Blair Witch

[Review] Blair Witch

Das polnische Entwicklerstudio Bloober Team hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht, wenn es um psychologischen Horror geht. Mit Titeln wie Layers of Fear und Observer konnten die Entwickler zeigen, dass sie verstehen wie man Atmosphäre und Spannung aufbaut. Nun wagen sie sich an eine der bekanntesten Horror-Franchises überhaupt – Blair Witch. Der 1999 erschienene Found-Footage-Film The Blair Witch Project revolutionierte damals das Horror-Genre und prägte eine ganze Generation von Filmemachern. Die Frage die sich nun stellt ist natürlich, kann diese intensive und bedrückende Atmosphäre auch in einem Videospiel funktionieren? Und schafft es Bloober Team dem Mythos um die Hexe von Blair gerecht zu werden, ohne dabei in die Falle zu tappen einfach nur billiges Jumpschare-Material zu liefern? Wir haben uns ins Black Hills Forest gewagt und sind dieser Frage auf den Grund gegangen.

Zurück in den Black Hills Forest

Blair Witch spielt im Jahr 1996, also zwei Jahre nach den Ereignissen des ersten Films. Wir schlüpfen in die Rolle von Ellis Lynch, einem ehemaligen Polizisten und Veteranen mit einer belasteten Vergangenheit. Als der neunjährige Peter Shannon im Black Hills Forest nahe Burkittsville, Maryland verschwindet, schließt sich Ellis der Suchmannschaft an. An seiner Seite hat er Bullet, einen belgischen Schäferhund der ihm von der Polizei zur Seite gestellt wurde. Was als routinemäßiger Vermisstenfall beginnt, entwickelt sich schnell zu einem alptraumhaften Abstieg in den Wahnsinn. Der Wald scheint ein Eigenleben zu führen, Zeit und Raum verschwimmen und Ellis muss sich nicht nur den Schrecken des Waldes stellen, sondern auch den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit.

Die Geschichte nimmt uns mit auf eine Reise die zunehmend surreal wird und in der die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen. Ellis leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und im Verlauf der Geschichte erfahren wir mehr über die traumatischen Erlebnisse die ihn geprägt haben. Sowohl seine Zeit als Soldat, als auch ein tragischer Zwischenfall während seiner Zeit als Polizist haben tiefe Narben hinterlassen. Die Suche nach Peter wird für Ellis zu einer Art Wiedergutmachung, einer Chance die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Doch der Wald und die Blair Witch haben andere Pläne mit ihm.

Bloober Team hatte bei der Entwicklung der Story freie Hand von Lionsgate bekommen, solange sie sich im gleichen Universum bewegen wie die Filme. Diese Freiheit haben die Entwickler gut genutzt und eine eigenständige Geschichte erschaffen, die zwar auf der Mythologie der Filme aufbaut, aber ihre eigenen Wege geht. Die narrative Struktur erinnert dabei stark an Titel wie Alan Wake oder Firewatch, wobei Blair Witch seinen ganz eigenen düsteren Charakter behält.

Dein bester Freund in der Dunkelheit

Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal von Blair Witch und gleichzeitig eines der gelungensten Features ist Bullet, Ellis‘ treuer Begleiter. In einem Genre das normalerweise auf Isolation setzt, war die Entscheidung einen ständigen Begleiter einzubauen mutig. Doch genau dieser Schachzug funktioniert hervorragend. Bullet ist nicht einfach nur eine Gameplay-Mechanik, sondern entwickelt sich im Verlauf des Spiels zu einem echten Charakter dem man Zuneigung entgegenbringt.

Über ein Radialmenü können wir Bullet verschiedene Befehle erteilen. Die wichtigsten sind dabei „Suchen“ und „Bleib in der Nähe“. Mit dem Such-Befehl kann Bullet Gegenstände aufspüren, Spuren verfolgen oder uns einfach die richtige Richtung weisen. Das ist enorm hilfreich, denn der Wald ist weitläufig und es kommt durchaus vor das man sich verlaufen kann. Anders als bei nervigen Escort-Missionen müssen wir uns aber keine Sorgen um Bullets Sicherheit machen – er ist größtenteils eigenständig und braucht keine permanente Fürsorge. Die Entwickler haben sich hier bewusst an Elizabeth aus BioShock Infinite orientiert, eine Figur die hilfreich war ohne zur Last zu werden.

Wir können Bullet streicheln, ihm Leckerlis geben oder ihn tadeln wenn er nicht gehorcht. Diese Interaktionen haben direkten Einfluss auf die Beziehung zwischen Ellis und Bullet und damit auch auf das Ende des Spiels. Je besser wir Bullet behandeln, desto enger wird die Bindung. Das mag zunächst wie eine nette Spielerei klingen, entwickelt aber im Verlauf der Geschichte eine emotionale Tiefe die man so nicht erwartet hätte. Besonders gegen Ende des Spiels wird diese Bindung auf eine harte Probe gestellt und sorgt für einige herzzerreißende Momente.

Auch im Kampf spielt Bullet eine entscheidende Rolle. Die schattenhaften Kreaturen die uns im Wald angreifen können nicht direkt gesehen werden, doch Bullet spürt sie und bellt in ihre Richtung. Wir müssen dann schnell unsere Taschenlampe in die entsprechende Richtung richten um die Wesen zu vertreiben. Diese Kämpfe sind zwar nicht besonders komplex, sorgen aber für Abwechslung und erhöhen die Spannung enorm.

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Realität ist relativ

Die Spielmechanik von Blair Witch orientiert sich an den vorherigen Titeln von Bloober Team, bringt aber einige interessante Neuerungen mit sich. Das Spiel ist aus der Egoperspektive und konzentriert sich auf Erkundung, Rätsel und psychologischen Horror. Die lineare Struktur wurde aber aufgebrochen und gibt dem Spieler mehr Freiheiten als in Layers of Fear oder Observer. Der Black Hills Forest fungiert als eine Art halb-offene Spielwelt die wir in verschiedene Richtungen erkunden können.

Neben Bullet steht uns eine Videokamera zur Verfügung die sich als eines der faszinierendsten Gameplay-Elemente entpuppt. Im Wald verteilt finden wir immer wieder mysteriöse Videokassetten die Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen. Diese können wir mit der Kamera abspielen, doch es geht weit über reines Anschauen hinaus. Wir können die Videos vor- und zurückspulen und dabei die Umgebung um uns herum verändern. Eine zerstörte Brücke kann durch das Zurückspulen der Kassette plötzlich wieder intakt sein, oder ein verschlossener Weg öffnet sich wenn wir das richtige Video zur richtigen Zeit abspielen. Diese Mechanik ist clever durchdacht und sorgt für einige wirklich kreative Rätsel.

Zusätzlich haben wir noch ein Handy dabei über das wir Anrufe empfangen und mit anderen Mitgliedern der Suchmannschaft kommunizieren können. Auch eine Taschenlampe und ein Funkgerät gehören zu unserem Equipment. Die Steuerung geht gut von der Hand und fühlt sich flüssig an. Mit dem linken Stick bewegen wir Ellis, mit dem rechten kontrollieren wir die Kamera. Die Interaktion mit Objekten erfolgt über simple Tastendrücke die im richtigen Moment eingeblendet werden.

Ein interessanter Aspekt ist Ellis‘ mentaler Zustand der sich im Spielverlauf verschlechtert. Wenn Bullet zu weit von uns entfernt ist beginnt der Bildschirm zu verschwimmen und Ellis verliert langsam den Halt zur Realität. Das ist nicht nur ein visueller Effekt sondern hat auch spielerische Auswirkungen. Es zwingt uns dazu Bullet in unserer Nähe zu halten, was die Bindung zum Hund noch verstärkt.

Atmosphäre die unter die Haut geht

Visuell ist Blair Witch ein echter Hingucker. Der Black Hills Forest wirkt dicht, bedrohlich und lebendig zugleich. Die Entwickler haben enorm viel Liebe ins Detail gesteckt. Nebelschwaden wabern zwischen den Bäumen, das Licht der Taschenlampe durchdringt nur mühsam die Dunkelheit und die Vegetation wirkt authentisch und vielfältig. Besonders beeindruckend sind die Lichteffekte die für eine beklemmende Atmosphäre sorgen. Wenn sich das letzte Tageslicht aus dem Wald zurückzieht und die Dunkelheit hereinbricht, entsteht eine Stimmung die wirklich unter die Haut geht.

Die verschiedenen Schauplätze im Wald sind abwechslungsreich gestaltet. Wir erkunden verlassene Campsites, stoßen auf mysteriöse Strukturen und finden immer wieder die charakteristischen Stock-Figuren die aus den Filmen bekannt sind. Gegen Ende des Spiels wird die Umgebung zunehmend surrealer und die Realität bricht vollends auseinander. Hier zeigt sich die Stärke von Bloober Team wenn es darum geht psychologischen Horror visuell umzusetzen.

Technisch läuft Blair Witch auf der Xbox One und dem PC sauber. Die Framerate ist stabil und Ladezeiten fallen kaum ins Gewicht. Lediglich gelegentliche kleine Bugs wie nicht auslösende Trigger können vorkommen, diese lassen sich aber durch einen Neustart beheben.

Wenn die Dunkelheit spricht

Akustisch liefert Blair Witch eine absolute Meisterleistung ab. Der Wald lebt durch seine Geräusche. Das Rascheln der Blätter, das Knacken von Ästen, entfernte Schreie und Flüstern – all das trägt enorm zur Atmosphäre bei. Das Spiel nutzt binaurales Audio und sollte unbedingt mit Kopfhörern gespielt werden. Gerade in den Kampfsequenzen ist es wichtig die Richtung von Bullets Bellen genau zu orten um die Kreaturen abzuwehren. Die Soundkulisse ist derart gelungen das man teilweise das Gefühl hat wirklich im Wald zu stehen.

Die englische Sprachausgabe ist durchweg überzeugend. Ellis wird von Joseph May gesprochen der dem Charakter genau die richtige Mischung aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit verleiht. Die deutschen Untertitel sind akkurat übersetzt und gut lesbar. Der Soundtrack hält sich größtenteils dezent im Hintergrund und setzt nur in bestimmten Momenten Akzente um die Spannung zu erhöhen. Diese Zurückhaltung ist genau richtig, denn oft ist es gerade die Stille die für die größte Anspannung sorgt.

Blair Witch

Die Schrecken des Waldes

Blair Witch ist kein actionreiches Horror-Spiel. Die Kämpfe gegen die schattenhaften Kreaturen sind sporadisch und dienen eher dazu die Spannung aufrechtzuerhalten als eine echte Herausforderung darzustellen. Die eigentliche Stärke liegt im psychologischen Horror und der beklemmenden Atmosphäre. Es gibt Jumpscares, doch diese werden dosiert eingesetzt und wirken nicht billig. Viel effektiver ist das konstante Gefühl der Bedrohung, das Wissen das da draußen etwas ist das man nicht sehen kann.

Die Rätsel sind fair gestaltet und fügen sich gut in den Spielfluss ein. Dank Bullet und der Kamera-Mechanik kommt man in der Regel gut voran ohne lange festzuhängen. Allerdings kann es vorkommen das man sich im Wald verläuft, besonders in den offeneren Bereichen. Hier zeigt sich ein kleiner Schwachpunkt des Spiels – die Navigation kann manchmal frustrierend sein wenn man nicht genau weiß wohin man muss. Bullet hilft zwar, doch nicht immer ist sofort klar ob man ihm folgen sollte oder eine andere Route einschlagen muss.

Die Spielzeit liegt bei etwa fünf bis sechs Stunden für einen ersten Durchgang. Das mag zunächst kurz erscheinen, ist aber für diese Art von narrativ getriebenem Horror-Erlebnis absolut angemessen. Das Spiel bietet mehrere Enden die davon abhängen wie wir Bullet behandelt haben und welche Entscheidungen wir getroffen haben. Dies lädt durchaus zu einem zweiten Durchlauf ein um alternative Ausgänge zu sehen.

Fazit zu Blair Witch

Bloober Team ist es gelungen ein packendes Horror-Erlebnis zu schaffen das der Blair Witch-Lizenz gerecht wird. Die beklemmende Atmosphäre des Waldes, die cleveren Gameplay-Mechaniken mit der Videokamera und vor allem die emotionale Bindung zu Bullet machen Blair Witch zu einem der interessantesten Horror-Spiele des Jahres. Die Geschichte ist zwar stellenweise etwas vorhersehbar und die Navigation kann gelegentlich frustrieren, doch diese kleinen Schwächen werden durch die atmosphärische Dichte und die audiovisuelle Präsentation mehr als wettgemacht.

Blair Witch ist kein Spiel für Freunde von Action-Horror. Wer eher auf das Metzeln von Zombies oder wilde Schießereien steht wird hier nicht auf seine Kosten kommen. Doch für alle die psychologischen Horror schätzen und eine dichte Atmosphäre zu würdigen wissen ist Blair Witch eine klare Empfehlung. Das Spiel beweist eindrucksvoll das die Found-Footage-Ästhetik der Filme auch im interaktiven Medium funktionieren kann. Bloober Team hat wieder einmal gezeigt das sie zu den besten Studios gehören wenn es um psychologischen Horror geht und hat mit Blair Witch ihr bisher ausgereiftestes Werk abgeliefert.

Wer sich traut in die Wälder von Burkittsville einzutauchen wird mit einem intensiven Horror-Erlebnis belohnt das noch lange nachhallt. Und wer weiß, vielleicht solltet ihr nach dem Durchspielen euren eigenen Hund einfach mal etwas fester drücken – er hat es verdient.

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