Mit Nioh wagt sich Team Ninja, das Studio hinter den gefürchteten Ninja Gaiden-Spielen, erstmals in das von FromSoftware geprägte Soulslike-Genre. Nach einer über 15-jährigen Entwicklungsgeschichte, die mit Akira Kurosawas geplanter Verfilmung des Leben des englischen Samurai William Adams begann, ist endlich ein Spiel entstanden, das sich nicht nur vor Dark Souls und Bloodborne nicht verstecken muss, sondern eigene, faszinierende Wege einschlägt. Das Ergebnis ist ein komplexes Action-RPG, das die Hardcore-Herausforderung der Souls-Reihe mit einzigartigen japanischen Elementen und überraschend frischen Gameplay-Mechaniken kombiniert.
Die Entwicklung von Nioh war alles andere als gradlinig. Ursprünglich als Film von Akira Kurosawa geplant, später als Spiel für die PlayStation 3 angekündigt und schließlich für die PlayStation 4 neu konzipiert – Team Ninja hatte sich viel Zeit gelassen, um ihre Vision zu verwirklichen. Diese lange Entwicklungszeit hat sich ausgezahlt: Nioh fühlt sich nicht wie ein billiger Dark Souls-Klon an, sondern wie ein eigenständiges Werk mit klarer Identität.
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Die Geschichte des Westlers in Japan
Nioh erzählt die Geschichte von William Adams, einem irischen Seemann, der im Jahr 1600 an den Küsten Japans strandet. Basierend auf der realen historischen Figur des ersten westlichen Samurai, führt uns das Spiel in die turbulente Sengoku-Zeit, eine Epoche voller politischer Unruhen und übernatürlicher Bedrohungen. William sucht nach seinem verschwundenen Schutzgeist, einem Guardian Spirit namens Saoirse, und gerät dabei mitten in die Wirren des japanischen Bürgerkriegs.
Die Erzählung ist deutlich linearer als die kryptischen Geschichten von FromSoftware, was durchaus erfrischend ist. Team Ninja serviert uns eine klassische Heldenreise mit klaren Zielen und nachvollziehbaren Motivationen. William trifft auf historische Persönlichkeiten wie Oda Nobunaga, Tokugawa Ieyasu und die mysteriöse Kelley, einen westlichen Alchemisten, der als Antagonist fungiert. Die Geschichte mag zwar konventioneller sein als die rätselhaften Mythen von Dark Souls, dafür ist sie zugänglicher und emotional greifbarer.
Besonders gelungen ist die Darstellung der kulturellen Kluft zwischen dem westlichen Protagonisten und der japanischen Gesellschaft. William muss nicht nur gegen Dämonen kämpfen, sondern auch Respekt und Vertrauen bei den Einheimischen gewinnen. Diese kulturelle Komponente verleiht der Geschichte eine zusätzliche Tiefe, die über das reine „Held rettet die Welt“-Schema hinausgeht.
Grafik – Düstere Pracht im feudalen Japan
Visuell präsentiert sich Nioh als wahre Pracht. Team Ninja hat die Team Ninja Engine zu Höchstleistungen getrieben und erschafft ein düsteres, aber wunderschönes Japan der Sengoku-Zeit. Die Umgebungen reichen von nebelverhangenen Bambuswäldern über brennende Schlachtfelder bis hin zu prächtigen Tempeln und gruseligen Höhlensystemen. Jede Location erzählt ihre eigene Geschichte und strotzt vor atmosphärischen Details.
Die Yokai-Designs verdienen besondere Erwähnung. Team Ninja hat tief in die japanische Mythologie gegriffen und eine beeindruckende Galerie übernatürlicher Kreaturen geschaffen. Von den schaurigen Rokurokubi mit ihren endlos langen Hälsen bis hin zu den majestätischen Tengu – jeder Dämon wirkt authentisch und furchteinflößend zugleich. Die Boss-Designs sind besonders spektakulär und reichen von gigantischen Oni bis hin zu mechanischen Kriegsmaschinen.
Die Charaktermodelle sind detailliert und gut animiert, auch wenn sie nicht ganz an die Perfektion von Sonys Exklusivtiteln heranreichen. Williams Gesichtsmimik könnte etwas ausdrucksvoller sein, aber die Kampfanimationen sind flüssig und impactvoll. Die Waffenanimationen verdienen besonderes Lob – jede Waffe fühlt sich gewichtig und authentisch an.
Technisch läuft Nioh auf der PlayStation 4 stabil, auch wenn gelegentliche Framerate-Einbrüche in besonders hektischen Kampfsituationen auftreten können. Die Ladezeiten sind akzeptabel, könnten aber etwas kürzer sein, besonders wenn man zum zigsten Mal einen Boss-Kampf wiederholt.
Sound – Atmosphärische Meisterklasse
Der Soundtrack von Nioh ist ein wahres Meisterwerk traditioneller japanischer Musik, angereichert mit orchestralen Elementen. Die Kompositionen unterstreichen perfekt die mystische Atmosphäre des feudalen Japans. Besonders die Boss-Themes sind eingängig und dramatisch, ohne dabei aufdringlich zu werden. Die ruhigeren Passagen in den Schreinen schaffen wohltuende Entspannungsmomente zwischen den intensiven Kämpfen.
Die deutsche Synchronisation ist größtenteils gelungen, auch wenn sie nicht ganz an internationale Top-Produktionen heranreicht. William wird von einem kompetenten Sprecher verkörpert, der dem Charakter Persönlichkeit verleiht. Die japanischen NPCs sprechen in ihrer Muttersprache, was der Authentizität des Settings zugutekommt. Englische und japanische Sprachausgabe stehen ebenfalls zur Verfügung.
Die Soundeffekte sind erstklassig umgesetzt. Das Klirren der Katana, das dumpfe Aufschlagen der Äxte und die unheimlichen Schreie der Yokai schaffen eine dichte Atmosphäre. Besonders die subtilen Umgebungsgeräusche – das Rascheln der Blätter, entfernte Tempelglocken oder das Knacken brennender Gebäude – tragen enorm zur Immersion bei.
Gameplay – Komplexität trifft auf Zugänglichkeit
Das Herzstück von Nioh ist sein Kampfsystem, und hier zeigt Team Ninja, warum sie zu den besten Action-Entwicklern der Branche gehören. Auf den ersten Blick ähnelt das System stark den Souls-Spielen: Schwere und leichte Angriffe, Ausweichen, Blocken und die lebenswichtige Ausdauerleiste. Doch Nioh fügt entscheidende Elemente hinzu, die das Kampfsystem zu einem der tiefgreifendsten im Genre machen.
Das revolutionäre Haltungssystem
Jede Waffe in Nioh verfügt über drei verschiedene Haltungen (Stances): Hohe Haltung für maximalen Schaden, mittlere Haltung als Allround-Option und niedrige Haltung für Geschwindigkeit und Defensive. Jede Haltung bietet völlig unterschiedliche Angriffsmuster, Kombos und strategische Möglichkeiten. Ein Katana spielt sich in hoher Haltung völlig anders als in niedriger – praktisch wie drei verschiedene Waffen in einer.
Diese Mechanik erfordert echtes Umdenken. Erfahrene Souls-Veteranen müssen ihre eingefahrenen Muster über Bord werfen und lernen, situativ zwischen den Haltungen zu wechseln. Gegen gepanzerte Gegner ist die hohe Haltung mit ihren durchschlagenden Angriffen ideal, während schnelle Yokai eher die wendige niedrige Haltung verlangen.
Ki-Puls – Das Herzstück des Kampfes
Die wohl wichtigste Neuerung ist das Ki-Puls-System. Während andere Soulslike-Spiele das passive Regenerieren der Ausdauer belohnen, fordert Nioh aktive Teilnahme. Nach Angriffen oder Ausweichmanövern kann der Spieler durch perfekt getimtes Drücken der R1-Taste einen Teil der verbrauchten Ausdauer sofort zurückgewinnen. Meistert man diese Mechanik, kann man deutlich längere und spektakulärere Kombos ausführen.
Das Ki-Puls-System verleiht den Kämpfen einen einzigartigen Rhythmus. Erfahrene Spieler entwickeln ein Gefühl für den perfekten Zeitpunkt und können dadurch aggressive Kampfstile fahren, die in anderen Souls-Spielen unmöglich wären. Es ist die Art von Mechanik, die einfach zu verstehen, aber schwer zu meistern ist – genau wie es sein sollte.
Waffenvielfalt ohne Ende
Nioh bietet eine beeindruckende Auswahl an Waffengattungen, von denen jede einen völlig eigenen Spielstil repräsentiert:
- Katana: Der Klassiker mit ausgewogenen Eigenschaften und eleganten Kombos
- Dual-Katana: Schnelle Wirbelwind-Angriffe für aggressive Spieler
- Speere: Reichweite und Durchschlagskraft für defensivere Ansätze
- Äxte: Rohe Gewalt mit verheerenden, aber langsamen Angriffen
- Kusarigama: Exotische Ketten-Sichel mit einzigartigen Techniken
- Tonfa: Schnelle Blocktechniken und konterorientiertes Gameplay
Jede Waffe fühlt sich fundamental anders an und erfordert eigene Taktiken. Ein Axt-Spieler kann nicht einfach zu Dual-Katana wechseln und erwarten, erfolgreich zu sein – die Kampfphilosophie ist zu unterschiedlich.
Loot-System – Diablo meets Dark Souls
Eine der überraschendsten Designentscheidungen ist das Diablo-ähnliche Loot-System. Gegner droppen ständig neue Ausrüstung mit randomisierten Eigenschaften, Seltenheitsstufen und Set-Boni. Dieser Ansatz wirkt zunächst unpassend für ein Soulslike-Spiel, entpuppt sich aber als genial.
Das ständige Finden neuer Ausrüstung motiviert zur Erkundung und zum Experimentieren. Anstatt stundenlang mit derselben Waffe zu kämpfen, probiert man ständig neue Kombinationen aus. Die Farbkodierung (Weiß, Gelb, Blau, Lila) gibt sofort Aufschluss über die Seltenheit, und die vielen Eigenschaften wie „Feuerangriff +15%“ oder „Ki-Reduktion -10%“ erlauben tiefe Anpassungen des Spielstils.
Kritiker mögen einwenden, dass dieses System die sorgfältige Balance typischer Souls-Spiele untergräbt. In der Praxis funktioniert es jedoch hervorragend, weil es neue Strategien eröffnet und das Spiel frisch hält. Wer eine seltene Waffe mit interessanten Eigenschaften findet, experimentiert automatisch mit neuen Kampftechniken.
Guardian Spirits – Übernatürliche Begleiter
Die Guardian Spirits sind weit mehr als nur kosmetisches Beiwerk. Diese Yokai-Begleiter gewähren passive Boni und können in kritischen Momenten beschworen werden, um verheerende Living Weapon-Transformationen auszulösen. Während dieser kurzen Phasen wird William von seinem Guardian Spirit verstärkt und kann enormen Schaden anrichten.
Jeder Guardian Spirit hat eigene Spezialisierungen. Kato verstärkt Schwert-basierte Builds, während Isonade Speerkämpfer bevorzugt. Das System ermutigt zum Experimentieren und zur Spezialisierung, ohne dabei zu restriktiv zu werden.
Onmyo-Magie und Ninjutsu
Abseits des Nahkampfs bietet Nioh zwei komplette magische Systeme. Onmyo-Magie umfasst Zauber wie Elementverstärkungen, Heilung und Schutz, während Ninjutsu auf Wurfsterne, Bomben und Stealth-Techniken setzt. Beide Systeme sind optional, aber mächtig genug, um eigenständige Builds zu ermöglichen.
Ein Onmyo-Magier kann seine Waffen mit Feuer, Blitz oder Gift verstärken und dabei die Elementalschwächen der Gegner ausnutzen. Ein Ninjutsu-Spezialist verlässt sich auf Bomben und Giftpfeile, um Gegner zu schwächen, bevor er zum Nahkampf übergeht. Diese Vielfalt macht Nioh zu einem der variabelsten Soulslike-Spiele überhaupt.
Missionssystem vs. Offene Welt
Anders als die zusammenhängenden Welten von Dark Souls setzt Nioh auf ein missionsbasiertes System. Aus einer Weltkarte wählt der Spieler einzelne Levels aus, die jeweils 30-60 Minuten dauern. Diese Designentscheidung ist umstritten, hat aber durchaus Vorteile.
Die Missionsstruktur erlaubt es Team Ninja, jedes Level sorgfältig zu durchkomponieren. Anstatt leerer Übergangsbereiche gibt es nur handgemachte, atmosphärische Umgebungen voller Geheimnisse und Herausforderungen. Für Spieler mit wenig Zeit ist es zudem praktisch, eine Mission zu schaffen und das Spiel zu pausieren, ohne Fortschritt zu verlieren.
Andererseits geht dadurch das Gefühl einer zusammenhängenden Welt verloren. Die Souls-typische Erfahrung, eine Abkürzung zu entdecken, die zwei scheinbar getrennte Bereiche verbindet, fehlt komplett. Nioh fühlt sich eher wie eine Sammlung ausgezeichneter Level an als wie eine lebende Welt.
Die Nebenmissionen bieten zusätzliche Herausforderungen und wichtige Ausrüstung. Viele davon spielen in bereits bekannten Gebieten, aber mit veränderten Gegnerpositionen und neuen Zielen. Das recycelte Content, aber geschickt präsentiert.
Schwierigkeit – Herausforderung mit Optionen
Nioh ist zweifellos ein schweres Spiel, aber es bietet mehr Optionen als typische Soulslike-Titel. Wer völlig überfordert ist, kann Co-op-Partner zur Hilfe rufen oder NPCs als AI-Begleiter beschwören. Das mag Puristen stören, macht das Spiel aber zugänglicher.
Die Revenant-Kämpfe sind eine clevere Ergänzung. Diese Geister gefallener Spieler tauchen in den Leveln auf und können bekämpft werden, um deren Ausrüstung zu erhalten. Es ist eine elegante Form von asynchronem Multiplayer, die das Community-Gefühl stärkt.
Für Veteranen bietet Nioh zusätzliche Herausforderungen. Die optionalen Twilight Missions präsentieren bekannte Level mit verstärkten Gegnern und besserer Beute. Nach dem Hauptspiel warten Way of the Strong und Way of the Demon – New Game Plus-Modi mit exponentiell steigenden Anforderungen.
Vergleich zur Konkurrenz
Nioh muss sich unweigerlich den Vergleich mit Dark Souls 3 (2016) und Bloodborne (2015) gefallen lassen. Während FromSoftwares Spiele durch ihre Welt-Design und Atmosphäre bestechen, punktet Nioh mit seinem Kampfsystem und der Charakterprogression.
Das Haltungssystem ist komplexer und strategischer als alles, was Dark Souls bietet. Das Ki-Puls-System belohnt aktive Teilnahme statt passives Warten. Das Loot-System hält die Motivation über Hunderte von Stunden aufrecht. In punkto reiner Gameplay-Mechaniken ist Nioh vermutlich das ausgereifteste Soulslike-Spiel.
Dafür fehlt die mystische Atmosphäre von Bloodborne oder das geniale Level-Design von Dark Souls. Nioh ist das mechanisch beste, aber nicht das atmosphärischste Spiel des Genres.
Fazit zu Nioh
Team Ninja hat mit Nioh ein kleines Meisterwerk geschaffen, das beweist, dass das Soulslike-Genre noch lange nicht ausgereizt ist. Anstatt blind FromSoftwares Formel zu kopieren, haben die Entwickler eigene Wege erkundet und dabei ein Spiel geschaffen, das sowohl vertraut als auch völlig neu wirkt.
Das Kampfsystem ist eine Offenbarung. Die Kombination aus Haltungssystem, Ki-Puls-Mechanik und Waffenvielfalt schafft eine Tiefe, die selbst nach Hunderten von Stunden neue Entdeckungen bereithält. Das Loot-System mag unorthodox sein, funktioniert aber brillant und hält die Motivation dauerhaft aufrecht. Die Guardian Spirits und magischen Systeme bieten zusätzliche Strategieebenen, ohne das Spiel zu verkomplizieren.
Schwächen hat Nioh durchaus. Das Missionssystem fragmentiert die Erfahrung und verhindert das für Souls-Spiele typische Weltgefühl. Die Story ist zwar zugänglich, aber weniger mystisch und interpretationsreich als bei der Konkurrenz. Einige Boss-Kämpfe wiederholen sich zu häufig, auch wenn sie mechanisch interessant bleiben.
Diese Kritikpunkte wiegen jedoch leicht gemessen an den Innovationen, die Nioh ins Genre einbringt. Hier ist ein Spiel entstanden, das nicht nur Souls-Fans begeistern wird, sondern auch Action-RPG-Liebhaber aller Couleur. Wer bereit ist, Zeit in das Erlernen der komplexen Mechaniken zu investieren, wird mit einem der befriedigendsten Kampferlebnisse der letzten Jahre belohnt.
Team Ninja hat bewiesen, dass sie zu Recht als eine der talentiertesten Action-Schmieden der Industrie gelten. Nioh ist nicht nur ein hervorragendes Soulslike-Spiel – es ist ein hervorragendes Spiel, Punkt. Für alle, die nach Dark Souls 3 Nachschub brauchen, gibt es derzeit keine bessere Alternative. Und für alle anderen: Lasst euch nicht abschrecken. Nioh ist die Mühe wert.
Wertung: 8.5/10
Pro:
- Revolutionäres Haltungs- und Ki-Puls-System
- Enorme Waffenvielfalt mit einzigartigen Spielstilen
- Motivierendes Loot-System
- Hervorragende Yokai-Designs
- Umfangreiche Charakter-Anpassung
- Optionale Co-op-Unterstützung
Contra:
- Missionssystem fragmentiert die Welterfahrung
- Weniger mystische Atmosphäre als FromSoftware-Titel
- Gelegentliche Boss-Wiederholungen
- Technische Unzulänglichkeiten bei Framerate
Für Fans von Dark Souls, Bloodborne und anspruchsvollen Action-RPGs ist Nioh ein absolutes Muss. Team Ninja hat geliefert – und wie!