Zwei Jahre nach dem sensationellen Far Cry 3 schickt uns Ubisoft Montreal erneut auf eine Open-World-Reise voller Gewalt, Wahnsinn und spektakulärer Landschaften. Diesmal geht es von den tropischen Rook Islands in die eisigen Höhen des Himalayas, genauer gesagt in den fiktiven Staat Kyrat. Die Frage, die sich stellt: Kann Far Cry 4 an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen, oder handelt es sich lediglich um „mehr vom Gleichen“ – nur diesmal mit Elefanten statt Tigern?
Zurück in die Heimat – Hinein ins Chaos
Die Geschichte von Far Cry 4 beginnt mit Ajay Ghale, einem jungen Amerikaner mit kyratischen Wurzeln, der in seine Heimat zurückkehrt, um den letzten Willen seiner verstorbenen Mutter zu erfüllen: ihre Asche an einem Ort namens Lakshmana zu verstreuen. Was als simple Trauerreise beginnt, entwickelt sich schon an der Grenze zu Kyrat zum absoluten Albtraum. Der Bus, mit dem Ajay einreist, wird von Soldaten der Königlichen Armee gestoppt. Es kommt zum Feuergefecht, Menschen sterben, und mitten in diesem Chaos landet plötzlich ein Helikopter.
Heraus steigt Pagan Min – der selbsternannte König von Kyrat. In pinkfarbenem Anzug, mit platinblondem Haar und einem Lächeln, das zwischen charmant und psychopathisch changiert, stellt er sich vor. Was folgt, ist eine der denkwürdigsten Eröffnungsszenen der Serie: Pagan ersticht einen seiner eigenen Soldaten mit einem goldenen Kugelschreiber, weil dieser seine Befehle missverstan hat, macht dann ein Selfie mit Ajay und lädt ihn zum Essen ein. Diese Mischung aus absurder Gewalt und bizarrer Höflichkeit definiert Pagans Charakter perfekt.
In der Villa angekommen, bittet Pagan Ajay zu warten, während er „einen kleinen Zwischenfall regelt“. An diesem Punkt kann man tatsächlich einfach sitzen bleiben und warten – nach etwa 13 Minuten kehrt Pagan zurück, bringt Ajay zu Lakshmana, und das Spiel endet mit einem alternativen Ende. Doch die meisten Spieler werden nicht so geduldig sein. Ajay flieht aus der Villa und wird von Sabal gerettet, einem Anführer des Goldenen Pfads – jener Rebellenorganisation, die Ajays Vater Mohan Ghale einst gegründet hatte, um Pagan Mins Tyrannei zu bekämpfen.
Was zunächst wie eine klassische „Underdog gegen Diktator“-Geschichte klingt, entwickelt sich schnell zu etwas Komplexerem. Der Goldene Pfad wird von zwei Führungspersonen geleitet: Sabal, der die Traditionen Kyrats bewahren und zum alten Glauben zurückkehren will, und Amita, die progressive Veränderungen anstrebt, Frauen in Führungspositionen bringen und Kyrat modernisieren möchte. Beide haben ihre eigenen Vorstellungen von Kyrats Zukunft – und beide sind nicht so edel, wie sie zunächst scheinen.
Pagan Min – Ein Bösewicht mit Stil
Nach dem unvergesslichen Vaas aus Far Cry 3 hatte Ubisoft eine hohe Messlatte zu überwinden. Mit Pagan Min haben sie einen Antagonisten geschaffen, der anders ist, aber ebenso faszinierend. Troy Baker liefert eine grandiose Performance ab und verleiht Pagan eine charismatische, fast theatralische Präsenz. Er ist nicht einfach nur wahnsinnig – er ist kultiviert, eloquent und überraschend reflektiert.
Was Pagan besonders interessant macht, ist seine Beziehung zu Ajay. Im Laufe des Spiels wird klar, dass er eine Liebesbeziehung mit Ajays Mutter Ishwari hatte und Ajay fast wie einen Sohn behandelt. Er ruft regelmäßig über Funk an, plaudert über belanglose Dinge, gibt Ratschläge und wirkt dabei nie wirklich feindselig. Diese Ambivalenz macht ihn zu einem der komplexesten Charaktere der Serie. Man hasst ihn für seine Grausamkeiten, kann aber nicht umhin, seine Charisma und seinen trockenen Humor zu schätzen.
Allerdings hat Pagan Min ein Problem: Er taucht zu selten auf. Während Vaas in Far Cry 3 ständig präsent war und den Spieler regelrecht terrorisierte, bleibt Pagan meist im Hintergrund. Seine Auftritte beschränken sich auf einige Story-Missionen und die bereits erwähnten Funk-Nachrichten. Das ist schade, denn jede Szene mit ihm ist ein Highlight. Man hätte sich gewünscht, dass er eine aktivere Rolle im Geschehen spielt.
Stattdessen verbringt man die meiste Zeit mit Sabal und Amita, und hier liegt eines der größten Probleme des Spiels: Beide Anführer sind zwar gut geschrieben, aber letztendlich unsympathisch. Je weiter man im Spiel voranschreitet, desto deutlicher wird, dass keine der beiden eine wirklich gute Führungsperson für Kyrat wäre. Sabal ist ein religiöser Fundamentalist, der Frauen in traditionelle Rollen zurückdrängen und das Land in einem rückständigen Zustand halten will. Amita hingegen ist bereit, Kyrats Opiumhandel auszubauen und selbst Kinder als Soldaten einzusetzen, wenn es ihrer Vision dient.
Das Spiel zwingt einen immer wieder, sich zwischen den beiden zu entscheiden – sogenannte „Balance of Power“-Missionen. Das Problem dabei: Oft werden wichtige Informationen erst nach der Entscheidung preisgegeben, sodass man das Gefühl hat, manipuliert worden zu sein. Diese künstliche moralische Ambiguität wirkt frustrierend statt clever.
Kyrat – Schönheit und Schrecken im Himalaya
Die Spielwelt von Far Cry 4 ist zweifellos beeindruckend. Kyrat bietet eine atemberaubende Kulisse aus schneebedeckten Berggipfeln, dichten Wäldern, reißenden Flüssen und malerischen Dörfern. Die Vertikalität der Landschaft ist deutlich ausgeprägter als in Far Cry 3 – man klettert Berge hinauf, nutzt den Enterhaken, um Klippen zu erklimmen, und gleitet mit dem Wingsuit durch Schluchten.
Optisch ist das Spiel auf einem hohen Niveau, besonders auf PC und den damals neuen Konsolen PlayStation 4 und Xbox One. Die Beleuchtung ist spektakulär, die Sichtweite enorm, und die Details der Umgebung beeindruckend. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass die bergige Landschaft weniger Abwechslung bietet als die tropischen Inseln des Vorgängers. Viele Gebiete sehen ähnlich aus – dichte Nadelwälder, felsige Hänge, verschneite Gipfel. Es fehlt die visuelle Vielfalt, die Far Cry 3 auszeichnete.
Die Tierwelt Kyrats ist reichhaltig und gefährlich. Neben den üblichen Verdächtigen wie Wölfen, Bären und Leoparden gibt es auch Nashörner, die einen mit voller Wucht angreifen können, sowie die berüchtigten Honigdachse – kleine, aber absolut tödliche Biester, die selbst erfahrene Spieler in Panik versetzen. Und dann sind da noch die Elefanten, die eine der größten Neuerungen darstellen.
Elefanten können geritten werden und dienen als lebende Panzer. Man kann mit ihnen feindliche Außenposten stürmen, Fahrzeuge zertrampeln und Gegner mit dem Rüssel durch die Gegend schleudern. Es ist unglaublich befriedigend, auf einem Elefanten in ein feindliches Lager zu reiten und einfach alles zu zerstören. Gleichzeitig sind wilde Elefanten eine ernsthafte Bedrohung – wer einem aufgebrachten Bullen begegnet, sollte schnell das Weite suchen.
Gameplay – Vertraut, aber solide
Wer Far Cry 3 gespielt hat, wird sich sofort zurechtfinden. Das Gameplay ist nahezu identisch: Man erobert Außenposten, klettert auf Funktürme, um Gebiete der Karte freizuschalten, jagt Tiere für Crafting-Materialien und erledigt zahlreiche Nebenmissionen. Die Schussmechaniken sind präzise und befriedigend, die Waffenauswahl umfangreich, und man hat wieder die Freiheit, Missionen auf verschiedene Arten anzugehen – ob lautlos mit dem Bogen oder mit schwerem Geschütz.
Das Skillsystem wurde leicht überarbeitet. Statt drei Skillbäumen gibt es nun zwei: Den Tiger-Baum für offensive Fähigkeiten und den Elefanten-Baum für defensive Skills. Die Fähigkeiten selbst sind größtenteils aus Far Cry 3 kopiert, was etwas enttäuschend ist. Neue Mechaniken wie die Chain-Takedowns oder das Reiten von Elefanten machen Spaß, revolutionieren das Spielerlebnis aber nicht.
Eine willkommene Neuerung ist die Auto-Drive-Funktion. Mit einem Knopfdruck übernimmt die KI das Steuer, während man sich aufs Schießen konzentrieren kann. Das macht längere Fahrten deutlich angenehmer und sorgt für spektakuläre Verfolgungsjagden. Außerdem kann man nun auch während der Fahrt aus Fahrzeugen schießen, ohne dass ein Beifahrer nötig ist.
Ein echtes Highlight ist der Buzzer – ein kleiner Gyrokopter, mit dem man die Spielwelt aus der Luft erkunden kann. Damit lassen sich schnell große Distanzen überwinden, und es macht einfach Spaß, über die Landschaft zu schweben. Zudem kann man Funktürme anfliegen und sich direkt oben abseilen, was das Erklettern erheblich beschleunigt.
Die Außenposten sind wieder das Herzstück des Gameplays. Es macht nach wie vor großen Spaß, feindliche Lager zu infiltrieren und entweder leise alle Gegner auszuschalten oder mit roher Gewalt vorzugehen. Neu sind die Festungen – besser bewachte Stützpunkte, die eine größere Herausforderung darstellen. Allerdings sind es nur vier an der Zahl, was etwas knapp ist.
Story-Missionen – Solide, aber vorhersehbar
Die Hauptmissionen von Far Cry 4 sind gut inszeniert und bieten eine angenehme Abwechslung. Man muss Konvois überfallen, feindliche Kommandeure ausschalten, Gefangene befreien und an spektakulären Setpiece-Momenten teilnehmen. Besonders hervorzuheben sind die Shangri-La-Missionen – halluzinogene Traumsequenzen, in denen man in die Rolle eines alten Kriegers schlüpft und an der Seite eines weißen Tigers kämpft. Diese Missionen sind visuell beeindruckend und bieten eine willkommene Abwechslung zum Hauptgeschehen.
Allerdings gibt es auch hier Kritik: Viele Missionen fühlen sich zu vertraut an. Wie oft man schon in Far-Cry-Spielen Drogenlabore zerstört, Konvois gejagt oder Türme erklommen hat, lässt sich kaum noch zählen. Die Formel funktioniert zwar immer noch, wirkt aber zunehmend ausgereizt.
Die Balance-of-Power-Missionen, in denen man sich für Sabal oder Amita entscheiden muss, sind inhaltlich unterschiedlich, aber mechanisch oft ähnlich. Man verteidigt Außenposten, erobert Gebiete oder zerstört feindliche Anlagen. Die Entscheidungen haben Einfluss auf die Story und das Ende, aber wie bereits erwähnt, wirken sie oft künstlich und frustrierend.
Zusätzlich zur Kampagne gibt es zahlreiche Nebenaktivitäten: Jagd-Missionen, Arena-Kämpfe, Fashion Week (eine Serie abgedrehter Missionen mit zwei britischen Kiffern namens Yogi und Reggie), Waffen-Challenges und vieles mehr. Die Menge an Content ist beeindruckend, allerdings wird vieles davon mit der Zeit repetitiv.
Koop-Modus – Gemeinsam durch Kyrat
Eine der größten Neuerungen ist der Koop-Modus für die Kampagne. Man kann die gesamte Open World mit einem Freund erkunden, Außenposten gemeinsam erobern und sich gegenseitig in brenzligen Situationen helfen. Das funktioniert überraschend gut und sorgt für viele denkwürdige Momente – etwa wenn einer mit dem Gyrokopter Luftunterstützung bietet, während der andere am Boden kämpft.
Besonders clever ist die „Keys to Kyrat“-Funktion auf PlayStation 4: Man kann Freunden einen zeitlich begrenzten Zugang gewähren, selbst wenn diese das Spiel nicht besitzen. So können sie für zwei Stunden kostenlos mitspielen. Diese Feature sollte unbedingt in mehr Spielen implementiert werden.
Der kompetitive Mehrspieler-Modus „Battles of Kyrat“ ist hingegen weniger überzeugend. Es handelt sich um asymmetrische 5-gegen-5-Kämpfe zwischen dem Goldenen Pfad und den Rakshasa (mystische Krieger mit Teleportationsfähigkeiten). Die Modi sind solide, aber nichts, was man nicht schon anderswo besser gesehen hätte. Ähnlich wie bei Far Cry 3 wird der Mehrspieler vermutlich für die meisten Spieler ein vergessener Bonus bleiben.
Technik und Präsentation – Sauber, aber nicht revolutionär
Technisch ist Far Cry 4 auf einem hohen Niveau. Die verbesserte Dunia Engine zaubert eine beeindruckende Spielwelt auf den Bildschirm, auch wenn man merkt, dass die Entwicklung auf die alte Konsolengeneration (PS3, Xbox 360) Rücksicht nehmen musste. Auf PC und den neuen Konsolen sieht das Spiel dennoch sehr gut aus, mit hohen Auflösungen, stabilen Frameraten und schönen Lichteffekten.
Die Soundkulisse ist wieder erstklassig. Troy Bakers Performance als Pagan Min ist herausragend, und auch die deutschen Synchronsprecher liefern solide Arbeit. Die Musik von Cliff Martinez ist atmosphärisch und passt perfekt zur Himalaya-Szenerie, ohne dabei aufdringlich zu werden.
Was auffällt: Far Cry 4 ist bei Release nicht frei von Bugs. Es gibt Grafikfehler, KI-Probleme und gelegentliche Abstürze. Die meisten dieser Probleme wurden durch Patches behoben, aber der Launch-Status war alles andere als makellos – ein Trend, der bei Ubisoft-Spielen leider zur Gewohnheit geworden ist.
Das große Dilemma – Innovation vs. Bewährtes
Hier kommen wir zum Kernproblem von Far Cry 4: Es ist ein hervorragendes Spiel, aber kein innovatives. Nahezu jede Mechanik, jedes Feature, jedes Gameplay-Element wurde aus Far Cry 3 übernommen. Die Formel wurde verfeinert, poliert und mit einigen netten Extras versehen (Elefanten, Gyrokopter, Koop), aber im Kern ist es dasselbe Spiel – nur mit neuer Kulisse.
Das ist nicht unbedingt schlecht. Wenn man Far Cry 3 geliebt hat und einfach mehr davon will, ist Far Cry 4 eine sichere Wahl. Die Spielwelt ist schön, die Kämpfe machen Spaß, und es gibt genug Inhalt für Dutzende Stunden Unterhaltung. Aber wer auf echte Innovation gehofft hatte, wird enttäuscht sein.
Besonders schade ist, dass die Geschichte nicht an die emotionale Wuchtigkeit von Far Cry 3 heranreicht. Ajay Ghale ist ein blasser Protagonist, der kaum eine Charakterentwicklung durchmacht. Man erfährt zwar Details über seine Familiengeschichte, aber er bleibt eine leere Hülle, durch die man die Welt betrachtet. Auch die moralischen Entscheidungen wirken aufgesetzt – die Autoren wollten offenbar zeigen, dass Krieg kompliziert ist und es keine einfachen Antworten gibt, aber das Resultat ist eher frustrierend als erhellend.
Fazit – Solide Fortsetzung ohne Überraschungen
Far Cry 4 ist ein gutes Spiel. Es bietet eine riesige, wunderschöne Open World, befriedigende Shooter-Mechaniken und genug Content, um einen wochenlang zu beschäftigen. Pagan Min ist ein faszinierender Bösewicht, der Koop-Modus macht Spaß, und die neuen Features wie Elefanten und Gyrokopter sind nette Ergänzungen.
Aber es ist auch ein sicheres Spiel. Ubisoft Montreal hat die bewährte Formel von Far Cry 3 genommen und sie in einen neuen Mantel gepackt, ohne wirklich etwas zu wagen. Das Ergebnis ist kompetent und unterhaltsam, aber es fehlt das Gefühl des Frischen, das Far Cry 3 auszeichnete. Man hat das Gefühl, ein sehr gutes Addon zu spielen, keine eigenständige Fortsetzung.
Wer Far Cry 3 verpasst hat oder einfach mehr von der Serie will, kann bedenkenlos zugreifen. Far Cry 4 liefert genau das, was es verspricht: Eine Open-World-Shooter-Erfahrung auf hohem Niveau. Wer jedoch erwartet hatte, dass Ubisoft die Formel weiterentwickelt und neue Wege geht, wird feststellen, dass Far Cry 4 eher ein „Far Cry 3.5“ ist – und das ist gleichzeitig seine größte Stärke und seine größte Schwäche.
Kyrat ist eine Reise wert, aber man sollte nicht erwarten, dort etwas völlig Neues zu entdecken. Es ist vertrautes Terrain – allerdings eines, auf dem man sich nach wie vor hervorragend amüsieren kann.
Bewertung: 8/10
Pro:
- Wunderschöne, abwechslungsreiche Himalaya-Kulisse
- Pagan Min als charismatischer Antagonist
- Spaßiger Koop-Modus für die gesamte Kampagne
- Elefanten als neue Gameplay-Möglichkeit
- Gyrokopter für schnelle Fortbewegung
- Solide Shooter-Mechaniken
- Riesige Menge an Inhalten
- Keys to Kyrat-Feature (PS4)
Contra:
- Wenig Innovation gegenüber Far Cry 3
- Ajay Ghale ist ein blasser Protagonist
- Sabal und Amita sind beide unsympathisch
- Balance-of-Power-Entscheidungen wirken künstlich
- Landschaft visuell weniger vielfältig als Far Cry 3
- Pagan Min taucht zu selten auf
- Viele Bugs zum Release
- Nebenmissionen werden repetitiv










