Indika

[Review] INDIKA

Mit INDIKA legt das russisch-kasachische Indie-Studio Odd Meter seinen Debüttitel vor, der von Publisher 11 bit Studios veröffentlicht wird. Das Third-Person-Adventure führt uns in ein alternatives Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte einer jungen Nonne, die sich auf eine Reise der Selbstfindung begibt. An ihrer Seite dabei: der Teufel höchstpersönlich. Was auf den ersten Blick nach einer klassischen Gut-gegen-Böse-Geschichte klingt, entpuppt sich schnell als weitaus komplexeres Konstrukt, das mit religiösen Themen, philosophischen Fragestellungen und einer gehörigen Portion schwarzem Humor aufwartet. Dabei bedient sich INDIKA einer unkonventionellen Erzählweise und einem Mix aus unterschiedlichen Stilelementen, der polarisiert, aber garantiert im Gedächtnis bleibt.

Eine Reise durch Zweifel und Glauben

Die Geschichte beginnt in einem Kloster irgendwo in der russischen Provinz. Hier treffen wir auf Indika, unsere Protagonistin, die von ihren Mitschwestern gemieden und für die niedrigsten Arbeiten eingeteilt wird. Der Grund dafür bleibt zunächst im Dunkeln, doch schnell wird klar: Indika führt Selbstgespräche. Oder besser gesagt, sie unterhält sich mit einer Stimme in ihrem Kopf, die sie für den Teufel hält. Diese Stimme begleitet sie ständig, kommentiert ihr Handeln, zweifelt an ihren Überzeugungen und stellt unbequeme Fragen. Als Indika den Auftrag erhält, einen Brief an ein anderes Kloster zu überbringen, beginnt eine Odyssee, die sie weit über die schützenden Mauern ihres bisherigen Lebens hinausführt.

Unterwegs begegnet sie Ilya, einem entflohenen Gefangenen, der fest davon überzeugt ist, dass Gott zu ihm spricht und ihn zu einem heiligen Relikt führen will. Das Kudets von Johannes von Damaskus soll seinen mit Frostbrand befallenen Arm heilen. Was zunächst wie eine Geiselnahme beginnt, entwickelt sich zu einer gemeinsamen Reise zweier Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, aber mehr verbindet als sie zunächst ahnen. Während Ilya auf ein göttliches Wunder hofft, kämpft Indika mit ihren eigenen Dämonen und dem wachsenden Zweifel an ihrem Glauben.

Die Handlung von INDIKA ist geprägt von einer düsteren Grundstimmung, die immer wieder von absurden und teilweise urkomischen Momenten durchbrochen wird. Das Spiel scheut sich nicht, schwere Themen wie religiösen Fundamentalismus, Schuld, Sünde und die Frage nach dem freien Willen anzusprechen. Dabei gelingt es den Entwicklern erstaunlich gut, eine Balance zu halten zwischen ernsthafter Auseinandersetzung und satirischer Brechung. Manche Szenen sind dabei so unerwartet und schräg inszeniert, dass man nicht weiß, ob man lachen oder erschüttert sein soll. Genau diese Ambivalenz macht einen großen Teil des Reizes von INDIKA aus.

Die Erzählstruktur erinnert dabei an die Werke russischer Literaten wie Dostojewski oder Bulgakow, deren Einfluss unverkennbar ist. Die Geschichte wird linear erzählt, unterbrochen von Rückblenden aus Indikas Vergangenheit, die in einem komplett anderen visuellen Stil präsentiert werden. Diese Flashbacks im 16-Bit-Pixelart-Gewand erzählen von Indikas Leben vor dem Kloster, ihrer Beziehung zu ihrem Vater und einer tragischen Liebe zu einem Roma-Jungen namens Mirko. Nach und nach fügen sich die Puzzleteile zusammen und man begreift, warum Indika ist, wie sie ist, und was sie ins Kloster getrieben hat.

Gameplay zwischen Gehen und Grübeln

Vom spielerischen Ansatz her ist INDIKA ein klassisches Story-Adventure mit Walking-Simulator-Elementen und eingestreuten Rätselpassagen. Mit dem linken Stick bewegt man Indika durch die Spielwelt, mit dem rechten bestimmt man die Blickrichtung. Die meiste Zeit erkundet man die kargen, winterlichen Landschaften Russlands, unterhält sich mit Ilya oder dem Teufel und versucht, seinen Weg zum nächsten Ziel zu finden. Die Steuerung ist simpel gehalten und verzichtet auf komplexe Mechaniken. Das passt zur Gesamtkonzeption des Spiels, das seinen Fokus klar auf die narrative Erfahrung legt.

Immer wieder begegnen uns dabei Rätsel, die sich meist um das Verschieben von Objekten, das Aktivieren von Mechanismen oder einfache Plattformelemente drehen. Diese sind fair gestaltet und nie übermäßig fordernd, können aber durchaus etwas Denkarbeit erfordern. Sie dienen vor allem dazu, das Tempo zu variieren und dem Spieler kleine Erfolgserlebnisse zu bescheren. Besonders amüsant ist dabei die Motorrad-Verfolgungsjagd zu Beginn der Reise mit Ilya, bei der Indika ein dampfbetriebenes Fahrrad steuern muss. Diese Szene vereint Monty-Python-esken Humor mit echter Spannung und gehört zu den unvergesslichsten Momenten des Spiels.

Ein besonderes Gameplay-Element ist das Punktesystem, das INDIKA einführt. Indika kann fromme Handlungen vollbringen: Kerzen anzünden, für Verstorbene beten oder heilige Orte besuchen. Für jede dieser Aktionen erhält sie Punkte, die oben links im Bildschirm angezeigt werden. Diese Punkte lassen sich nutzen, um „Skills“ freizuschalten, mit Namen wie Schuld, Reue oder Buße. Das Ganze wirkt zunächst wie ein klassisches Progression-System, doch das Spiel macht schnell klar: Diese Punkte sind wertlos. Es ist eine satirische Anspielung darauf, wie Menschen religiöse Handlungen vollziehen, um sich selbst besser zu fühlen oder Anerkennung zu erlangen, ohne dass dies tatsächliche spirituelle Bedeutung hat. Selbst Karl Marx wird im Spiel zitiert und gibt seine Meinung dazu ab. Diese selbstironische Brechung von Videospiel-Konventionen ist typisch für INDIKA und zeigt, dass die Entwickler genau wissen, was sie tun.

Die Spielzeit von INDIKA beträgt etwa fünf bis sieben Stunden für einen Durchlauf. Das klingt zunächst kurz, ist aber für diese Art von Spiel absolut angemessen. INDIKA erzählt seine Geschichte konzentriert und ohne unnötige Längen. Es gibt keine Open-World-Füllaufgaben, keine Sammelgegenstände-Marathons oder grindartige Sequenzen. Das Spiel respektiert die Zeit des Spielers und belohnt diese mit einer dichten, atmosphärischen Erfahrung. Wiederspielwert im klassischen Sinne gibt es kaum, da die Geschichte linear verläuft und keine alternativen Entscheidungen anbietet. Aber manche Spiele sind eben dafür gemacht, einmal intensiv erlebt zu werden, und INDIKA gehört definitiv dazu.

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Audiovisuelle Meisterleistung mit Ecken und Kanten

Visuell ist INDIKA ein faszinierendes Experiment. Die Hauptspielwelt präsentiert sich in einem realistischen, fast fotorealistischen Stil, der die eisigen, unwirtlichen Landschaften des russischen Winters eindrucksvoll einfängt. Die Charaktermodelle sind detailliert gestaltet, Gesichtsanimationen und Mimik wirken überzeugend. Besonders die Inszenierung der Zwischensequenzen ist filmreif und erinnert an hochwertige Arthouse-Produktionen. Die Entwickler haben offensichtlich viel Wert auf die visuelle Präsentation gelegt und das zeigt sich in jedem Bild.

Doch INDIKA wäre nicht INDIKA, wenn es bei diesem einen Stil bleiben würde. Die bereits erwähnten Rückblenden werden im Retro-Pixelart-Stil der 16-Bit-Ära präsentiert, komplett mit 2D-Perspektive und Jump’n’Run-Mechaniken. Dieser radikale Stilwechsel wirkt zunächst irritierend, entfaltet aber schnell seine eigene Magie. Die Pixelart-Sequenzen haben eine nostalgische Qualität und schaffen es, emotionale Momente auf unerwartete Weise zu transportieren. Man könnte diese gestalterische Entscheidung als überladen bezeichnen, aber sie unterstreicht das zentrale Thema des Spiels: Nichts ist eindeutig, alles ist Interpretation, und die Wahrheit hat viele Gesichter.

Technisch läuft INDIKA auf dem PC größtenteils flüssig, wobei es in grafisch anspruchsvollen Szenen zu gelegentlichen Framedrops kommen kann. Das Spiel empfiehlt eine SSD zur Installation, was für kürzere Ladezeiten sorgt. Diese fallen aber ohnehin angenehm kurz aus. Die PlayStation 5 und Xbox Series X/S-Versionen wurden kurz nach der PC-Veröffentlichung nachgereicht und bieten eine solide Performance. Kleinere Bugs und technische Ungereimtheiten können vereinzelt auftreten, trüben das Gesamterlebnis aber nicht maßgeblich.

Akustisch weiß INDIKA ebenfalls zu überzeugen. Der Soundtrack changiert zwischen düsteren, atmosphärischen Klängen und überraschend poppigen, fast gameshow-artigen Einspielern, die bewusst mit den Erwartungen brechen. Diese musikalische Dissonanz unterstreicht die surreale Atmosphäre des Spiels und sorgt dafür, dass man sich nie ganz sicher ist, wie man das Erlebte einordnen soll. Die Umgebungsgeräusche sind stimmig und tragen viel zur Immersion bei, während die Soundeffekte ihren Zweck erfüllen, ohne besonders hervorzustechen.

Besonders hervorzuheben ist die Sprachausgabe. Das Spiel bietet sowohl eine englische als auch eine russische Vertonung. Die englische Synchronisation ist durchweg hochwertig, mit überzeugenden Leistungen der Sprecher. Besonders der Dialog zwischen Indika und dem Teufel lebt von der Qualität der Darbietung. Die Stimme des Teufels ist charmant, spöttisch und philosophisch zugleich, während Indikas Sprecherin die innere Zerrissenheit der Figur glaubwürdig transportiert. Die deutsche Lokalisierung beschränkt sich auf Untertitel, was schade ist, aber bei einem Indie-Titel dieser Größenordnung verständlich. Als kleiner Fan-Service für russische Spieler ist die Originalsprache natürlich die authentischste Wahl und verleiht dem Spiel eine zusätzliche Ebene kultureller Authentizität.

Mut zur Kontroverse

INDIKA ist ein Spiel, das polarisiert und das ist auch gut so. Es ist kein Titel für jeden, und die Entwickler von Odd Meter wissen das. Sie haben bewusst ein Spiel geschaffen, das unbequeme Fragen stellt, etablierte Konventionen hinterfragt und sich nicht scheut, religiöse Themen auf eine Weise zu behandeln, die in der Videospielbranche noch immer selten ist. Das ist mutig, insbesondere wenn man bedenkt, unter welchen Umständen das Spiel entstanden ist. Die Entwickler mussten während der Produktion aus Russland nach Kasachstan fliehen, eine Entscheidung, die nicht leichtgefallen sein dürfte, aber notwendig war.

Das Spiel behandelt Themen wie sexuelle Gewalt, religiösen Missbrauch und psychische Erkrankungen. Diese werden nicht andeutungsweise dargestellt, sondern als Teil der rauen Realität, in der sich Indika bewegt. Es gibt eine Szene im späteren Spielverlauf, die besonders verstörend ist und die das Spiel mit so viel „Feingefühl“ behandelt, das man es gerade so ertragen kann. Trotzdem: INDIKA ist definitiv nichts für zarte Gemüter oder Spieler, die leichte Unterhaltung suchen. Es fordert, es provoziert und es lässt einen mit mehr Fragen als Antworten zurück. Ich fühlte mich zeit- und ansatzweise genau so, wie zu dem Zeitpunkt als ich das erste Mal den Film „Irreversible“ sah. Wahrscheinlich weil ich das von einem Videospiel in dieser Form nicht kannte.

Das Ende von INDIKA ist bewusst offen gehalten und wird sicher für Diskussionen sorgen. Wer auf eindeutige Auflösungen hofft, wird enttäuscht sein. Aber genau darin liegt auch die Stärke des Spiels: Es traut sich, keine einfachen Antworten zu geben. Stattdessen lädt es zum Nachdenken ein, zum Interpretieren und zum Diskutieren. In einer Branche, die oft auf Sicherheit und breite Massenkompatibilität setzt, ist das erfrischend.

Fazit zu INDIKA

INDIKA ist ein außergewöhnliches Spiel, das sich jeder Kategorisierung entzieht. Es ist Teil Walking Simulator, Teil philosophisches Experiment, Teil religiöse Satire und Teil psychologisches Drama. Diese Mischung funktioniert erstaunlich gut, auch wenn nicht alle Elemente gleich stark sind. Die Rätsel sind solide, aber nicht revolutionär. Das Gameplay ist funktional, aber nicht das, wofür man INDIKA spielen wird. Es ist die Geschichte, die Atmosphäre, die Charaktere und die Art, wie das Spiel mit seinen Themen umgeht, die INDIKA zu etwas Besonderem machen.

Wer bereit ist, sich auf ein unkonventionelles Erlebnis einzulassen, wird mit einer der interessantesten narrativen Erfahrungen der letzten Jahre belohnt. INDIKA ist kein perfektes Spiel, aber es ist ein wichtiges. Es zeigt, dass Videospiele als Medium mehr können, als nur zu unterhalten. Sie können herausfordern, verstören, zum Nachdenken anregen und dabei gleichzeitig urkomisch sein. Das alles gelingt INDIKA auf seine ganz eigene, sperrige Art.

Für Fans von narrativen Adventures, Arthaus-Gaming und philosophisch angehauchten Geschichten ist INDIKA ein absolutes Muss. Wer sich von der kurzen Spielzeit oder dem ungewöhnlichen Mix nicht abschrecken lässt, bekommt ein Spiel, das noch lange nach dem Abspann im Kopf bleiben wird. Odd Meter hat mit ihrem Debüt ein Statement abgeliefert und man darf gespannt sein, was als Nächstes von diesem Studio kommt. INDIKA beweist eindrucksvoll: Manchmal sind es gerade die kleinen, mutigen Indie-Produktionen, die die interessantesten Geschichten erzählen.

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