Mit Icewind Dale präsentiert uns Black Isle Studios ein weiteres Dungeons & Dragons Computer-Rollenspiel, das auf der bewährten Infinity Engine basiert – jener Technik, die bereits Baldur’s Gate zu einem wahren Meisterwerk gemacht hat. Doch während Baldur’s Gate mit seiner komplexen Charakterentwicklung und den verzweigten Storylines brillierte, schlägt Icewind Dale einen anderen Weg ein. Hier steht nicht die Politik von Athkatla oder die Intrigen der Schwertküste im Mittelpunkt, sondern pure, unverfälschte Action im ewigen Eis des Nordens.
Nach dem grandiosen Erfolg von Baldur’s Gate (und dem bereits angekündigten Baldur’s Gate 2, auf das wir alle sehnsüchtig warten) war die Erwartungshaltung an Black Isle Studios natürlich hoch. Die Frage war: Kann man mit derselben Engine noch einmal überzeugen, ohne sich dabei zu wiederholen? Die Antwort lautet: Ja, aber auf eine völlig andere Art und Weise.
Die Story von Icewind Dale
Die Geschichte führt uns in die raue, unwirtliche Region des Icewind Dale, wo die Bewohner des kleinen Städtchens Easthaven mit mysteriösen Problemen zu kämpfen haben. Seltsame Kreaturen bedrohen die Karawanenwege, uralte Übel erwachen aus ihrem Schlaf und das Böse scheint langsam aber sicher die Region zu übernehmen. Als Anführer einer sechsköpfigen Abenteurergruppe ist es eure Aufgabe, diesen Bedrohungen auf den Grund zu gehen und dabei das Geheimnis des eisigen Nordens zu lüften.
Was Icewind Dale von seinem großen Bruder Baldur’s Gate unterscheidet, ist die Art der Erzählung. Während Baldur’s Gate eine sehr charaktergetriebene Geschichte erzählte (wer könnte schon Minsc und seinen Hamster Boo vergessen?), konzentriert sich Icewind Dale mehr auf die pure Atmosphäre und das „Gefühl“ des Abenteuers. Die Story ist geradliniger, weniger verzweigt, aber dadurch auch fokussierter. Es ist, als würde man einen klassischen Dungeons & Dragons-Abend mit Freunden nachspielen – weniger politische Intrigen, dafür mehr klassisches „Dungeon Crawling“.
Das bedeutet aber keineswegs, dass die Geschichte langweilig wäre. Im Gegenteil: Die Dialoge sind gut geschrieben, die NPCs haben Charakter (auch wenn sie nicht ganz so ausgefeilt sind wie in Baldur’s Gate) und die Geheimnisse, die ihr nach und nach lüftet, sind durchaus spannend. Besonders die Hintergrundgeschichte der Region und die Verbindungen zu vergangenen Ereignissen sind faszinierend ausgearbeitet.
Gameplay und Charaktererstellung
Hier zeigt Icewind Dale seine wahren Stärken. Die Charaktererstellung ist sogar noch umfangreicher als in Baldur’s Gate, was hauptsächlich daran liegt, dass ihr alle sechs Gruppenmitglieder selbst erschafft. Keine vorgefertigten NPCs, die sich eurer Gruppe anschließen – ihr seid der Architekt eurer gesamten Truppe. Das mag zunächst einschüchternd wirken (besonders für Neueinsteiger), bietet aber auch ungeahnte Möglichkeiten.
Die verfügbaren Klassen und Rassen sind vielfältig und jede Kombination eröffnet neue taktische Möglichkeiten. Wollt ihr eine ausgewogene Gruppe mit Kämpfer, Magier, Dieb und Kleriker? Oder experimentiert ihr lieber mit exotischeren Kombinationen? Wie wäre es mit einem kompletten Magier-Team oder einer Truppe aus lauter Barbaren? Icewind Dale lässt euch die Freiheit, genau die Gruppe zusammenzustellen, die eurem Spielstil entspricht.
Das Kampfsystem übernimmt die bewährte Realtime-with-Pause-Mechanik von Baldur’s Gate, fühlt sich aber deutlich actionlastiger an. Während ihr in Baldur’s Gate oft minutenlang Dialoge führen konntet, ohne einen einzigen Gegner zu Gesicht zu bekommen, geht es in Icewind Dale deutlich öfter zur Sache. Das ist keineswegs negativ gemeint – es ist einfach ein anderer Ansatz. Wenn ihr Lust auf taktische Kämpfe gegen Horden von Goblins, Orcs und anderen fiesen Kreaturen habt, seid ihr hier goldrichtig.
Die Dungeons sind liebevoll gestaltet und bieten genau die richtige Mischung aus Rätseln, Fallen und Kämpfen. Besonders gelungen sind die größeren Komplexe, die sich über mehrere Ebenen erstrecken und immer wieder neue Überraschungen bereithalten. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei fair, aber durchaus fordernd. Wer Baldur’s Gate zu leicht fand, wird hier definitiv mehr gefordert.
Grafik und Präsentation
Optisch baut Icewind Dale natürlich auf der Infinity Engine auf, zeigt aber deutliche Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Baldur’s Gate. Die Texturen sind schärfer, die Animationen flüssiger und die Effekte bei Zaubern einfach spektakulär. Besonders beeindruckend sind die verschiedenen Eislandschaften, die nie langweilig werden, obwohl das Setting naturgemäß nicht so abwechslungsreich sein kann wie die Schwertküste.
Die Benutzeroberfläche wurde gegenüber Baldur’s Gate leicht überarbeitet und ist noch intuitiver geworden. Besonders die Charakterbögen sind übersichtlicher gestaltet, was bei sechs selbsterstellten Charakteren auch dringend nötig ist. Die Inventarverwaltung funktioniert einwandfrei und auch das Zauberlernen und -vorbereiten ist problemlos möglich.
Ein besonderes Lob verdienen die Zaubereffekte. Wenn ein Feuerball explodiert oder ein Blitzschlag einschlägt, dann spürt man das förmlich. Die Entwickler haben hier wirklich ganze Arbeit geleistet und die optische Präsentation der Magie auf ein neues Level gehoben.
Sound und Atmosphäre
Hier spielt Icewind Dale seine vielleicht größte Stärke aus. Der Soundtrack von Jeremy Soule ist schlichtweg grandios. Die Melodien fangen die Atmosphäre des eisigen Nordens perfekt ein und schaffen es, sowohl die Einsamkeit der Wildnis als auch die Spannung der Dungeons zu transportieren. Wenn ihr durch einen Schneesturm wandert und die Musik langsam anschwillt, bekommt ihr garantiert Gänsehaut.
Die Sprachausgabe ist durchweg professionell, auch wenn nicht jeder Dialog vertont ist (was bei der Masse an Text auch verständlich ist). Die Soundeffekte passen perfekt zur Stimmung – das Knirschen des Schnees unter den Füßen, das Klirren von Schwertern oder die unheimlichen Geräusche in verlassenen Ruinen.
Besonders atmosphärisch wird es in den Dungeons. Die Entwickler haben es geschafft, eine Stimmung zu erschaffen, die einen wirklich in ihren Bann zieht. Man fühlt sich tatsächlich wie ein Abenteurer, der durch uralte, vergessene Gewölbe wandelt und dabei nie weiß, was hinter der nächsten Ecke lauert.
Das Fazit zu Icewind Dale
Icewind Dale ist kein Baldur’s Gate 2 – und das will es auch gar nicht sein. Stattdessen bietet es genau das, was der Titel verspricht: Ein klassisches Dungeons & Dragons-Abenteuer, das sich auf die Essenz des Rollenspiels besinnt. Weniger komplexe Charakterinteraktionen, dafür mehr taktische Kämpfe. Weniger politische Intrigen, dafür mehr atmosphärische Dungeons.
Wer auf der Suche nach einer epischen Geschichte mit unvergesslichen Charakteren ist, sollte vielleicht lieber auf Baldur’s Gate 2 warten (oder nochmal das Original spielen). Wer aber Lust auf klassisches „Hack’n’Slash“ mit taktischer Tiefe hat, findet in Icewind Dale genau das richtige Spiel.
Die Stärken liegen eindeutig im exzellenten Charaktersystem, den fordernden aber fairen Kämpfen und der unvergleichlichen Atmosphäre. Die etwas geradlinigere Story und die weniger ausgeprägten Charakterinteraktionen sind verkraftbare Schwächen, die dem Spielspaß keinen Abbruch tun.
Black Isle Studios hat bewiesen, dass die Infinity Engine noch lange nicht ausgereizt ist und dass es durchaus möglich ist, mit derselben Technik völlig unterschiedliche Spielerfahrungen zu schaffen. Icewind Dale ist ein würdiger Vertreter des CRPG-Genres und ein Muss für jeden Fan klassischer Rollenspiele.
Für alle, die schon immer mal eine eigene Abenteurergruppe zusammenstellen und diese durch eisige Wildnis und gefährliche Dungeons führen wollten, ist Icewind Dale eine klare Empfehlung. Das Spiel macht genau das, was es verspricht, und das auf höchstem Niveau.
Bewertung: 8/10