Umgebungsinteraktion: Explosive Fässer anzünden? Selbstverständlich. Gegner von Klippen stoßen? Aber gerne. Mit Telekinese Objekte als Waffen verwenden? Aber klar doch! Diese Möglichkeiten fühlen sich nie wie Gimmicks an, sondern wie natürliche Erweiterungen eurer taktischen Optionen.
Die Charaktererstellung verdient eine besondere Erwähnung. Mit zwölf Klassen, zahllosen Unterklassen, Völkern und einem unglaublich detaillierten Editor könnt ihr wirklich jeden erdenklichen D&D-Charakter erstellen. Aber Vorsicht: Ihr werdet Stunden in diesem Editor verbringen, nur um am Ende doch wieder einen Half-Elf-Paladin zu spielen.
Was mich besonders gefreut hat: Larian hat auf das Feedback aus der Early Access-Phase gehört. Die Inventar-Verwaltung wurde überarbeitet, die Performance deutlich verbessert und zahlreiche Quality-of-Life-Features hinzugefügt. Als jemand, der die Entwicklung über die Jahre verfolgt hat, kann ich die Transformation des Spiels von einem vielversprechenden Rohdiamanten zu einem geschliffenen Juwel bezeugen.
Die Welt von Baldur’s Gate
Die Sword Coast wurde nie lebendiger dargestellt. Jeder Ort, von den Druiden-Groves über das titelgebende Baldur’s Gate bis hin zum gespenstischen Shadowfell, erzählt seine eigene Geschichte. Die Welt fühlt sich authentisch an, weil sie konsequent den Regeln und der Lore von Dungeons & Dragons folgt, aber dabei eigene Akzente setzt.
Besonders beeindruckend ist die Reaktivität der Welt auf eure Entscheidungen. Charaktere erinnern sich an vergangene Interaktionen, NPCs reagieren unterschiedlich je nach eurer Klasse oder eurem Volk, und manche Questreihen sind nur für bestimmte Charaktere zugänglich. Diese Aufmerksamkeit für Details sorgt dafür, dass sich jeder Spieldurchgang tatsächlich anders anfühlt.
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Grafik und Präsentation
Optisch setzt Baldur’s Gate 3 neue Maßstäbe für das Genre. Die Charaktermodelle sind detailliert, die Animationen flüssig und die Umgebungen sehr atmosphärisch. Besonders die Gesichtsanimationen während der Dialoge verdienen Lob – jede Emotion wirkt authentisch und trägt zur Immersion bei.
Die Zwischensequenzen sind Hollywood-reif inszeniert und nutzen geschickt die Engine, um epische Momente zu schaffen, ohne dabei die Kontrolle über den eigenen Charakter zu verlieren. Wenn euer Barbar spontan entscheidet, eine Tür einzutreten, statt höflich anzuklopfen, wird das auch entsprechend dargestellt.
Die Performance hat sich seit den frühen Early Access-Builds enorm verbessert. Wo früher noch Ruckler und lange Ladezeiten störten, läuft das finale Spiel butterweich – selbst in den komplexesten Kampfszenarien mit dutzenden Charakteren auf dem Bildschirm.
Sound und Vertonung
Die Sprachausgabe ist durchweg exzellent. Jeder Hauptcharakter wird von talentierten Sprechern verkörpert, die ihren Figuren Persönlichkeit und Tiefe verleihen. Die deutsche Lokalisierung ist dabei ebenso gelungen wie das englische Original – ein Luxus, den sich längst nicht alle CRPGs leisten können.
Der Soundtrack von Borislav Slavov unterstreicht perfekt die jeweilige Stimmung, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Von den melancholischen Melodien des Druidenhains bis hin zu den düsteren Klängen der Unterdark – jede Region hat ihre eigene musikalische Identität.
Besonders hervorzuheben sind die Umgebungsgeräusche, die der Welt Leben einhauchen. Das Knistern von Lagerfeuern, das Summen magischer Energien oder die Gespräche der NPCs im Hintergrund – all das trägt zur dichten Atmosphäre bei.
Koop-Erlebnis der Extraklasse
Ein Feature, das ich besonders schätzen gelernt habe, ist der Koop-Modus. Mit bis zu vier Spielern lässt sich die gesamte Kampagne gemeinsam erleben, wobei jeder Spieler einen eigenen Hauptcharakter kontrolliert. Die Art, wie Larian Dialoge und Entscheidungen im Koop löst, ist genial: Oft müssen sich die Spieler einigen oder es kommt zu internen Diskussionen – genau wie bei einer echten D&D-Runde.
Die Split-Screen-Funktion auf Konsolen verdient dabei eine besondere Erwähnung. Endlich können Paare oder Geschwister wieder gemeinsam auf der Couch ein episches RPG erleben – ein Feature, das viel zu selten geworden ist.
Fazit zu Baldur’s Gate 3
Nach über 150 Stunden in verschiedenen Durchläufen kann ich mit Gewissheit sagen: Baldur’s Gate 3 ist das beste CRPG der letzten Dekade. Larian Studios hat nicht nur die hohen Erwartungen erfüllt, sondern sie übertroffen und dabei neue Standards für das gesamte Genre gesetzt.
Das Spiel ist ein Liebesbrief an Dungeons & Dragons, an klassische CRPGs und an alle, die Geschichten lieben, in denen ihre Entscheidungen wirklich wichtig sind. Die Tatsache, dass ich nach hunderten Stunden immer noch neue Details entdecke und alternative Lösungswege finde, spricht für die unglaubliche Tiefe des Spiels.
Ja, Baldur’s Gate 3 ist komplex. Ja, es erfordert Zeit und Geduld. Aber für jeden, der bereit ist, sich darauf einzulassen, wartet eine der besten Gaming-Erfahrungen, die man derzeit haben kann. Als jemand, der das Projekt vom Crowdfunding an begleitet hat, bin ich stolz auf das, was Larian erschaffen hat.
Baldur’s Gate ist zurück – und es ist großartiger denn je. Alle, die sich jemals für CRPGs begeistern konnten oder schon immer mal in die Welt von Dungeons & Dragons hineinschnuppern wollten, sollten diesem Meisterwerk unbedingt eine Chance geben. Ihr werdet es nicht bereuen.
Wertung: 95/100
Baldur’s Gate 3 ist für PC und bald für PlayStation 5 (6. September 2023) und Xbox Series X/S (8. Dezember 2023) verfügbar. Für diesen Test wurde die PC-Version verwendet.