Indiana Jones und der Große Kreis

[Review] Indiana Jones und der Große Kreis

Nach Jahrzehnten der Enttäuschungen rund um die Marke Indiana Jones wagte sich MachineGames, die Entwickler der modernen Wolfenstein-Reihe, an das wohl schwierigste Unterfangen der Spieleindustrie: Ein würdiges Spiel zu einer der legendärsten Filmfiguren aller Zeiten zu entwickeln. Mit Indiana Jones und der Große Kreis ist ihnen nicht nur ein respektabler Versuch gelungen, sondern das vermutlich beste Indiana Jones-Abenteuer seit Jahrzehnten. Was zunächst nach einem weiteren lizenzbasierten Cash-Grab aussah, entpuppt sich als liebevolle Hommage an das, was Indy wirklich ausmacht.

Direkt von Beginn an wird klar, dass hier Fans am Werk waren, die verstanden haben, was Indiana Jones so besonders macht. Die Eingangssequenz ist eine nahezu shot-für-shot Nachstellung des legendären Tempelbeginns aus „Jäger des verlorenen Schatzes“ und zeigt sofort: Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Doch anstatt bei dieser Referenz stehen zu bleiben, öffnet sich das Spiel schnell zu einem eigenständigen, globalen Abenteuer, das sich nahtlos zwischen „Jäger des verlorenen Schatzes“ und „Der letzte Kreuzzug“ einreiht.

Story und Gameplay

Im Jahr 1937 ermittelt Indiana Jones nach einem mysteriösen Einbruch im Archäologie-Museum des Marshall College, bei dem ein rätselhafter, überdimensionaler Eindringling ein scheinbar unbedeutendes Artefakt gestohlen hat. Was als einfacher Diebstahl beginnt, entwickelt sich schnell zu einem weltumspannenden Rennen gegen faschistische Kräfte, die versuchen, eine uralte Macht zu nutzen, die mit dem sogenannten „Großen Kreis“ verbunden ist – mysteriösen Orten von kultureller Bedeutung, die auf einer Weltkarte einen perfekten Kreis bilden.

Die Reise führt Indy von den heiligen Hallen des Vatikans über die Pyramiden von Gizeh bis in die eisigen Höhen des Himalayas und darüber hinaus. Jeder Schauplatz ist mit akribischer Liebe zum Detail gestaltet und lädt zum Erkunden ein. Besonders beeindruckend ist die Vatican-Sektion, in der man stundenlang die Sixtinische Kapelle bestaunen oder die versteckten Ruinen tief unter der heiligen Stadt erforschen kann, ohne auch nur ansatzweise alle Geheimnisse zu entdecken.

Was das Spiel von anderen Action-Adventures unterscheidet, ist sein überraschend starker Fokus auf Stealth-Gameplay. Anstatt als Ego-Shooter im Stil von Wolfenstein daher zu kommen, erinnert „Der Große Kreis“ eher an Dishonored. Das passt perfekt zu Indiana Jones‘ Charakter – er ist kein Rambo-artiger Supersoldat, sondern ein Archäologe, der sich lieber geschickt durch Gefahren mogelt, als sich durchzuballern. Gewaltsame Auseinandersetzungen sind kurz und heftig, genau wie man es aus den Filmen kennt.

Die First-Person-Perspektive, die anfangs für gemischte Reaktionen sorgte, erweist sich als geniale Designentscheidung. Sie unterscheidet das Spiel klar von Tomb Raider und Uncharted und sorgt für eine unglaubliche Immersion. Wenn man Indys Peitsche benutzt, um über Abgründe zu schwingen, oder mit bloßen Händen eine Fackel anfasst, fühlt man sich wirklich wie der berühmte Archäologe. Auch das Öffnen von Türen mit einem physischen Schlüssel oder das Hervorholen der In-Game-Karte als tatsächliches Objekt verstärken dieses Gefühl erheblich.

Der perfekte Indy

Troy Baker liefert als Stimme von Indiana Jones eine Meisterleistung ab. Seine Interpretation ist so überzeugend, dass man zeitweise vergisst, dass es nicht Harrison Ford ist. Baker fängt nicht nur Fords charakteristische Sprechweise ein, sondern auch die subtilen Nuancen, die Indiana Jones zu mehr als nur einem Action-Helden machen – seinen Witz, seine Unsicherheit in zwischenmenschlichen Beziehungen und seine echte Leidenschaft für Geschichte und Archäologie.

Besonders gelungen ist auch die Darstellung des Hauptschurken Emmerich Voss, einem Nazi-Archäologen, der Indys Fähigkeiten ebenbürtig ist, aber von reiner Machtgier getrieben wird. Die Duelle zwischen den beiden, sowohl verbal als auch physisch, gehören zu den Höhepunkten des Spiels. MachineGames versteht es, Voss als einen Gegner zu präsentieren, den man wirklich hasst – perfekt für ein Spiel, in dem das Verprügeln von Nazis seit jeher zur Kernidentität gehört.

Die Nebenfigur Gina Lombardi, eine italienische Journalistin, die Indy auf seiner Reise begleitet, ist mehr als nur ein Sidekick. Sie hat ihre eigene Agenda und Persönlichkeit und trägt wesentlich zur emotionalen Tiefe der Geschichte bei. Die Chemie zwischen den Charakteren funktioniert auf Anhieb und sorgt dafür, dass man sich tatsächlich für ihr Schicksal interessiert.

Rätsel und Erkundung

Wo „Der Große Kreis“ wirklich glänzt, sind die Rätsel und die Erkundung. Die Entwickler haben es geschafft, Puzzle zu kreieren, die sowohl herausfordernd als auch lösbar sind, ohne jemals frustrierend zu werden. Von komplexen Mechanismen in uralten Tempeln bis hin zu cleveren Worträtseln, die historisches Wissen erfordern – jedes Rätsel fühlt sich an, als könnte es direkt aus einem Spielberg-Film stammen.

Besonders lobenswert ist, wie das Spiel echte historische Orte und Fakten mit seiner fiktiven Handlung verwebt. Die Entwickler haben offensichtlich ihre Hausaufgaben gemacht, und es zeigt sich in jedem Detail, von den akkurat nachgebildeten Architekturen bis hin zu den historisch korrekten Artefakten, die man entdecken kann.

Das Spiel belohnt neugierige Spieler mit zahlreichen optionalen Inhalten. Sogenannte „Feldarbeit“ – Nebenmissionen, die sich nahtlos in die Haupthandlung einfügen – bieten nicht nur zusätzliche Spielzeit, sondern vertiefen auch das Verständnis für die Welt und Geschichte. Anders als in vielen anderen Open-World-Spielen fühlen sich diese Aufgaben nie wie sinnlose Sammelaktionen an, sondern wie echte archäologische Entdeckungen.

Atmosphäre und Präsentation

Optisch ist „Der Große Kreis“ eine wahre Augenweide. Die verschiedenen Schauplätze sind nicht nur schön anzusehen, sondern strotzen vor Atmosphäre. Wenn die Sonne über der ägyptischen Wüste untergeht oder wenn Regentropfen auf die Kopfsteinpflaster römischer Gassen prasseln, entsteht eine cinematische Qualität, die den Filmen in nichts nachsteht. Die Beleuchtung verdient besondere Erwähnung – sie sorgt dafür, dass die Charaktermodelle zeitweise fotorealistisch wirken.

Der Soundtrack von Gordy Haab, basierend auf John Williams‘ legendären Kompositionen, wurde mit 86 Musikern in den Abbey Road Studios aufgenommen – denselben Studios, wo ursprünglich die Musik zu „Jäger des verlorenen Schatzes“ eingespielt wurde. Das Ergebnis ist eine Partitur, die sowohl vertraut als auch frisch klingt und die emotionalen Höhepunkte des Spiels perfekt untermalt.

Die deutsche Synchronisation verdient ebenfalls Lob. Auch wenn die englische Originalversion durch Troy Bakers außergewöhnliche Leistung besticht, steht die deutsche Fassung ihr in nichts nach und macht das Spiel auch für weniger englischaffine Spieler zugänglich.

Ein paar Stolpersteine

Bei aller Begeisterung gibt es durchaus Kritikpunkte. Die Kampfmechanik, obwohl atmosphärisch stimmig, kann gelegentlich etwas träge wirken. Besonders längere Kampfsequenzen offenbaren, dass MachineGames hier nicht ganz so sicher ist wie beim Stealth-Gameplay. Die KI der Gegner ist teilweise vorhersagbar, was den Schwierigkeitsgrad unausgewogen macht.

Auch das Platforming – das Klettern und Springen – fühlt sich manchmal etwas steif an. Die Übergänge zwischen First- und Third-Person-Perspektive bei bestimmten Aktionen sind nicht immer nahtlos gelöst und können aus der Immersion reißen.

Ein größeres Problem sind die teilweise etwas langwierigen Sammelaufgaben. Während die meisten Nebenaktivitäten sinnvoll in die Geschichte integriert sind, gibt es doch einige klassische „Ubisoft-Style“ Sammelquest, die sich im Jahr 2024 etwas angestaubt anfühlen. Das Sammeln von Büchern zur Verbesserung von Kampf- und Überlebensfähigkeiten ist zwar thematisch passend, wird aber schnell zur Routine.

Zudem fehlt es dem Spiel an der Option, bereits gesehene Cutscenes zu überspringen – ein ärgerlicher Punkt für Spieler, die einzelne Abschnitte wiederholen möchten, um alternative Lösungswege auszuprobieren.

Fazit zu Indiana Jones und der Große Kreis

Nach dem enttäuschenden „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ und dem nur mäßig erfolgreichen „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ schien es, als wäre die Magie von Indiana Jones für immer verloren. MachineGames beweist mit „Der Große Kreis“ das Gegenteil. Hier ist ein Team am Werk, das nicht nur versteht, was Indiana Jones ausmacht, sondern auch weiß, wie man diese Essenz in ein interaktives Medium übersetzt.

Das Spiel gelingt dort, wo die letzten Filme versagt haben: Es fängt den Geist der ursprünglichen Trilogy ein, ohne sich sklavisch an alte Formeln zu klammern. Die First-Person-Perspektive war eine gewagte Entscheidung, die sich als Geniestreich erweist. Sie sorgt für eine Immersion, die bei Tomb Raider oder Uncharted so nie möglich wäre.

Mit etwa 25-30 Stunden Spielzeit (je nachdem, wie viele Geheimnisse man entdecken möchte) bietet „Der Große Kreis“ eine perfekt portionierte Erfahrung. Es überstrapaziert weder seine Mechaniken noch seine Willkommenszeit und hinterlässt den Spieler mit dem Gefühl, ein echtes Indiana Jones-Abenteuer erlebt zu haben.

Ist es das perfekte Spiel? Nein. Ist es das beste Indiana Jones-Spiel seit „Fate of Atlantis“ und eine der besten lizenzbasierten Videospieladaptionen überhaupt? Definitiv. MachineGames hat bewiesen, dass sie mehr sind als nur die Wolfenstein-Entwickler – sie sind Geschichtenerzähler, die verstehen, was geliebte Charaktere so besonders macht.

„Indiana Jones und der Große Kreis“ ist ein Liebesbrief an alles, was die Marke groß gemacht hat, und gleichzeitig ein Beweis dafür, dass es in der Videospielindustrie noch Platz für liebevoll gestaltete, cinematische Einzelspieler-Erlebnisse gibt. Wer auch nur einen Funken Nostalgie für den Mann mit dem Fedora verspürt, sollte sich dieses Abenteuer nicht entgehen lassen.

Nach Jahren der Enttäuschung haben wir endlich wieder einen Grund, uns auf neue Indiana Jones-Geschichten zu freuen. Hoffentlich ist das erst der Anfang einer wunderbaren Partnerschaft zwischen MachineGames und der legendärsten Abenteurerfigur des Kinos.

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