KARMA: The Dark World

[Review] KARMA: The Dark World

Das Jahr 1984 ist zurück – nicht nur in George Orwells Klassiker, sondern auch im neuesten Psycho-Thriller von Pollard Studio. KARMA: The Dark World entführt uns in eine düstere Parallelwelt, in der Ostdeutschland unter der Kontrolle der allmächtigen Leviathan Corporation steht. Was als simpler Ermittlungsfall beginnt, entwickelt sich zu einem verstörenden Trip durch die Abgründe der menschlichen Psyche.

Eine Reise in die Erinnerung

In der Rolle von Daniel McGovern, einem sogenannten „Roam Agent“ der Thought Bureau, taucht man mittels fortschrittlicher Technologie in die Gedächtnisse von Verdächtigen ein. Der Fall Sean Mehndez scheint zunächst routiniert zu verlaufen, doch schon bald verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Albtraum. Was ist echt? Was ist manipuliert? Und wer ist Daniel wirklich?

Das chinesische Entwicklerstudio unter der Leitung von Creative Director Yonghe Wang hat sich dabei bewusst vom klassischen Orwell’schen Überwachungsstaat inspirieren lassen, ihn aber mit modernen technologischen Möglichkeiten erweitert. Die Leviathan Corporation kontrolliert ihre Bürger nicht nur durch Massenüberwachung, sondern kann sogar Erinnerungen manipulieren und löschen. Ein beunruhigender Gedanke, der durch die philosophischen Untertöne des Spiels noch verstärkt wird.

Visueller Rausch

Technisch setzt KARMA: The Dark World auf die Unreal Engine 5 und nutzt dabei Features wie Lumen und Nanite voll aus. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die sterilen Bürolandschaften der Leviathan Corporation wirken bedrückend authentisch, während die Gedächtnissequenzen in surreale, albtraumhafte Welten führen. Hier zeigt sich die ganze Bandbreite der Engine – von fotorealistischen Umgebungen bis hin zu abstrakten, psychedelischen Traumlandschaften.

Besonders die Übergänge zwischen den verschiedenen Realitätsebenen sind gelungen. Wenn Daniel in die Erinnerungen eintaucht, verändert sich nicht nur die Optik, sondern die gesamte Wahrnehmung des Spielers. Verzerrte Räume, schwebende Objekte und unmögliche Architekturen erschaffen eine Atmosphäre, die David Lynch alle Ehre macht. Dass sich die Entwickler vom kürzlich verstorbenen Regisseur inspirieren ließen, merkt man an jeder Ecke.

Atmosphäre vor Action

Das Gameplay folgt klassischen Walking-Simulator-Konventionen mit leichten Puzzle-Elementen. Man erkundet Umgebungen, sammelt Dokumente, löst einfache Rätsel und folgt der Geschichte. Actionreiche Sequenzen sind die Ausnahme – wenn doch mal gerannt wird, fühlt sich das eher träge an. Das ist jedoch durchaus Absicht: KARMA ist ein langsamer, methodischer Thriller, der seine Wirkung durch Atmosphäre und nicht durch Schockmomente entfaltet.

Die Rätsel sind größtenteils intuitiv lösbar, nur gelegentlich erfordern sie tiefergehendes Nachdenken. Besonders die optionalen „Rule Followers“-Sammelgegenstände können für Kopfzerbrechen sorgen und erinnern an Schulzeit-Intelligenztests. Ein netter Zusatz für alle, die mehr Herausforderung suchen.

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Sound und Musik

Akustisch überzeugt das Spiel auf ganzer Linie. Der Soundtrack von 58 Tracks schafft die perfekte Mischung aus bedrückender Dystopie und verstörenden Horrorklängen. Geng Li’s Hauptthema „Alive“ passt perfekt zur Grundstimmung und bleibt nach dem Spielen noch lange im Gedächtnis haften.

Die deutsche Lokalisierung beschränkt sich auf Untertitel, die Sprachausgabe erfolgt ausschließlich auf Englisch. Angesichts der internationalen Ausrichtung und der komplexen philosophischen Dialoge ist das verschmerzbar. Die Sprecher leisten durchweg gute Arbeit und verleihen den Charakteren Authentizität.

Narrative Höhen und Tiefen

Die Geschichte ist KARMA’s größte Stärke und zugleich sein Schwachpunkt. Die Grundidee ist faszinierend: Ein Ermittler, der in fremde Erinnerungen eintaucht und dabei seine eigene Identität zu verlieren droht. Die ersten Stunden sind schlichtweg brillant und lassen auf ein Meisterwerk hoffen.

Leider verliert sich das Spiel in der zweiten Hälfte zunehmend in abstrakten Metaphern und philosophischen Exkursen. Was als spannender Orwell’scher Thriller beginnt, wandelt sich zu einem verwirrenden Gedankenexperiment. Die verschiedenen Realitätsebenen werden so stark vermischt, dass man den roten Faden aus den Augen verliert. Hier hätte etwas mehr Fokus gutgetan.

Technische Umsetzung

Auf der PlayStation 5 läuft KARMA: The Dark World größtenteils stabil, auch wenn gelegentliche Audio-Aussetzer auftreten können. Die Ladezeiten sind erfreulich kurz, und die haptischen Features des DualSense-Controllers werden sinnvoll eingesetzt. Auf dem Steam Deck ist das Spiel spielbar, erfordert aber deutliche Kompromisse bei der Grafikqualität.

Mit einer Spielzeit von 5-6 Stunden ist KARMA kein Langzeiterlebnis, aber das passt zur komprimierten Erzählweise. Man sollte jedoch Zeit einplanen, um die vielen Details und versteckten Hinweise in der Spielwelt zu entdecken.

Fazit

KARMA: The Dark World ist ein ambitioniertes Debüt von Pollard Studio, das trotz einiger Schwächen in Erinnerung bleibt. Die ersten Stunden gehören zu den besten, die das Genre zu bieten hat – verstörend, intelligent und visuell beeindruckend. Leider kann das Spiel dieses Niveau nicht über die gesamte Laufzeit halten und verliert sich zunehmend in abstrakten Gedankenspielen.

Für Fans von Soma, Observer oder What Remains of Edith Finch ist KARMA dennoch eine klare Empfehlung. Wer sich auf die langsame Erzählweise einlässt und bereit ist, über philosophische Fragen zu grübeln, wird mit einem einzigartigen Erlebnis belohnt. Nur wer actionreiche Horror-Kost erwartet, sollte sich anderweitig umsehen.

Das Spiel zeigt das Potenzial des Studios und macht Lust auf zukünftige Projekte. Mit etwas mehr Fokus in der Erzählung könnte der nächste Titel ein echter Meilenstein werden.

Bewertung: 7.5/10

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