Ghost of Tsushima 2

[Review] Ghost of Yōtei

Fünf Jahre sind vergangen seit Sucker Punch mit Ghost of Tsushima eines der eindrucksvollsten PlayStation-Exclusive-Titel der vergangenen Generation erschaffen hat. Die Erwartungshaltung war entsprechend hoch, als im September 2024 erstmals Ghost of Yōtei vorgestellt wurde. Nun ist es endlich soweit – die Reise nach Ezo, dem heutigen Hokkaidō, kann beginnen. Doch kann der Nachfolger an die Erfolge des Vorgängers anknüpfen, oder ist die Magie von damals verflogen?

Von Tsushima nach Ezo – ein Sprung durch die Zeit

Ghost of Yōtei spielt im Jahr 1603, gut 329 Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils. Wir befinden uns am nördlichen Rand Japans, weit entfernt vom Einflussbereich der Samurai. Die Geschichte dreht sich um Atsu, eine Söldnerin und Überlebende eines brutalen Massakers. Vor 16 Jahren wurde ihre Familie von einer berüchtigten Bande ermordet – den Yōtei Six. Atsu selbst wurde an einen brennenden Ginkgo-Baum genagelt und dem Tod überlassen. Doch sie überlebte, trainierte Jahre lang und kehrte nun zurück, um Rache zu nehmen.

Die sechs Zielpersonen tragen bezeichnende Codenamen: Die Schlange, Der Oni, Der Kitsune, Die Spinne, Der Drache und Lord Saitō. Bewaffnet mit demselben Katana, das einst benutzt wurde, um sie zu durchbohren, begibt sich Atsu auf einen Feldzug der Vergeltung. Was zunächst wie eine klassische Rachegeschichte anmutet, entwickelt sich jedoch zu etwas Größerem. Auf ihrer Reise durch Ezo trifft Atsu auf unerwartete Verbündete und entdeckt mehr als nur den Wunsch nach Vergeltung – sie findet eine neue Bestimmung.

Das Setting selbst ist faszinierend gewählt. Ezo war historisch gesehen eine Region am Rande des japanischen Einflussbereichs, geprägt von der Kultur der Ainu und gleichzeitig ein Schauplatz politischer Auseinandersetzungen. Sucker Punch nutzt diesen kulturellen Reichtum geschickt, um eine Welt zu erschaffen, die sich deutlich vom sonnendurchfluteten Tsushima unterscheidet.

Atsu – eine würdige Nachfolgerin von Jin Sakai?

Anders als Jin Sakai verkörpert Atsu keine idealistische Samurai-Tugend, die langsam bröckelt. Sie ist von Beginn an eine kampferprobte Überlebenskünstlerin, deren Motivation klar definiert ist. Die Entwickler haben bewusst darauf geachtet, dass Spieler mehr Einfluss auf Atsus Charakter und die Entwicklung der Ghost-Legende haben als beim Vorgänger. Während Jin zwischen Ehre und Notwendigkeit zerrissen wurde, geht es bei Atsu um rohe Überlebensfähigkeit, kulturelle Identität und persönliche Vergeltung.

Interessanterweise trägt Atsu die Ghost-Maske, was darauf hindeutet, dass die Legende von Jin Sakai auch nach über 300 Jahren noch fortlebt. Diese Verbindung zum Vorgänger ist subtil genug, um nicht aufdringlich zu wirken, und dennoch bedeutsam genug, um Fans ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Begleitet wird sie von einem Pferd und einem mysteriösen Wolfsbegleiter, der sowohl im Kampf als auch bei der Erkundung unterstützt – eine willkommene Ergänzung, die dem Gameplay zusätzliche Tiefe verleiht.

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Kampfsystem – verfeinert und erweitert

Das Kampfsystem wurde spürbar verbessert und nuancierter gestaltet. Eine der größten Änderungen: Die verschiedenen Kampfhaltungen aus Tsushima spielen keine zentrale Rolle mehr. Stattdessen bestimmt die gewählte Waffe, wie schnell, präzise oder kraftvoll Atsus Angriffe ausfallen. Das Arsenal wurde deutlich erweitert und umfasst nun Doppelkatanas, Ōdachi, Kusarigama, Speere und sogar Tanegashima-Feuerwaffen – ein durchaus kontroverses, aber historisch akkurates Element für diese Zeitperiode.

Jede Waffe verfügt über einen eigenen Upgrade-Baum, der es ermöglicht, individuelle Spielstile zu entwickeln. Die Doppelkatanas beispielsweise sind besonders effektiv gegen Gegner mit Speeren, während das Ōdachi bei schwer gepanzerten Feinden punktet. Die Waffenwahl ist somit nicht nur kosmetischer Natur, sondern hat tatsächlich taktische Bedeutung. Perfekte Paraden füllen die Resolve-Leiste, die wiederum cineastische Finisher freischaltet – sogenannte Spirit Arts. Das Zusammenspiel aus Ausweichen, Blocken und Kontern fühlt sich flüssiger an als je zuvor.

Stealth bleibt ein zentraler Gameplay-Pfeiler. Mit dem Hawk’s Eye Vision-Modus lassen sich Umgebungen scannen und interaktive Objekte wie Pulverfässer oder Glocken identifizieren, die zur Ablenkung genutzt werden können. Die Gegner-KI hat sich adaptiert und passt ihre Taktiken an das Spielverhalten an. Wer beispielsweise zu sehr auf Bogenschießen oder Sprengstoff setzt, wird mit entsprechenden Gegenmaßnahmen konfrontiert. Das sorgt dafür, dass man seine Herangehensweise variieren muss.

Ezo – eine Welt voller Kontraste

Visuell ist Ghost of Yōtei schlichtweg atemberaubend. Die Umgebung ist in verschiedene Biome unterteilt, die vom verschneiten Mount Yōtei über herbstliche Wälder bis zu Wildblumenfeldern reichen. Die Detailverliebtheit ist beeindruckend und erinnert an Red Dead Redemption 2, was in der Branche als Goldstandard für Open-World-Gestaltung gilt. Dynamische Wettersysteme mit Schneestürmen, Nordlichtern und realistischer Vegetationsphysik hauchen der Welt Leben ein.

Besonders bemerkenswert ist, wie Sucker Punch den Spagat zwischen malerischer Schönheit und lebendiger Welt gemeistert hat. Während man durch die Wildblumenfelder reitet, die Kirschblüten um den schneebedeckten Vulkan bewundert oder den Blick über herbstliche Wälder schweifen lässt, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die verschiedenen visuellen Modi sind ein weiteres Highlight: Neben dem beliebten Kurosawa-Modus gibt es nun den „Miike-Modus“ mit blutiger, stilisierter Ästhetik und den „Watanabe-Modus“, der mit entspannten Lo-Fi-Beats an den Soundtrack von Cowboy Bebop erinnert.

Der Foto-Modus wurde erweitert und bietet nun volumetrische Nebel-Regler, benutzerdefinierte Katana-Posen und Ainu-Tanzanimationen. Es ist schwer, hier nicht ständig anzuhalten und Screenshots zu erstellen. Die PlayStation 5 wird voll ausgenutzt, und die Unterstützung für die PS5 Pro zeigt sich in noch schärferen Texturen und flüssigeren Bildraten.

Umfang und Nebenbeschäftigungen

Die Hauptstory nimmt etwa 30 Stunden in Anspruch, doch wer die riesige Open-World erkunden, Nebenquests absolvieren und Sammelgegenstände finden möchte, kann diese Zeit problemlos verdreifachen. Die sechs Hauptziele können in beliebiger Reihenfolge angegangen werden, was der Erkundung zusätzliche Freiheit verleiht. Ein Kopfgeldsystem ermöglicht es, zusätzliche Aufträge anzunehmen und sich so die nötigen Mittel für die Reise zu verdienen.

Neben den Story-Missionen gibt es zahlreiche Nebenbeschäftigungen: Kopfgeldjagden, Begegnungen mit der Tierwelt, entspannende Besuche in heißen Quellen, Kochen am Lagerfeuer und klassische Minispiele wie das Bambus-Schneiden. Besonders gelungen ist das überarbeitete Camp-System. Atsu kann überall ein Lager errichten, sich ausruhen, Shamisen spielen oder Reisende treffen, die sich ans Lagerfeuer setzen und ihre Geschichten erzählen. Diese charaktergetriebene Art, NPCs kennenzulernen, wirkt organischer als die Quest-Giver-Mechanik vieler anderer Open-World-Spiele.

Die sogenannten „Mythic Tales“ kehren mit aufwendigen mehrstufigen Bosskämpfen zurück, die an Atsus Ahnenlegenden gebunden sind. Der Abschluss dieser Quests belohnt mit einzigartigen Rüstungssets, die Synergie-Boni mit haltungsspezifischen Talismanen freischalten. Spirit Burrows ersetzen die Fuchsschreine, Haiku-Gedenkstätten und kulturelle Begegnungen mit den Ainu lehren neue Rezepte fürs Crafting.

Ein cleveres Feature ist die Möglichkeit, per Knopfdruck in Atsus Vergangenheit einzutauchen. Die Umgebung ändert sich sofort, um ihre Erinnerungen zu imitieren – ein narratives Werkzeug, das geschickt eingesetzt wird, um Hintergründe zu vermitteln, ohne den Spielfluss zu unterbrechen.

Sound und Atmosphäre

Audiovisuell zeigt sich Ghost of Yōtei von seiner besten Seite. Der Soundtrack wurde von einem Team talentierter Komponisten erschaffen und verbindet traditionelle japanische Instrumente mit modernen Orchestrierungen. Die Musik unterstreicht ruhige Passagen ebenso gekonnt wie actionreiche Sequenzen und trägt maßgeblich zur dichten Atmosphäre bei.

Die deutsche Synchronisation ist durchweg hochwertig, wenngleich die Option besteht, mit englischer oder japanischer Sprachausgabe zu spielen. Gerade Letzteres verleiht dem Spiel zusätzliche Authentizität. Die Umgebungsgeräusche – von knarrenden Holzplanken über das Pfeifen des Windes bis zum Knistern des Lagerfeuers – sind liebevoll gestaltet und ziehen einen tief in die Welt von Ezo hinein.

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Kritikpunkte und Schwächen

So beeindruckend Ghost of Yōtei auch ist, bleibt es nicht ohne Makel. Die Geschichte, so spannend sie beginnt, entwickelt sich im Mittelteil etwas vorhersehbar. Die Rachethematik wurde in unzähligen Geschichten durchdekliniert, und obwohl Sucker Punch versucht, Atsus Reise zusätzliche emotionale Tiefe zu verleihen, erreicht die Erzählung nicht ganz die narrative Wucht des Vorgängers. Einige Nebencharaktere bleiben eindimensional und erfüllen eher funktionale Rollen, als dass sie wirklich lebendig wirken würden.

Die Gegner-KI zeigt sich zwar adaptiv, kann aber in bestimmten Situationen noch Schwächen offenbaren. Gelegentlich bleiben Feinde an Umgebungsgeometrie hängen oder reagieren verzögert auf Aktionen des Spielers. Zudem wiederholen sich trotz der Vielfalt manche Zufallsbegegnungen und Nebenmissionen nach einigen Stunden – ein bekanntes Problem vieler Open-World-Titel.

Das Kopfgeldsystem ist eine interessante Ergänzung, wirkt aber manchmal etwas generisch. Die meisten Kopfgeldjagden laufen nach ähnlichen Mustern ab: Zielperson aufspüren, eliminieren, Belohnung kassieren. Hier hätte man sich etwas mehr Variation gewünscht, etwa durch komplexere Jagdszenarien oder moralische Dilemmata.

Ein weiterer Punkt ist die Balance zwischen Stealth und offenem Kampf. Während das Spiel beide Spielstile unterstützt, fühlt sich der frontale Kampf oft belohnender an, da die cineastischen Finisher und Spirit Arts visuell spektakulärer sind als heimliche Attentate. Puristen, die einen reinen Stealth-Ansatz bevorzugen, könnten sich hier etwas vernachlässigt fühlen.

Legends-Modus und zukünftige Inhalte

Der beliebte Legends-Modus aus Ghost of Tsushima kehrt zurück, allerdings nicht zum Launch. Sony hat bestätigt, dass diese Koop-fokussierte Erfahrung mit vier Klassen und neuen Missionen im Jahr 2026 erscheinen wird. Das ist schade, denn gerade der Multiplayer-Anteil hat dem Vorgänger langfristige Relevanz verliehen. Fans müssen sich also noch etwas gedulden, bis sie gemeinsam mit Freunden durch Ezo ziehen können.

Fazit zu Ghost of Yōtei

Sucker Punch hat mit Ghost of Yōtei einen würdigen Nachfolger geschaffen, der in vielen Bereichen über den Vorgänger hinausgeht, in manchen aber auch knapp dahinter zurückbleibt. Die technische und visuelle Umsetzung ist herausragend und gehört zum Besten, was die PlayStation 5 derzeit zu bieten hat. Das verfeinerte Kampfsystem mit erweiterten Waffenoptionen und die atemberaubende Darstellung Ezos machen das Spiel zu einem Must-Play für Fans des Originals.

Die Geschichte rund um Atsu ist solide erzählt, erreicht aber nicht ganz die emotionale Tiefe von Jin Sakais Reise. Einige narrative Entscheidungen wirken vorhersehbar, und manche Nebencharaktere hätten mehr Entwicklung verdient. Dennoch bietet das Spiel genug Highlights und überraschende Wendungen, um die Spieler bei der Stange zu halten.

Der Umfang ist beachtlich. Mit gut 30 Stunden für die Hauptstory und potenziell über 90 Stunden für Leute der „Ich mache absolut alles!“-Fraktion gibt es reichlich zu tun. Die Vielfalt der Nebenbeschäftigungen und die Freiheit, die Hauptziele in beliebiger Reihenfolge anzugehen, sorgen für hohen Wiederspielwert. Das überarbeitete Camp-System und die charaktergetriebenen Begegnungen verleihen der Welt zusätzliche Lebendigkeit.

Ghost of Yōtei ist ein grandioses Action-Adventure, das die Stärken seines Vorgängers aufgreift und in vielerlei Hinsicht erweitert. Es zeigt eindrucksvoll, was mit der PlayStation 5 möglich ist und zementiert Sucker Punchs Ruf als eines der talentiertesten Entwicklerstudios der Branche. Wer den ersten Teil geliebt hat, wird auch hier seine Freude haben – auch wenn man sich eingestehen muss, dass die ursprüngliche Magie von Tsushima schwer zu reproduzieren ist. Dennoch: Ghost of Yōtei gehört definitiv auf die „Sollte man gespielt haben“-Liste.

Wertung: 8.8/10

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