Mit Red Dead Redemption 2 kehrt Rockstar Games nach acht Jahren in den Wilden Westen zurück und liefert dabei das vermutlich ambitionierteste Open-World-Projekt aller Zeiten ab. Als Prequel zum gefeierten Red Dead Redemption aus dem Jahr 2010 führt uns das neue Werk in das Jahr 1899, eine Zeit des Umbruchs, in der die Ära der Gesetzlosen langsam zu Ende geht. Nach den gewaltigen Erfolgen von Grand Theft Auto V und GTA Online waren die Erwartungen an Rockstars neustes Werk astronomisch hoch. Kann Red Dead Redemption 2 diese erfüllen? Die Antwort ist ein klares Ja – allerdings mit einigen wichtigen Einschränkungen, die wir in diesem Review ausführlich beleuchten werden.
Das Spiel ist ausschließlich für PlayStation 4 und Xbox One erschienen, eine PC-Version wurde bisher nicht angekündigt. Nach acht Jahren Entwicklungszeit bei Rockstar North, Rockstar San Diego und weiteren Studios der Rockstar-Familie ist das Ergebnis ein Spiel, das sowohl technisch als auch inhaltlich neue Maßstäbe setzt, dabei aber durchaus polarisiert.
Eine Ballade vom Ende einer Ära
Red Dead Redemption 2 erzählt die Geschichte von Arthur Morgan, einem loyalen Mitglied der Van der Linde-Gang unter der Führung des charismatischen Dutch van der Linde. Im Jahr 1899 ist die Zeit der großen Banden eigentlich vorbei – Eisenbahnen durchziehen das Land, Städte wachsen, und die Zivilisation macht den letzten freien Männern des Westens das Leben schwer. Nach einem verpfuschten Raubzug in der Kleinstadt Blackwater ist die Gang auf der Flucht und muss ums Überleben kämpfen.
Was zunächst wie eine klassische Räubergeschichte anmutet, entwickelt sich zu einer vielschichtigen Charakterstudie über Loyalität, Moral und den Preis der Freiheit. Arthur Morgan ist dabei einer der komplexesten Protagonisten der Videospielgeschichte – gespielt von Roger Clark, der eine außergewöhnliche Performance hinlegt. Jedes Mitglied der Van der Linde-Gang hat seine eigene Geschichte, seine Motivationen und entwickelt sich im Laufe des Spiels weiter. Besonders die Beziehung zwischen Arthur und dem bereits aus dem ersten Teil bekannten John Marston steht dabei im Fokus.
Die Handlung erstreckt sich über mehrere Kapitel und führt die Spieler durch verschiedene Regionen – von den schneebedeckten Bergen im Norden bis zu den Sümpfen von Lemoyne. Dabei gelingt es Rockstar, eine melancholische Grundstimmung zu erschaffen, die den Untergang des Wilden Westens spürbar macht.
Eine lebende, atmende Welt
Red Dead Redemption 2 ist technisch ein absolutes Meisterwerk. Die Spielwelt umfasst fünf verschiedene Staaten mit unterschiedlichen Klimazonen, Ökosystemen und Kulturen. Von den industrialisierten Gebieten um Saint Denis bis zu den unberührten Wäldern der Grizzly Mountains – jede Region hat ihren eigenen Charakter und ihre eigene Atmosphäre.
Die Liebe zum Detail ist dabei obsessiv. Arthurs Bart wächst in Echtzeit und muss regelmäßig gestutzt werden. Pferde hinterlassen authentische Spuren im Matsch, und das Wetter beeinflusst nicht nur die Optik, sondern auch das Gameplay. Bei Kälte muss Arthur warme Kleidung tragen, bei Hitze überhitzt er schneller. Diese Detailverliebtheit erstreckt sich auf nahezu jeden Aspekt des Spiels.
Besonders beeindruckend ist die Tierwelt. Über 200 verschiedene Arten bevölkern die Spielwelt, jede mit eigenständigem Verhalten. Wölfe jagen im Rudel, Bären reagieren aggressiv auf Bedrohungen, und verschiedene Fischarten sind zu unterschiedlichen Tageszeiten aktiv. Das Jagdsystem ist dabei so detailliert, dass verschiedene Waffen und Munitionstypen unterschiedliche Auswirkungen auf die Qualität der Beute haben.
NPCs haben Tagesroutinen, reagieren auf Wetter und Ereignisse, und erinnern sich an vergangene Begegnungen mit Arthur. Diese lebendige Welt existiert auch ohne den Spieler weiter – ein technisches Kunstwerk, das seinesgleichen sucht.
Simulation trifft auf Action
Das Gameplay von Red Dead Redemption 2 ist bewusst methodisch und bedächtig gestaltet. Jede Aktion wird zelebriert – vom Putzen der Waffen über das Füttern des Pferdes bis hin zum langsamen Öffnen von Schränken. Diese Detailverliebtheit trägt enorm zur Immersion bei, kann aber durchaus auch frustrieren, wenn man schnell vorankommen möchte.
Das Kampfsystem kombiniert verschiedene Elemente geschickt miteinander. Der aus dem Vorgänger bekannte „Dead Eye“-Modus wurde erweitert und erlaubt es nun, gezielt Körperteile anzuvisieren oder mehrere Ziele gleichzeitig zu markieren. Die Schießereien fühlen sich wuchtig und befriedigend an, wobei jede Waffe ihre eigenen Eigenschaften hat.
Das Pferd spielt eine zentrale Rolle und ist weit mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Verschiedene Rassen haben unterschiedliche Eigenschaften, und die Bindung zwischen Arthur und seinem Pferd muss durch gemeinsame Erlebnisse aufgebaut werden. Ein gut trainiertes Pferd reagiert schneller auf Kommandos und bleibt in gefährlichen Situationen ruhiger.
Das Honor-System aus dem Vorgänger kehrt zurück und beeinflusst sowohl die Geschichte als auch Arthurs Interaktionen mit der Spielwelt. Ehrenhaftes Verhalten wird belohnt, während kriminelle Aktivitäten Konsequenzen haben können. Dieses System fühlt sich natürlicher und weniger binär an als in vielen anderen Spielen.
Ein technisches und akustisches Meisterwerk
Grafisch setzt Red Dead Redemption 2 neue Maßstäbe für Konsolenhardware. Die Gesichtsanimationen sind auf Hollywood-Niveau, die Landschaften atemberaubend schön. Besonders auf der PlayStation 4 Pro und Xbox One X kommen die detailreichen Texturen und aufwendigen Lichteffekte voll zur Geltung. HDR-Unterstützung sorgt für brillante Kontraste, und die verschiedenen Tageszeiten schaffen immer wieder neue, malerische Momente.
Der Soundtrack von Woody Jackson ist ein Meisterwerk für sich. Die dynamische Musik reagiert auf die Handlungen des Spielers und verstärkt emotionale Momente gekonnt. Besonders die ruhigen, melancholischen Stücke unterstreichen die Atmosphäre des sterbenden Westens perfekt.
Die deutsche Synchronisation ist durchweg hochwertig, wobei die englische Originalfassung noch authentischer wirkt. Die Umgebungsgeräusche sind außergewöhnlich detailliert – vom Knarzen des Sattels über das Zirpen der Grillen bis hin zu den verschiedenen Stimmen in belebten Städten.
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Das Camp als Herzstück
Eine der interessantesten Neuerungen ist das Gangcamp, das als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte fungiert. Hier treffen sich alle Mitglieder der Van der Linde-Gang, und Arthur kann mit jedem von ihnen interagieren, ihre Geschichten erfahren und Beziehungen vertiefen. Das Camp entwickelt sich dynamisch weiter und reagiert auf die Ereignisse der Hauptgeschichte.
Arthur kann zum Wohlbefinden des Camps beitragen, indem er Geld spendet, Vorräte liefert oder bei Aufgaben hilft. Diese Aktivitäten mögen zunächst wie Nebensächlichkeiten wirken, tragen aber erheblich zur Immersion und Charakterentwicklung bei.
Zwischen Genialität und Geduld
Red Dead Redemption 2s größte Stärke ist gleichzeitig seine größte Schwäche: die kompromisslose Vision. Das Spiel verlangt Zeit und Geduld. Wer schnelle Action und konstante Belohnung sucht, wird von der gemächlichen Pace abgeschreckt. Manche Animationen lassen sich nicht überspringen, manche Aktivitäten dauern länger als nötig.
Die Missionsstruktur ist stellenweise sehr linear. Während die offene Welt unglaubliche Freiheiten bietet, sind viele Story-Missionen überraschend restriktiv. Verlässt man den vorgegebenen Bereich oder weicht vom geplanten Vorgehen ab, führt das oft zum Mission-Fehlschlag. Dies steht im Kontrast zur ansonsten so freien Spielwelt.
Auch Red Dead Online, der Multiplayer-Modus, ist zum Launch noch sehr rudimentär. Im Vergleich zu GTA Online fehlen Inhalte und die Progression ist langsam. Hier ist sicher noch einiges an Nachbearbeitung nötig.
Fazit zu Red Dead Redemption 2
Red Dead Redemption 2 ist ein ambitioniertes Kunstwerk, das die Grenzen dessen auslotet, was Videospiele als Medium leisten können. Es ist ein Spiel für Entdecker und Geschichtenerzähler, für alle, die bereit sind, sich auf Rockstars methodische Vision einzulassen.
Technisch und künstlerisch ist das Spiel ohne Frage ein Meisterwerk. Die Welt ist so detailliert und glaubwürdig wie keine andere zuvor, die Charakterentwicklung erstklassig, und die Präsentation auf höchstem Niveau. Gleichzeitig ist es aber auch ein Spiel, das seine eigenen Regeln aufstellt und von den Spielern erwartet, diese zu akzeptieren.
Wer sich darauf einlässt, erlebt eine der eindringlichsten und emotionalsten Geschichten, die je in einem Videospiel erzählt wurden. Red Dead Redemption 2 ist nicht nur ein Spiel – es ist eine Erfahrung, die noch Jahre nachwirken wird.
Pro:
- Technisch und grafisch beeindruckend
- Außergewöhnliche Welt mit unglaublichem Detailreichtum
- Hervorragende Charakterentwicklung und Storytelling
- Erstklassiger Soundtrack und Sounddesign
- Bedeutungsvolle Spielerentscheidungen
- Lebendige, glaubwürdige Spielwelt
Contra:
- Stellenweise zu langsame Pace
- Teilweise sehr lineare Missionsstruktur
- Red Dead Online noch nicht ausgereift
- Kann für Action-orientierte Spieler frustrierend sein
- Lange Eingewöhnungszeit nötig
Bewertung: 9/10
Empfehlung: Ein Muss für jeden, der Videospiele als Kunstform begreift. Geduldige Spieler werden mit einer der besten Spielerfahrungen der aktuellen Konsolengeneration belohnt.
Getestet auf PlayStation 4 Pro