Mit Cyberpunk 2077 liefert CD Projekt Red nach acht Jahren Entwicklungszeit ihr neuestes Meisterwerk ab – zumindest war das der Plan. Nach dem weltweiten Erfolg von The Witcher 3: Wild Hunt waren die Erwartungen an das dystopische Open-World-RPG astronomisch hoch. Das Setting, eine düstere Zukunftsvision im Jahr 2077 in der Megacity Night City, hatte bereits Jahre vor Release für enorme Vorfreude gesorgt. Cyberpunk als Genre war in Videospielen bisher eher Randerscheinung, abgesehen von einzelnen Titeln wie Deus Ex oder dem eher unbekannten Shadowrun. Nun sollte CD Projekt Red zeigen, was mit modernen Mitteln und enormem Budget in diesem Universum möglich ist. Die Frage die sich nun stellt: Ist das polnische Studio dieser Mammutaufgabe gewachsen?
Die Antwort darauf fällt kompliziert aus und ist stark abhängig davon, auf welcher Plattform man spielt und wie sehr einen technische Mängel stören. Denn während auf leistungsstarken PCs durchaus ein beeindruckendes Spielerlebnis möglich ist, kämpfen Konsolen-Spieler, besonders auf PlayStation 4 und Xbox One, mit massiven Performance-Problemen. Doch dazu später mehr, werfen wir zunächst einen Blick auf das, was Cyberpunk 2077 ausmacht.
Willkommen in Night City
Die Geschichte von Cyberpunk 2077 versetzt uns in die fiktive Metropole Night City an der US-Westküste. Diese Stadt ist ein faszinierendes Konstrukt aus extremen Gegensätzen – schillernde Wolkenkratzer neben verfallenen Slums, Hightech-Konzerne neben Straßengangs, und überall dazwischen Menschen, die versuchen zu überleben oder ihren großen Durchbruch zu landen. Wir schlüpfen in die Rolle von V, dessen Geschlecht, Aussehen und Hintergrundgeschichte wir zu Beginn bestimmen können. Die Wahl zwischen drei verschiedenen Lebensläufen – Nomad, Street Kid oder Corpo – beeinflusst dabei nicht nur die ersten Spielstunden, sondern zieht sich durch das gesamte Spiel in Form zusätzlicher Dialogoptionen.
V ist ein Söldner, in der Welt von Cyberpunk 2077 auch Mercenary oder kurz „Merc“ genannt, der sich zusammen mit seinem Partner Jackie Welles durch die Unterwelt von Night City schlägt. Beide träumen vom großen Coup, der sie in die Oberliga der Stadt katapultieren soll. Dieser Coup kommt tatsächlich, doch er läuft gründlich schief und stellt Vs Leben komplett auf den Kopf. Ab diesem Wendepunkt, der etwa nach dem ersten Spielabschnitt eintritt, beginnt die eigentliche Geschichte. Ohne zu viel zu verraten: V bekommt unfreiwillig Gesellschaft von Johnny Silverhand, einer digitalen Kopie des legendären Rockers und Terroristen, gespielt von Keanu Reeves.
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Johnny Silverhand – Mehr als nur ein Werbegesicht
Die Verpflichtung von Keanu Reeves war nicht nur ein Marketing-Coup, sondern erweist sich als einer der brillantesten Schachzüge von CD Projekt Red. Johnny Silverhand ist keine bloße Nebenrolle oder ein kurzer Gastauftritt – er ist das Herzstück der gesamten Geschichte und Vs ständiger Begleiter. Reeves liefert eine Performance ab, die weit über das hinausgeht, was man von Celebrity-Besetzungen in Videospielen gewohnt ist. Seine raue, zynische Art, gepaart mit Momenten echter Verletzlichkeit, macht Johnny zu einem faszinierend vielschichtigen Charakter.
Die Chemie zwischen V und Johnny ist das emotionale Rückgrat des Spiels. Was als feindseliges Zweckbündnis beginnt – schließlich teilen sich beide unfreiwillig einen Körper – entwickelt sich zu einer der interessantesten Beziehungen in einem Videospiel. Johnny ist kein strahlender Held, sondern ein egozentrischer Terrorist mit einer persönlichen Vendetta gegen die Megakonzerne. Seine Erinnerungen, die wir im Spielverlauf durchleben, zeigen uns Night City aus den 2020er Jahren und enthüllen nach und nach, wer Johnny wirklich war. Dabei wird deutlich, dass seine eigene Wahrnehmung und die Realität nicht immer übereinstimmen.
Besonders gelungen ist die Integration von Johnny ins Gameplay. Er taucht in den unmöglichsten Momenten auf, kommentiert Vs Entscheidungen, gibt ungebetene Ratschläge und sorgt für einen permanenten inneren Dialog. Diese Interaktionen sind nie langweilig, da Johnny durchaus seine eigene Agenda verfolgt und V nicht immer wohlgesonnen ist. Die Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich organisch über das Spiel hinweg, und die Dialogoptionen erlauben es dem Spieler zu entscheiden, ob man Johnny die kalte Schulter zeigt oder versucht, ihn zu verstehen. Diese Entscheidungen haben tatsächlich Auswirkungen auf die verfügbaren Enden des Spiels.
Keanu Reeves bringt seine charakteristische Präsenz ein, ohne dabei über die Rolle zu dominieren. In den emotionalen Szenen, besonders gegen Ende des Spiels, zeigt er eine Tiefe, die überrascht. Man merkt, dass er sich mit der Rolle auseinandergesetzt hat und Johnny nicht einfach nur seine typische Screen-Persona überstülpt. Die Motion-Capturing-Technologie fängt seine Mimik und Gestik exzellent ein, sodass Johnny sich tatsächlich wie eine greifbare Präsenz anfühlt, obwohl er für alle außer V unsichtbar ist.
Night City – Ein lebendiges Monster
Optisch ist Night City eine Wucht, zumindest auf High-End-Hardware. Die Stadt erstreckt sich über verschiedene Distrikte, von denen jeder seinen eigenen Charakter hat. Das Noble Westbrook mit seinen Luxusvillen und dem Casino, das heruntergekommene Pacifica mit seinen verlassenen Großprojekten, das industrielle Santo Domingo oder das pulsierende Zentrum mit seinen Megagebäuden – jeder Bezirk erzählt seine eigene Geschichte. Die Straßen sind belebt, Werbetafeln flimmern in allen Farben, fliegende Fahrzeuge ziehen über den Himmel und in den Gassen drängen sich Menschen, Verkaufsstände und allerhand zwielichtige Gestalten.
Die Liebe zum Detail ist beeindruckend. Werbeplakate und Radiosendungen spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse wider, Graffiti erzählen von Bandenkriegen, und überall findet man kleine Geschichten, wenn man nur genau hinsieht. Die Neonbeleuchtung, der Regen auf den Straßen, die Reflexionen in den Pfützen – wenn das Spiel läuft wie es soll, ist es ein visuelles Fest. Besonders mit aktiviertem Raytracing auf entsprechender Hardware erreicht Cyberpunk 2077 ein Niveau, das seinesgleichen sucht.
Klanglich steht Night City der optischen Präsentation in nichts nach. Der Soundtrack ist eine gelungene Mischung aus verschiedenen Genres, die perfekt zur jeweiligen Situation passen. Von Industrial über Synthwave bis hin zu Latin-Klängen ist alles dabei. Besonders die Songs von Samurai, Johnny Silverhands fiktiver Band, bleiben im Ohr. Tracks wie „Chippin‘ In“ oder „Never Fade Away“ sind nicht nur atmosphärisch passend, sondern auch eigenständig hörenswert. Die deutsche Synchronisation ist insgesamt solide, auch wenn manche Nebencharaktere etwas hölzern klingen. Wer die englische Originalvertonung bevorzugt, bekommt mit Keanu Reeves eine charismatische Performance geboten, die durch die Arbeit der anderen Synchronsprecher hervorragend ergänzt wird.
Charakterentwicklung – Erschaffe deinen V
Das Herzstück jedes RPGs ist die Charakterentwicklung, und hier zeigt Cyberpunk 2077 sowohl seine Stärken als auch einige verpasste Chancen. Das System basiert auf fünf Hauptattributen: Reflexe, Technische Fähigkeiten, Intelligenz, Konstitution und Coolness. Jedes dieser Attribute schaltet nicht nur passive Boni frei, sondern öffnet auch Zugang zu bestimmten Perks und Spielweisen.
Reflexe bestimmen, wie gut V mit Schusswaffen, Klingen und im Nahkampf agiert. Hohe Reflexe ermöglichen präzisere Schüsse, schnellere Angriffe und bessere Ausweichmanöver. Technische Fähigkeiten sind entscheidend für alle, die gerne basteln – hier finden sich Perks für besseres Crafting, die Möglichkeit technische Türen zu öffnen und Geschütztürme zu hacken. Intelligenz ist das Attribut für Netrunner, also Hacker. Hier verstecken sich die mächtigsten Builds des Spiels, denn ein gut ausgebildeter Netrunner kann ganze Gebäude räumen, ohne einen Schuss abzugeben.
Konstitution erhöht die Trefferpunkte und ermöglicht den Einsatz schwerer Waffen wie Schrotflinten und leichte Maschinengewehre. Es ist das Attribut für Spieler, die direkt durch die Vordertür stürmen wollen. Coolness hingegen ist ein vielseitiges Attribut, das Schleichen, kritische Treffer und die Effektivität von Handfeuerwaffen verbessert. Ein cooler V bewahrt auch in brenzligen Situationen die Ruhe und kann selbst nach einer Entdeckung schnell wieder im Schatten verschwinden.
Was das System besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass jedes Attribut auch durch Verwendung verbessert wird. Wer viel schleicht, wird besser im Schleichen. Wer hackt, verbessert seine Netrunner-Fähigkeiten. Das sorgt für ein organisches Gefühl der Charakterentwicklung, bei dem sich V tatsächlich entsprechend der Spielweise entwickelt. Zusätzlich gibt es Perk-Punkte, die man frei verteilen kann, um seinen Build weiter zu spezialisieren.
Die Builds können sich drastisch unterscheiden. Ein Netrunner spielt völlig anders als ein Nahkampf-Spezialist mit Mantis-Klingen, und beide unterscheiden sich wiederum komplett von einem Scharfschützen oder einem Shotgun-Rambo. Das Spiel belohnt Spezialisierung, lässt aber auch Hybrid-Builds zu. Besonders reizvoll sind die Synergien zwischen verschiedenen Perks. Ein Stealth-Netrunner kann Gegner aus der Distanz überhitzen lassen, während ein Tech-Spezialist mit Smartwaffen arbeitet, die um Ecken schießen können.
Cyberware – Die Verschmelzung von Mensch und Maschine
Ein zentrales Element von Cyberpunk 2077 ist die Cyberware, also die körperlichen Implantate, mit denen V sich aufrüsten kann. Diese reichen von kosmetischen Verbesserungen bis zu kampfentscheidenden Upgrades. Das Spiel bietet verschiedene Implantatkategorien: Augen, Kreislaufsystem, Nervensystem, Integumentär (Haut), Betriebssystem, Skelett, Hände, Arme und Beine.
Die Augenimplantate sind mehr als nur Spielerei. Sie ermöglichen es, zusätzliche Informationen über Gegner zu scannen, Schwachstellen zu identifizieren und sogar durch Wände zu schauen. Das Kiroshi-Optiksystem ist quasi die erweiterte Realität von Night City und unverzichtbar für jeden, der strategisch vorgehen will. Besonders nützlich ist die Möglichkeit, Sicherheitssysteme zu analysieren und Kameras zu identifizieren, bevor man einen Bereich betritt.
Die Arm-Cyberware ist vielleicht am spektakulärsten. Die Mantis-Klingen verwandeln V in einen tödlichen Nahkämpfer, der Gegner in Sekunden zerlegen kann. Der Gorilla-Arm erhöht die Körperkraft massiv und ermöglicht es, schwere Türen aufzubrechen und Gegner mit bloßen Fäusten niederzustrecken. Der Monowire ist eine Peitsche aus monomolekularem Draht, die Gegner regelrecht durchschneidet. Und dann gibt es noch den Projektil-Launcher, der explosive Granaten oder elektromagnetische Geschosse verschießt.
Das Betriebssystem bestimmt, welche Quickhacks V nutzen kann. Sandevistan verlangsamt die Zeit und verwandelt V in einen übermenschlich schnellen Kämpfer – eine direkte Anspielung auf die Cyberpunk-Klassiker. Berserk erhöht Schaden und Rüstung drastisch, perfekt für frontale Angriffe. Cyberdeck-Systeme hingegen sind für Netrunner gedacht und erweitern die Hacking-Möglichkeiten enorm.
Das Problem ist allerdings, dass viele dieser Implantate sich hauptsächlich wie Stat-Boosts anfühlen. Die wirklich spielverändernden Cyberware-Teile sind rar, und man hätte sich gewünscht, dass mehr Implantate das Gameplay fundamental beeinflussen. Dennoch ist es befriedigend, V nach und nach zu einer Kampfmaschine aufzurüsten und zu sehen, wie die anfangs gefährlichen Gegner zunehmend zur leichten Beute werden.
Gameplay – Vielfältige Wege zum Ziel
Das Gameplay von Cyberpunk 2077 ist am besten, wenn es dem Spieler Freiheit lässt, Probleme auf seine Art zu lösen. Die meisten Missionen bieten mehrere Ansätze. Man kann frontal durch die Vordertür stürmen, sich durch die Lüftungsschächte schleichen, aus der Ferne hacken oder durch Gespräche eine friedliche Lösung finden. Diese Flexibilität ist eine der großen Stärken des Spiels.
Der Netrunner-Ansatz ist besonders faszinierend. Mit dem Scanner identifiziert man Kameras, Geschütztürme und Gegner. Über das Netzwerk kann man dann Quickhacks einsetzen. „Ping“ enthüllt alle verbundenen Geräte und Personen, auch durch Wände hindurch. „Distract Enemies“ lässt Gegner ihre Position verlassen. „Overheat“ fügt Schaden über Zeit zu. „Short Circuit“ elektrifiziert Gegner. Und „Cyberpsychosis“ lässt Feinde ihre eigenen Leute angreifen. Ein gut ausgebildeter Netrunner kann eine ganze Basis säubern, ohne je gesehen zu werden oder einen Schuss abzugeben.
Der Stealth-Ansatz ähnelt dem aus anderen modernen Spielen, funktioniert aber solide. V kann sich ducken, an Wänden entlang schleichen und Gegner von hinten ausschalten – tödlich oder nicht-tödlich. Das Spiel markiert Sichtlinien und zeigt an, ob man entdeckt werden kann. Ablenkungsmanöver wie geworfene Gegenstände oder gehackte Geräte helfen dabei, Gegner zu separieren. Der Stealth-Ansatz wird belohnt, allerdings ist die Gegner-KI hier nicht die schlaueste. Oft reagieren Wachen nicht auf verschwundene Kollegen, und das Alarm-System ist inkonsistent.
Der Action-Ansatz ist der direkteste. Mit einer Vielzahl von Waffen – von Pistolen über Sturmgewehre bis zu schweren Maschinengewehren – stürmt man in den Kampf. Die Schussmechanik fühlt sich ordentlich an, erreicht aber nicht das Niveau dedizierter Shooter. Die Waffen unterscheiden sich spürbar: Pistolen sind präzise und schnell, Schrotflinten verheerend auf kurze Distanz, Scharfschützengewehre tödlich aus der Ferne. Besonders interessant sind die Tech-Waffen, die man aufladen kann um durch Deckungen zu schießen, und die Smart-Waffen, deren Geschosse Ziele selbstständig verfolgen.
Der Nahkampf macht überraschend viel Spaß, besonders mit den richtigen Cyberware-Implantaten. Katanas ermöglichen blitzschnelle Angriffe und spektakuläre Finisher. Mit Mantis-Klingen springt V von Gegner zu Gegner und zerlegt sie in Sekundenschnelle. Selbst mit bloßen Fäusten, verstärkt durch Gorilla-Arme, lassen sich beeindruckende Kombos ausführen. Das Timing ist wichtig – Ausweichen und Blocken im richtigen Moment können Kämpfe entscheiden.
Die Bosskämpfe sind leider eine Schwachstelle. Sie sind rar und oft uninspiriert. Meist handelt es sich um Damage-Sponge-Gegner ohne besondere Mechaniken. Hier hätte man sich mehr Kreativität gewünscht, wie sie etwa in den Witcher-3-Bosskämpfen zu finden war.
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Missionen und Nebenquests – Geschichten in der Stadt
Die Story-Missionen sind durchweg hochwertig und bieten spektakuläre Momente. Ob man nun mit den Nomaden durch die Wüste fährt, in Arasaka-Türmen einbricht oder in den Slums von Pacifica nach Antworten sucht – die Hauptstory bleibt spannend. Die Entscheidungen, die man trifft, haben tatsächlich Auswirkungen auf die verfügbaren Enden. Es gibt mehrere grundlegend verschiedene Endszenarien, abhängig davon, wie man sich im Spielverlauf verhalten hat und welche Beziehungen man aufgebaut hat.
Doch die wahren Perlen sind oft die Nebenquests. Hier zeigt CD Projekt Red, was sie am besten können: Geschichten erzählen. Die Side-Quests sind keine generischen Fetch-Quests, sondern in sich geschlossene Erzählungen mit eigenen Charakteren, Wendungen und moralischen Dilemmata. Die Questline mit den Peralez, einem Politiker-Ehepaar, entwickelt sich zu einem paranoiden Thriller. Die Missionen mit Panam in der Wüste sind actionreich und emotional. Judys Storyline behandelt schwere Themen wie Ausbeutung und Rache mit überraschender Sensibilität.
Auch die Gigs, kürzere Aufträge von Fixern, sind meist interessant gestaltet. Jeder Fixer hat seine eigene Persönlichkeit und seine eigenen Probleme. Die Aufträge reichen von simplen Diebstählen über Rettungsmissionen bis zu komplexen Infiltrationen. Oft gibt es kleine Geschichten zu entdecken – Datenbanken die man lesen kann, Nachrichten auf Computern, Umgebungs-Storytelling das erklärt, was hier passiert ist.
Die Cyberpsycho-Jagden sind eine besondere Art von Nebenquest. Regina Jones, eine Fixerin, beauftragt V damit, durchgedrehte Cyberpsychos zu neutralisieren – vorzugsweise nicht-tödlich. Diese Kämpfe sind herausfordernd, da Cyberpsychos mit mächtiger Cyberware ausgestattet sind. Die Hintergrundgeschichten dieser bedauernswerten Seelen sind oft tragisch und zeigen die dunkle Seite der Technologie-Obsession von Night City.
Die Schattenseiten des Glanzes
Nun müssen wir über den Elefanten im Raum sprechen – den technischen Zustand des Spiels. Cyberpunk 2077 ist in einem erschreckend unausgegorenen Zustand erschienen. Auf der PlayStation 4 und Xbox One ist das Spiel stellenweise kaum spielbar. Framedrops, Textur-Pop-ins, Grafikfehler und Abstürze gehören dort zur Tagesordnung. Es ist schwer nachvollziehbar, wie CD Projekt Red das Spiel in diesem Zustand auf den alten Konsolen veröffentlichen konnte. Selbst auf der PlayStation 4 Pro und Xbox One X ist die Performance bescheiden.
Auf PC sieht die Situation besser aus, aber auch hier ist das Spiel nicht frei von Problemen. NPCs verhalten sich oft merkwürdig, spawnen plötzlich oder verschwinden einfach. Die viel gepriesene KI ist enttäuschend simpel. Polizisten spawnen direkt hinter dem Spieler, anstatt realistisch anzurücken. Autofahrer reagieren auf Hindernisse, indem sie einfach stehenbleiben. Die Stadt, so lebendig sie auf den ersten Blick wirkt, offenbart bei genauerem Hinsehen ihre Grenzen.
Auch im Gameplay gibt es Schwächen. Das Crafting-System ist umständlich und wenig intuitiv. Man kann keine mehrfachen Items auf einmal herstellen, was zu monotoner Klickerei führt. Das Inventar ist unübersichtlich, besonders wenn es um Crafting-Materialien und Mods geht. Man verbringt viel Zeit damit, Gegenstände zu sortieren und zu entscheiden, was man behalten und was man verkaufen soll.
Viele RPG-Elemente fühlen sich oberflächlich an. Das Attributssystem ist solide, aber andere Systeme wie Street Cred wirken halbherzig implementiert. Street Cred schaltet zwar neue Items und Quests frei, aber die Auswirkungen auf die Spielwelt sind minimal. V wird nie wirklich als Legende von Night City behandelt, egal wie hoch der Ruf ist.
Die unterschiedlichen Lebenswege beeinflussen zwar einzelne Dialoge und die Einleitung, haben aber kaum Einfluss auf den Gesamtverlauf der Story. Ein Corpo-V spielt sich nach den ersten Stunden fast identisch zu einem Nomaden-V. Hier wurden Möglichkeiten verschenkt, die Wiederspielbarkeit zu erhöhen.
Das größte Manko ist aber vielleicht die Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität. CD Projekt Red hatte ein revolutionäres RPG versprochen, in dem jede Entscheidung zählt und die Spielwelt auf den Spieler reagiert. Bekommen haben wir ein gutes Action-Adventure mit RPG-Elementen, das aber weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Features wie ein ausgeklügeltes Ruf-System, Polizeiverfolgungen oder die Möglichkeit, Wohnungen zu kaufen, fehlen komplett oder sind nur rudimentär vorhanden.
Fahrzeuge und die Stadt erkunden
Die Fahrzeuge in Night City verdienen noch einen eigenen Absatz. Die Auswahl ist beeindruckend – von rostigen Kleinwagen über elegante Sportwagen bis zu schweren Trucks ist alles dabei. Jedes Fahrzeug fährt sich anders, und die Soundeffekte der Motoren sind stimmig umgesetzt. Besonders die Motorräder machen Spaß, da sie wendig sind und sich gut durch den dichten Verkehr schlängeln lassen.
Allerdings fehlt eine Third-Person-Ansicht beim Fahren, was angesichts der aufwendig gestalteten Fahrzeuge schade ist. Man kann sein Auto im Menü betrachten, aber während der Fahrt sieht man nur das Cockpit. Das ist eine merkwürdige Designentscheidung, zumal eine Third-Person-Ansicht auch die Orientierung erleichtern würde. Die Steuerung ist gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber nach einer Weile ordentlich. Drifts fühlen sich allerdings nie ganz richtig an.
Das Schnellreise-System ist praktisch, aber uninspiriert. Man kann zwischen verschiedenen Metro-Stationen und anderen Punkten fast-traveln, was Zeit spart. Allerdings hätte eine funktionsfähige Metro, in der man tatsächlich sitzt und durch die Stadt fährt, mehr zur Immersion beigetragen. Gerade für ein Spiel, das so viel Wert auf Atmosphäre legt, ist dies eine verpasste Chance.
Fazit
Die finale Bewertung von Cyberpunk 2077 fällt schwer und ist stark davon abhängig, auf welcher Plattform man spielt. Auf High-End-PCs bekommt man trotz aller Mängel ein faszinierendes Spielerlebnis mit toller Story, großartigen Charakteren und einer atemberaubenden Spielwelt. Die Charakterentwicklung bietet echte Vielfalt, das Gameplay erlaubt unterschiedliche Herangehensweisen, und Johnny Silverhand ist einer der denkwürdigsten Videospiel-Charaktere der letzten Jahre. Die Nebenquests sind hervorragend geschrieben und die Atmosphäre von Night City ist einzigartig.
Die technischen Probleme sind allerdings nicht zu leugnen. Bugs, Performance-Probleme und eine teilweise schwache KI trüben das Erlebnis erheblich. Auf den alten Konsolen ist das Spiel in seinem aktuellen Zustand kaum zu empfehlen. Auch inhaltlich gibt es Schwächen: Das Balancing ist stellenweise fragwürdig, manche Systeme wirken halbherzig, und die Diskrepanz zwischen Marketing-Versprechen und Endprodukt ist enttäuschend.
CD Projekt Red hat versprochen, das Spiel mit Patches zu verbessern, und erste Updates zeigen, dass das Studio gewillt ist, dieses Versprechen zu halten. Cyberpunk 2077 hat das Potenzial, mit der Zeit zu dem Spiel zu werden, das es hätte sein sollen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber ein ambitioniertes Projekt, das unter seiner eigenen Überforderung leidet.
Für PC-Spieler mit entsprechender Hardware und der Bereitschaft, über technische Probleme hinwegzusehen, ist Cyberpunk 2077 trotz allem ein Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Die Story allein ist die Mühe wert, Johnny Silverhand ist ein fantastischer Charakter, und Night City ist eine Stadt, die man erkunden möchte. Die Vielfalt im Gameplay und die Möglichkeiten der Charakterentwicklung sorgen dafür, dass verschiedene Playstyles belohnt werden. Konsolen-Spieler sollten hingegen definitiv warten, bis die versprochenen Verbesserungen umgesetzt wurden.
Es bleibt zu hoffen, dass CD Projekt Red das Vertrauen der Spieler zurückgewinnen kann. Das Studio hat mit The Witcher 3 bewiesen, dass es großartige Spiele erschaffen kann. Cyberpunk 2077 zeigt in seinen besten Momenten dieses Können, leidet aber massiv unter der offensichtlichen Überforderung und dem Zeitdruck. Ein mahnendes Beispiel dafür, was passiert, wenn Marketing-Versprechen und Entwicklungs-Realität zu weit auseinanderklaffen. Unter all den Problemen steckt ein brillantes Spiel, das nur darauf wartet, freigelegt zu werden.
Wertung: 7/10 (PC), 4/10 (PS4/Xbox One)










