Mit Bioshock präsentiert uns 2K Boston (ehemals Irrational Games) einen First-Person-Shooter, der bereits vor seinem Release für ordentlich Wirbel gesorgt hat. Ken Levine und sein Team, die bereits mit System Shock 2 Maßstäbe gesetzt hatten, versprechen nichts Geringeres als eine Revolution im Shooter-Genre. Nach den ersten Spielstunden kann man durchaus sagen: Die Erwartungen waren berechtigt. Bioshock ist kein gewöhnlicher Shooter, sondern ein interaktives Kunstwerk, das Philosophie, atmosphärisches Storytelling und innovatives Gameplay zu einem einzigartigen Erlebnis verschmilzt. Selten hat mich ein Spiel so sehr in seinen Bann gezogen wie diese Reise in die Unterwasserstadt Rapture. Von der ersten Minute an merkt man, dass hier Entwickler am Werk waren, die verstehen, was Videospiele als Medium leisten können, wenn man sie ernst nimmt.
Story – Willkommen in Rapture
Die Geschichte von Bioshock beginnt dramatisch: Nach einem Flugzeugabsturz im Jahr 1960 findet sich der Protagonist Jack als einziger Überlebender mitten im Atlantik wieder. Doch statt zu ertrinken, entdeckt er einen geheimnisvollen Leuchtturm, der sich als Eingang zu einer der faszinierendsten Spielwelten entpuppt, die je erschaffen wurden – Rapture. Diese Unterwasserstadt wurde von dem Visionär Andrew Ryan als Utopie für die Elite der Gesellschaft konzipiert, fernab der Moral und Beschränkungen der Oberflächenwelt. „Kein Gott, keine Regierung, keine Könige – nur der Mensch“, lautet Ryans Philosophie.
Doch aus dem Paradies ist längst die Hölle geworden. Die Stadt befindet sich im Bürgerkrieg, und ihre Bewohner haben sich durch exzessive Nutzung von ADAM, einer genetisch verändernden Substanz, zu wahnsinnigen „Splicern“ verwandelt. Als Jack durch die verwüsteten Korridore und prunkvolles Art-Deco-Architektur wandelt, enthüllt sich nach und nach die tragische Geschichte des Untergangs dieser Gesellschaft. Die Erzählung erfolgt größtenteils über Audiodateien, die überall verstreut liegen – ein Stilmittel, das System Shock-Veteranen bereits vertraut ist, hier aber perfektioniert wurde.
Was Bioshock so besonders macht, ist die Art, wie philosophische und politische Themen in die Handlung eingewoben sind. Die Geschichte ist eine Kritik an Ayn Rands Objektivismus und den Exzessen des ungezügelten Kapitalismus. Dabei wird nie mit dem moralischen Zeigefinger gewedelt – die Botschaft entwickelt sich organisch aus dem, was man sieht und erlebt. Selten wurde in einem Computerspiel so intelligent über gesellschaftliche Strukturen reflektiert, ohne dass es aufgesetzt oder belehrend wirkt.
Gameplay – Mehr als nur schießen
Das Herzstück von Bioshock ist die Kombination aus klassischem Shooter-Gameplay und den sogenannten Plasmiden – genetischen Modifikationen, die Jack übernatürliche Kräfte verleihen. Mit der rechten Hand führt man herkömmliche Waffen, während die linke Hand Plasmide einsetzt. Diese Dualität eröffnet völlig neue taktische Möglichkeiten. Man kann Gegner mit Elektro-Schocks lähmen, sie mit Telekinese durch die Luft schleudern oder mit einem Feuerstoß in Brand setzen. Besonders elegant: Wasser und Elektrizität bilden eine tödliche Kombination, und wer clever ist, lockt seine Feinde in Pfützen, bevor er sie unter Strom setzt.
Die Waffen selbst sind liebevoll gestaltet und fühlen sich durch die Bank weg befriedigend an. Von der klassischen Pistole über die Schrotflinte bis hin zur Chemischen Thrower-Waffe – jede hat ihre Berechtigung und ihren eigenen Charakter. Besonders die Möglichkeit, verschiedene Munitionsarten herzustellen, verleiht dem Kampfsystem zusätzliche Tiefe. Anti-Panzer-Granaten für die Big Daddys, Brand-Bolzen für den Crossbow oder spezielle Elektro-Gel-Kartuschen – die Vielfalt ist beeindruckend.
Ein zentraler Gameplay-Mechanismus dreht sich um ADAM und EVE. ADAM dient als Währung für neue Plasmide und Upgrades, während EVE die Mana für die Plasmid-Nutzung darstellt. ADAM erhält man hauptsächlich von den Little Sisters – genetisch veränderten Mädchen, die von den gewaltigen Big Daddys beschützt werden. Hier stellt sich eine der wichtigsten moralischen Entscheidungen des Spiels: Rettet man die Little Sisters und erhält weniger ADAM, oder „erntet“ man sie für den maximalen Gewinn? Diese Entscheidung beeinflusst nicht nur Jacks Entwicklung, sondern auch den Verlauf und Ausgang der Geschichte.
Die Big Daddy-Kämpfe gehören zu den Höhepunkten des Spiels. Diese schwerfälligen, aber ungemein starken Wächter erfordern Taktik und Geduld. Man kann sie mit verschiedenen Plasmiden schwächen, Sicherheitssysteme zu Hilfe rufen oder einfach mit roher Gewalt vorgehen. Jeder Kampf fühlt sich wie ein kleiner Bosskampf an, ohne dabei repetitiv zu werden.
Das Hacking-System, mit dem man Sicherheitskameras, Safes und andere elektronische Geräte überwinden kann, ist als Puzzle-Minispiel umgesetzt. Während manche dieses System lieben, empfinde ich es nach mehreren Stunden als etwas ermüdend. Glücklicherweise kann man Hacking-Tools kaufen, um diese Sequenzen zu überspringen. Die Vita-Kammern, die als Checkpoint-System fungieren, nehmen dem Spiel leider etwas von seinem Schwierigkeitsgrad. Da man nach dem Tod ohne große Konsequenzen wiederbelebt wird, kann man theoretisch jeden Big Daddy durch permanente Wiederholung besiegen.
Grafik und Atmosphäre – Ein audiovisuelles Meisterwerk
Visuell ist Bioshock eine absolute Wucht. Die Unterwasserstadt Rapture ist mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass man stundenlang nur durch die Korridore wandeln und staunen kann. Der Art-Deco-Stil der 1940er und 50er Jahre wurde perfekt eingefangen und mit futuristischen Elementen vermischt. Prunkvolle Ballsäle stehen verlassenen Geschäften gegenüber, während draußen vor den großen Fenstern die Meereslandschaft vorbeitreibt. Die Beleuchtung ist meisterhaft inszeniert – warmes, goldenes Licht wechselt sich mit düsteren, von Neonreklame erhellten Gängen ab.
Die Charaktermodelle, insbesondere die der Splicer, sind groteskesk und faszinierend zugleich. Diese wahnsinnig gewordenen ehemaligen Bewohner Raptures tragen noch immer die Überreste ihrer einstigen Eleganz – Ballkleider, Smokings und Masken, die ihre entstellten Gesichter verbergen. Jeder Splicer-Typ hat seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen visuellen Stil. Die Big Daddys sind wahre Designikonen – diese schwerfälligen Riesen in ihren Taucheranzügen mit den leuchtenden roten Augen sind sowohl furchteinflößend als auch irgendwie melancholisch.
Sound – Eine Symphonie des Untergangs
Audiovisuell setzt Bioshock neue Maßstäbe. Der Soundtrack, komponiert von Garry Schyman, untermalt das Geschehen perfekt, ohne sich jemals in den Vordergrund zu drängen. Klassische Musik aus den 1940ern und 50ern wechselt sich mit düsteren, orchestralen Kompositionen ab. Besonders beeindruckend sind die Momente, in denen man einen verlassenen Ballsaal betritt und plötzlich die Geistermusik einer vergangenen Ära erklingt.
Die Sprachausgabe verdient besondere Erwähnung. Jeder Charakter, ob Ryan, Atlas, Dr. Steinman oder die verschiedenen Audiodateien-Sprecher, ist perfekt gecastet und synchronisiert. Die deutsche Synchronisation kann durchaus mit dem englischen Original mithalten, wobei ich persönlich die englische Version bevorzuge. Die Stimme von Andrew Ryan (Armin Shimerman) ist einfach ikonisch.
Die Splicer-Dialoge sind ein Kapitel für sich. Diese wahnsinnigen Monologe, die sie während des Kampfes von sich geben, sind teilweise verstörend, teilweise tragikomisch. „Jesus liebt mich, aber nicht meinen Hammer!“ oder „Ich bin wunderschön! ICH BIN WUNDERSCHÖN!“ – solche Sätze bleiben im Gedächtnis haften.
Die Umgebungsgeräusche tragen enorm zur Atmosphäre bei. Das Knarzen der Metallstruktur unter dem Wasserdruck, das Blubbern von Luftblasen, die schweren Schritte der Big Daddys in der Ferne – all das schafft eine dichte, bedrohliche Atmosphäre, die einen nie wieder loslässt.
Fazit zu Bioshock
Ken Levine und 2K Boston haben mit Bioshock etwas geschaffen, was man getrost als Meisterwerk bezeichnen kann. Selten hat ein Spiel Gameplay, Story und Atmosphäre so perfekt miteinander verschmolzen. Die Unterwasserstadt Rapture ist nicht nur Kulisse, sondern ein lebender, atmender Charakter mit einer eigenen Geschichte und Persönlichkeit.
Was Bioshock von anderen Shootern unterscheidet, ist der Mut zur Komplexität. Hier wird nicht nur geschossen, hier wird erzählt, philosophiert und emotional bewegt. Die moralischen Entscheidungen fühlen sich nie aufgesetzt an, sondern ergeben sich organisch aus der Situation. Das Spiel behandelt seine Spieler wie intelligente Menschen, die durchaus in der Lage sind, über gesellschaftliche Strukturen und moralische Dilemmata nachzudenken.
Natürlich ist nicht alles perfekt. Das Hacking-System kann auf Dauer nerven, die Vita-Kammern nehmen etwas vom Schwierigkeitsgrad, und gegen Ende wird die Story etwas vorhersehbarer. Aber diese kleinen Kritikpunkte verblassen angesichts der überragenden Gesamtleistung.
Bioshock ist ein Spiel, das zeigt, wozu Videospiele als Kunstform fähig sind. Es ist gleichzeitig packender Thriller, philosophische Abhandlung und technisches Meisterwerk. Wer auch nur ein bisschen Sinn für intelligente Unterhaltung und atmosphärisches Storytelling hat, kommt an diesem Titel nicht vorbei.
Nach über 15 Stunden in Rapture kann ich nur sagen: Willkommen in einer neuen Ära des Ego-Shooters. 2K Boston hat nicht nur ein großartiges Spiel erschaffen, sondern dem gesamten Genre neue Impulse gegeben. Ich bin gespannt, ob andere Entwickler den Mut haben werden, diesem Beispiel zu folgen und ihre Shooter ebenfalls mit derartiger Tiefe und Intelligenz zu versehen.
Bioshock ist kein Spiel, das man einfach nur durchspielt – es ist ein Erlebnis, das noch lange nachhallt, wenn der Computer (oder die Konsole) längst ausgeschaltet ist.
Bewertung: 9/10