inFAMOUS 2

[Review] inFAMOUS 2

Mit inFAMOUS 2 schickt uns Sucker Punch erneut auf eine elektrisierende Reise durch eine offene Spielwelt. Nach den Ereignissen in Empire City verschlägt es Cole MacGrath diesmal in die südliche Stadt New Marais, die stark an New Orleans erinnert. Der erste Teil der Reihe hat 2009 ordentlich für Aufsehen gesorgt und zeigte eindrucksvoll, was mit Superkräften in einer Open-World-Umgebung möglich ist. Nun steht die Fortsetzung in den Regalen und verspricht mehr Action, mehr Kräfte und vor allem mehr Entscheidungsfreiheit. Kann Sucker Punch die hohen Erwartungen erfüllen und das Konzept weiterentwickeln, oder handelt es sich lediglich um mehr vom Gleichen?

Die Bestie erwacht – Cole auf der Flucht

Die Geschichte von inFAMOUS 2 knüpft direkt an die Ereignisse des Vorgängers an. Cole MacGrath hat in Empire City gegen den Antagonisten Kessler gekämpft und dabei eine erschreckende Wahrheit erfahren: Eine mächtige Kreatur, genannt „Die Bestie“, wird erwachen und die Menschheit vernichten. Um sich auf diesen Kampf vorzubereiten, macht sich Cole zusammen mit seinem besten Freund Zeke auf den Weg nach New Marais. Dort hofft er, beim genialen Erfinder Dr. Sebastian Wolfe ein Gerät namens „Ray Field Inhibitor“ zu finden, mit dem die Bestie besiegt werden kann.

Doch kaum in New Marais angekommen, wird Cole mit einer neuen Bedrohung konfrontiert. Die Stadt steht unter der Kontrolle von Joseph Bertrand III, einem charismatischen Milizführer, der die Menschen gegen alle „Freaks“ mit Superkräften aufhetzt. Parallel dazu tauchen immer mehr mutierte Kreaturen auf, die die Straßen unsicher machen. Als dann auch noch die Bestie überraschend früher als erwartet auftaucht und Cole im ersten Kampf regelrecht demütigt, wird klar: Die Uhr tickt und Cole muss schnell stärker werden.

Was auf den ersten Blick wie eine klassische „Held muss Bösewicht besiegen“-Story wirkt, entwickelt sich zu einer moralisch komplexen Erzählung mit überraschenden Wendungen. Die Geschichte ist deutlich ausgereifter als beim Vorgänger und stellt den Spieler vor schwierige Entscheidungen, die tatsächlich Konsequenzen haben. Besonders die beiden neuen Charaktere Nix und Kuo, die Cole als Mentorinnen zur Seite stehen, tragen wesentlich zur Entwicklung der Handlung bei. Nix ist impulsiv, rachsüchtig und verkörpert den chaotischen Pfad, während Kuo rational denkt und den heroischen Weg repräsentiert. Beide haben ihre eigenen Motive und versuchen, Cole in ihre jeweilige Richtung zu beeinflussen. Das macht die Entscheidungen noch schwieriger, denn beide haben nachvollziehbare Argumente.

Neue Stadt, neue Möglichkeiten

New Marais ist deutlich größer und abwechslungsreicher gestaltet als Empire City. Die Stadt ist in drei Distrikte unterteilt, die jeweils ihren eigenen Charakter haben. Vom heruntergekommenen Sumpfgebiet über die historische Altstadt bis hin zu modernen Industriegebieten – hier gibt es deutlich mehr Variation. Sucker Punch hat sich sichtlich Mühe gegeben, eine lebendige Umgebung zu schaffen, die zum Erkunden einlädt. Überall gibt es versteckte Blast Shards zu sammeln, Dead Drops zu finden, die mehr über die Hintergrundgeschichte verraten, und kleine Nebenaufgaben zu erledigen.

Die Architektur erinnert stark an den französischen Einfluss in Louisiana. Schmiedeeiserne Balkone, enge Gassen und Herrenhäuser im Kolonialstil prägen das Stadtbild. Das ist nicht nur optisch ansprechend, sondern bietet auch neue Herausforderungen beim Parkour. Die Gebäude sind teilweise niedriger als in Empire City, dafür aber verwinklter und bieten mehr Möglichkeiten für vertikale Fortbewegung. Auch die Umgebung außerhalb der Stadt wurde dieses Mal mitgedacht – Sümpfe, Bayous und verlassene Plantagen sorgen für Abwechslung.

Technisch hat Sucker Punch noch einmal eine Schippe draufgelegt. Die Grafik wirkt deutlich polierter, die Charaktermodelle sind detaillierter und die Beleuchtung atmosphärischer. Besonders bei Nacht, wenn Coles elektrische Kräfte die Umgebung erleuchten, entfaltet das Spiel seine visuelle Stärke. Die Framerate bleibt größtenteils stabil, auch wenn es in hektischen Kämpfen mit vielen Gegnern gelegentlich zu kleineren Einbrüchen kommen kann. Das ist aber verschmerzbar und schmälert den Spielspaß kaum.

Mehr Power, mehr Entscheidungen

Das Kampfsystem wurde im Vergleich zum Vorgänger deutlich verfeinert und erweitert. Cole verfügt jetzt über ein viel größeres Arsenal an elektrischen Fähigkeiten, die sich je nach Karma-Ausrichtung unterscheiden. Spielt man als Held, bekommt man präzise Fähigkeiten, die darauf ausgelegt sind, Gegner zu neutralisieren ohne zu töten. Spielt man als Schurke, erhält man zerstörerische Kräfte, die maximalen Schaden anrichten. Diese Unterscheidung ist nicht nur kosmetisch, sondern verändert tatsächlich die Spielweise.

Die neue Möglichkeit, verschiedene Energiearten aufzunehmen, bringt zusätzliche Abwechslung. Neben der klassischen elektrischen Energie kann Cole nun auch Eis- und Feuerkräfte einsetzen, die ihm entweder Kuo oder Nix beibringen. Diese neuen Fähigkeiten lassen sich nahtlos in bestehende Kombos integrieren und eröffnen neue taktische Möglichkeiten. Ein gefrorener Gegner kann mit einem elektrischen Schlag zerstört werden, während brennende Feinde Panik in den eigenen Reihen verbreiten. Das macht die Kämpfe deutlich dynamischer und abwechslungsreicher.

Die Steuerung wurde ebenfalls überarbeitet und fühlt sich nun präziser an. Cole klettert flüssiger an Gebäuden hoch, springt weiter und kann sich an Stromkabeln entlanghangeln. Die Cover-Mechanik funktioniert besser als im Vorgänger, auch wenn sie in manchen Situationen noch etwas hakelig sein kann. Besonders gelungen ist die Fortbewegung über die Dächer der Stadt – hier fühlt man sich tatsächlich wie ein übermenschlicher Superheld, der mühelos durch die Stadt gleitet.

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Karma ist nicht nur Kosmetik

Das Karma-System des Vorgängers wurde beibehalten, aber deutlich ausgebaut. Wieder stehen wir vor moralischen Entscheidungen, die sich auf die Geschichte und Coles Fähigkeiten auswirken. Diesmal sind diese Entscheidungen aber nicht mehr ganz so schwarz-weiß wie im ersten Teil. Es gibt Situationen, in denen beide Optionen ihre Berechtigung haben und man tatsächlich ins Grübeln kommt. Soll man eine Gruppe Zivilisten opfern, um wichtige Informationen zu bekommen? Oder riskiert man, dass die Informationen verloren gehen und später mehr Menschen sterben?

Diese Entscheidungen haben Auswirkungen auf mehreren Ebenen. Nicht nur das Ende der Geschichte wird dadurch beeinflusst, auch das Verhalten der Bevölkerung ändert sich. Als Held wird man gefeiert, Menschen helfen Cole aktiv im Kampf und die Stadt wirkt lebendiger. Als Schurke meiden die Leute Cole, greifen ihn teilweise sogar an und die Atmosphäre wird düsterer. Das trägt enorm zur Immersion bei und motiviert dazu, das Spiel ein zweites Mal mit anderer Karma-Ausrichtung durchzuspielen.

Zusätzlich zu den großen Story-Entscheidungen gibt es auch kleinere Karma-Momente während des Spiels. Helfe ich dem Zivilisten, der von Gangstern bedroht wird? Oder ignoriere ich ihn, weil ich gerade auf dem Weg zu einer wichtigen Mission bin? Diese kleinen Entscheidungen summieren sich und beeinflussen langfristig, wie sich Cole entwickelt. Das System ist nicht perfekt und manchmal etwas zu offensichtlich in seiner Gut-Böse-Einteilung, aber es funktioniert und gibt dem Spieler das Gefühl, tatsächlich Einfluss auf die Geschichte zu haben.

Vielfältige Missionen und Herausforderungen

Die Missionsstruktur wurde im Vergleich zum Vorgänger deutlich aufgewertet. Neben den Hauptmissionen, die die Story vorantreiben, gibt es zahlreiche Nebenmissionen, die sich nicht mehr wie generische Füllmaterial anfühlen. Viele dieser Aufgaben haben ihre eigenen kleinen Geschichten und fügen sich gut in die Gesamthandlung ein. Mal muss man einen Überfall auf ein Krankenhaus verhindern, mal einen entführten Zivilisten befreien oder gegen einen mutierten Boss kämpfen.

Besonders gelungen sind die sogenannten „User Generated Missions“, bei denen Spieler eigene Missionen erstellen und mit der Community teilen können. Das ist ein mutiges Feature, das zwar nicht perfekt umgesetzt ist, aber dennoch für zusätzliche Langzeitmotivation sorgt. Die Qualität dieser Community-Inhalte schwankt natürlich, aber es gibt durchaus einige kreative Köpfe, die interessante Szenarien erschaffen haben.

Die verschiedenen Distrikte der Stadt müssen erobert werden, indem man Bertrand III Truppen zurückdrängt und Kontrollpunkte einnimmt. Das Prinzip kennt man aus anderen Open-World-Titeln, aber hier funktioniert es erstaunlich gut, weil die Kämpfe um die Kontrollpunkte dynamisch und abwechslungsreich gestaltet sind. Hat man einen Distrikt befreit, ändern sich die Gegnertypen und neue Herausforderungen warten. Das hält die Motivation hoch und verhindert, dass Langeweile aufkommt.

Dazu kommen noch diverse Sammelaufgaben wie die bereits erwähnten Blast Shards, die Coles Energie-Kapazität erhöhen, oder Dead Drops, die Audiologeinträge beinhalten und mehr über die Hintergrundgeschichte verraten. Wer gerne 100 Prozent erreichen möchte, hat hier einiges zu tun. Auch wenn sich manche dieser Sammelaufgaben irgendwann repetitiv anfühlen, tragen sie doch zur Gesamtatmosphäre bei und belohnen Spieler, die sich die Zeit nehmen, New Marais wirklich zu erkunden.

Sound und Synchronisation

Klanglich bewegt sich inFAMOUS 2 auf hohem Niveau. Der Soundtrack von Jonathan Mayer passt perfekt zur Atmosphäre der Stadt und unterstreicht die dramatischen Momente der Geschichte. Die Musik ist abwechslungsreich und reicht von ruhigen, melancholischen Tönen bis hin zu actiongeladenen Orchesterstücken während der Bosskämpfe. Besonders gelungen sind die subtilen musikalischen Hinweise, die sich je nach Karma-Stufe ändern – als Held klingen die Melodien hoffnungsvoller, als Schurke düsterer.

Die Soundeffekte sind kraftvoll und vermitteln ein gutes Gefühl für die elektrischen Kräfte. Wenn Cole einen Blitz abfeuert, klingt das nicht nur imposant, sondern fühlt sich auch so an. Die Umgebungsgeräusche tragen zur Atmosphäre bei und lassen New Marais lebendig wirken. Vom Summen der Stromleitungen über das Plätschern des Wassers in den Sümpfen bis hin zu den Stimmen der Passanten – hier wurde auf Details geachtet.

Die englische Synchronisation ist solide und die Sprecher liefern überwiegend gute Leistungen ab. Besonders Eric Ladin als Cole MacGrath hat im Vergleich zum Vorgänger deutlich an Ausdrucksstärke gewonnen – ja, Cole wurde tatsächlich neu vertont, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist, aber letztendlich gut funktioniert. Auch die Nebendarsteller überzeugen durchweg. Eine deutsche Synchronisation gibt es leider nicht, was bei einem derart Story-lastigen Spiel schade ist, aber verschmerzbar.

Fazit zu inFAMOUS 2

Sucker Punch hat mit inFAMOUS 2 einen absolut gelungenen Nachfolger abgeliefert, der in nahezu allen Bereichen eine Verbesserung gegenüber dem Vorgänger darstellt. Die Geschichte ist ausgereifter, die Spielwelt abwechslungsreicher und das Kampfsystem deutlich komplexer. Das überarbeitete Karma-System sorgt für echte moralische Dilemmata und motiviert zu einem zweiten Durchgang mit anderer Ausrichtung. Die technische Umsetzung ist solide, auch wenn es gelegentlich zu kleineren Performance-Einbrüchen kommt.

Was inFAMOUS 2 besonders auszeichnet, ist das Gefühl, tatsächlich ein Superheld zu sein. Die Fortbewegung durch New Marais macht einfach Spaß und die elektrischen Kräfte fühlen sich wuchtig und befriedigend an. Die verschiedenen Energiearten sorgen für taktische Tiefe und die Bosskämpfe sind spektakulär inszeniert. Wer den ersten Teil mochte, wird diesen hier lieben. Aber auch Neueinsteiger können problemlos einsteigen, da die wichtigsten Ereignisse des Vorgängers zu Beginn zusammengefasst werden.

Kleine Kritikpunkte gibt es natürlich auch. Manche Nebenmissionen wiederholen sich in ihrer Struktur und gegen Ende des Spiels hat man das meiste schon gesehen. Auch die Gegner-KI könnte intelligenter sein – oft stürmen die Feinde einfach frontal auf Cole zu, anstatt taktisch vorzugehen. Das User-Generated-Content-Feature ist eine nette Idee, aber in der Umsetzung noch ausbaufähig. Die Werkzeuge sind begrenzt und die Integration ins Hauptspiel könnte flüssiger sein.

Trotz dieser kleinen Schwächen ist inFAMOUS 2 ein herausragendes Action-Adventure, das zeigt, wie man eine Fortsetzung richtig macht. Sucker Punch hat auf das Feedback zum Vorgänger gehört und fast alle Kritikpunkte ausgemerzt. Das Ergebnis ist ein rundes Gesamtpaket, das für etwa 12 bis 15 Stunden besten Superhelden-Eskapismus bietet – und wer alle Nebenmissionen abschließen und beide Karma-Pfade erleben möchte, kann locker das Doppelte an Spielzeit einplanen. Eine klare Empfehlung für alle PlayStation 3-Besitzer!

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