Life is Strange: True Colors

[Review] Life is Strange: True Colors

Mit Life is Strange: True Colors liefert Deck Nine Games den mittlerweile fünften Titel der beliebten Adventure-Serie ab. Nach den durchaus gemischten Reaktionen auf Before the Storm und den zweiten Teil der Hauptreihe war die Erwartungshaltung entsprechend gedämpft. Würde das Studio diesmal die richtige Balance zwischen dem finden, was die Serie ausmacht, ohne dabei die gleichen Fehler zu wiederholen?

True Colors kehrt zur bewährten Formel zurück: Eine neue Protagonistin mit übernatürlichen Fähigkeiten in einer Kleinstadt voller Geheimnisse. Anstatt jedoch erneut auf Zeitreisen oder weltbewegende Mysterien zu setzen, konzentriert sich das Spiel diesmal auf eine deutlich persönlichere und bodenständigere Geschichte. Die Entwickler haben offensichtlich aus den Kritikpunkten der Vorgänger gelernt und einen spürbar fokussierteren Ansatz gewählt.

Story und Gameplay – Gefühle zum Anfassen

Alex Chen ist 21 Jahre alt und kommt nach Haven Springs, Colorado, um endlich ein normales Leben mit ihrem Bruder Gabe zu führen. Nach Jahren in verschiedenen Pflegefamilien und einem Jugendheim soll hier der Neuanfang gelingen. Soweit, so bekannt aus der Life is Strange-Formel. Der Clou aber ist Alexs Superkraft: Sie kann die Emotionen anderer Menschen nicht nur spüren, sondern regelrecht „sehen“ und sogar manipulieren. Was zunächst nach einem coolen Feature klingt, entpuppt sich schnell als Fluch und Segen zugleich.

Die Kleinstadt Haven Springs ist dabei wirklich liebevoll gestaltet und fühlt sich authentisch an. Keine überdrehten Hipster-Klischees wie in Arcadia Bay, sondern eine Gemeinde, die wirklich lebt und atmet. Die Charaktere haben Ecken und Kanten, jeder hat seine eigene Geschichte und niemand ist nur Staffage. Wenn Alex mit ihrer Empathie-Gabe die emotionalen Auren der Bewohner wahrnimmt, wird deutlich, wie komplex jeder einzelne Charakter tatsächlich ist.

Das eigentliche Drama startet, als Gabe bei einem Unfall ums Leben kommt. Was zunächst wie ein tragisches Unglück aussieht, entpuppt sich als etwas viel Dunkleres, und Alex muss die Wahrheit aufdecken. Dabei hilft ihr nicht nur ihre übernatürliche Fähigkeit, sondern auch eine Handvoll Freunde, die sie in der kurzen Zeit in Haven Springs gefunden hat. Die Entscheidungen, die man als Spieler trifft, fühlen sich diesmal wirklich wichtig an – nicht nur für den Plot, sondern vor allem für Alex‘ emotionale Entwicklung.

Besonders gelungen ist, wie das Spiel mit Alexs Trauma umgeht. Ihre Vergangenheit in der Jugendhilfe wird nicht als billiger Plot-Twist verwendet, sondern sensibel und realistisch dargestellt. Man merkt, dass sich die Entwickler wirklich Gedanken gemacht haben, wie sich jemand in ihrer Situation fühlen würde.

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Grafik – Endlich erwachsen geworden

Grafisch hat True Colors einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Die Facial Animations sind endlich auf dem Niveau angekommen, wo emotionale Szenen auch wirklich funktionieren. Keine puppenhaften Gesichter mehr, die einen aus der Immersion reißen, sondern Charaktere, denen man ihre Gefühle tatsächlich ansieht. Alex‘ Mimik ist besonders beeindruckend – wenn sie die Emotionen anderer spiegelt, sieht man das wirklich in ihrem Gesicht.

Die Darstellung der Empathie-Kräfte ist visuell ein echter Hingucker. Die emotionalen Auren der verschiedenen Charaktere sind farblich codiert und wunderschön animiert. Wut erscheint als aggressives Rot, Trauer als tiefblaues Meer, Angst als zitterndes Gelb. Wenn Alex in diese Emotionen eintaucht, verändert sich die gesamte Optik des Spiels entsprechend. Das ist nicht nur hübsch anzusehen, sondern verstärkt auch das Gefühl, wirklich in jemand anderen hineinzuschlüpfen.

Haven Springs selbst ist ein Augenschmaus. Die kleine Bergstadt wirkt wie aus einem Postkartenkalender, aber nie kitschig oder übertrieben. Die Herbstfarben, die warme Beleuchtung der Läden, die detaillierten Innenräume – alles passt perfekt zusammen und erschafft eine Atmosphäre, in der man sich gerne aufhält. Ich habe tatsächlich viel Zeit damit verbracht, einfach nur durch die Straßen zu schlendern und die Umgebung zu genießen.

Sound – Musik für die Seele

Der Soundtrack ist wie immer ein Highlight der Life is Strange-Serie, aber True Colors geht noch einen Schritt weiter. Die Musikauswahl passt nicht nur perfekt zur Geschichte, sondern unterstützt auch emotional jeden wichtigen Moment. Besonders die Songs von Angus & Julia Stone und mxmtoon bleiben noch lange nach dem Spielen im Ohr. Alex spielt selbst Gitarre und singt, und diese Momente gehören zu den schönsten im ganzen Spiel.

Die Sprachausgabe verdient besonderes Lob. Erika Mori als Alex Chen liefert eine unglaublich nuancierte Performance ab. Sie schafft es, Alex‘ Verletzlichkeit und Stärke gleichzeitig rüberzubringen, ohne dabei je übertrieben zu wirken. Auch die deutschen Untertitel sind sehr gut gelungen und fangen die emotionalen Nuancen der Dialoge ein.

Die Soundeffekte, besonders bei den Empathie-Sequenzen, sind subtil und effektiv. Wenn Alex in die Emotionen anderer eintaucht, verändert sich die gesamte Klanglandschaft. Das kann manchmal überwältigend sein – was aber genau der Punkt ist, denn genauso muss sich Alex fühlen.

Die Empathie-Mechanik – Mehr als nur ein Gimmick

Was True Colors von den anderen Life is Strange-Spielen unterscheidet, ist, dass die Superkraft hier nicht nur Plot-Device ist, sondern wirklich ins Gameplay integriert wurde. Alexs Empathie-Fähigkeiten zu nutzen, fühlt sich organisch an und ist nie erzwungen. Man kann wählen, ob man tiefer in die Emotionen der Charaktere eintaucht oder ob man sie in Ruhe lässt.

Besonders beeindruckend sind die großen Empathie-Sequenzen, in denen Alex vollständig in die Gefühlswelt anderer Charaktere abtaucht. Diese spielen sich komplett anders als der Rest des Spiels und sind jedes Mal ein emotionaler Höhepunkt. Ohne zu spoilern: Die Sequenz mit Charlotte und ihr Umgang mit Trauer hat mich wirklich zum Weinen gebracht.

Die Entscheidungen, die man bezüglich Alexs Kräfte trifft, haben echte Konsequenzen. Man kann Menschen helfen, indem man ihre negativen Emotionen nimmt, aber sollte man das tun? Ist es ethisch vertretbar, in die Gefühle anderer einzugreifen? Diese Fragen stellt das Spiel immer wieder, ohne dabei belehrend zu werden.

Fazit – Das beste Life is Strange seit dem Original

Life is Strange: True Colors ist für mich das beste Spiel der Serie seit dem Original von 2015. Deck Nine Games hat bewiesen, dass sie nicht nur das Leben von bekannten Charakteren (wie in Before the Storm) weitererzählen können, sondern auch eigenständige, emotionale Geschichten erschaffen können.

Was mich besonders begeistert, ist die Reife des Spiels. True Colors behandelt schwere Themen wie Trauma, Verlust und emotionalen Missbrauch mit einer Sensibilität, die ich in Videospielen selten gesehen habe. Gleichzeitig verliert es nie seinen Optimismus und seine Hoffnung. Alex‘ Geschichte ist eine der Heilung und des Wachstums, und das merkt man in jeder Sekunde.

Klar, das Spiel ist nicht perfekt. Mit nur fünf Kapiteln ist es deutlich kürzer als die Vorgänger, und manchmal hätte ich mir mehr Zeit gewünscht, um bestimmte Charakterbeziehungen zu vertiefen. Auch die Auflösung des Hauptmysteriums ist nicht ganz so überraschend, wie sie hätte sein können.

Aber ehrlich gesagt sind das Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was True Colors richtig macht. Es ist ein Spiel über menschliche Verbindungen, über die Kraft der Empathie und darüber, dass auch die dunkelsten Momente im Leben überwunden werden können. Nach den turbulenten letzten zwei Jahren ist das genau die Art von Geschichte, die wir alle brauchen.

Fans der Serie werden True Colors lieben, aber auch Newcomer können hier problemlos einsteigen. Es ist ein Spiel, das noch lange nachwirkt und über das man auch Wochen später noch nachdenkt. Deck Nine Games hat mit True Colors nicht nur bewiesen, dass sie würdige Nachfolger für Dontnod sind – sie haben gezeigt, dass Life is Strange in guten Händen ist.

Ich freue mich schon darauf, Haven Springs noch einmal zu besuchen. Und diesmal nehme ich mir noch mehr Zeit für die kleinen Momente, die dieses Spiel so besonders machen.

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