Rise of the Ronin ist der neueste Titel von Team NINJA und exklusiv für die PlayStation 5 entwickelt worden. Nach der ersten Ankündigung sorgte das Spiel für lange Zeit für wilde Spekulationen in der Gaming-Community. Viele gingen davon aus, dass es sich um ein Soulslike Action-Rollenspiel in der Art von „Nioh“ (auch Team NINJA) oder vielleicht „Sekiro: Shadows Die Twice“ (FromSoftware) handeln könnte.
Vorab können wir euch verraten: Rise of the Ronin ist definitiv kein Soulslike, wir tun uns aber schwer, es überhaupt konkret einem Genre zuzuordnen. Einerseits handelt es sich um ein Actionspiel mit einem herausragenden Kampfsystem (wenn man sich darauf einlässt), einer durchaus interessanten Spielwelt und vielen kleinen Feinheiten, die zu gefallen wissen. Andererseits wird es sehr stark durch die typischen Merkmale diverser Genres und vieler ähnlicher Open-World-Spiele beeinträchtigt.
Eine enorm überfrachtete, stereotype Karte mit unzähligen Symbolen zum Abarbeiten und einer (nach und nach) unglaublichen Menge an Beute und Ausrüstung mit bedeutungslosen, inkrementellen Statistik-Verbesserungen prägen das Spielerlebnis. Da kommt man tatsächlich recht schnell in Versuchung, irgendwo nach einem Ubisoft-Logo Ausschau zu halten.
Ich will gar nicht sagen, dass dies grundsätzlich schlecht ist – ich mag die Assassin’s Creed-Spiele seit Origins allesamt – aber in diesem Fall kommen noch so viele verschiedene Komponenten hinzu, dass man das Gefühl bekommt, Team NINJA wollte irgendwie jedes populäre Genre im Ansatz bedienen. Aber schauen wir uns das Spiel systematisch an und beginnen bei der Story.
Die Story: Japan im Wandel der Zeit – Historisches Setting trifft auf moderne Erzählung
Rise of the Ronin spielt im Japan des mittleren 19. Jahrhunderts, während der sogenannten Bakumatsu-Periode, der finalen Phase der Edo-Zeit, in der das Tokugawa-Shogunat endete. Ein entscheidender Faktor in dieser turbulenten Zeit war die Wiedereröffnung Japans für fremde Nationen und eine Abkehr von der jahrhundertelangen Isolation des Landes.
Vor diesem faszinierenden historischen Hintergrund verfolgt man die fiktive Geschichte von zwei Kindern, die das Massaker ihres Dorfes durch die Shogunatskräfte überlebt haben und anschließend zu hochspezialisierten Assassinen ausgebildet werden. Diese sogenannten „Klingen-Zwillinge“ können in dem recht umfangreichen Charakter-Editor nach den eigenen Vorstellungen angepasst werden, bevor man auf eine prekäre und gefährliche Mission geschickt wird.
Die ersten Stunden: Ein fesselnder Auftakt
Es geht darum, sich an Bord eines der berüchtigten schwarzen Schiffe aus Amerika zu schleichen und Commodore Matthew Perry zu ermorden – jene historische Figur, die maßgeblich für die Öffnung Japans verantwortlich war. Diese Eröffnungsmission bildet einen fesselnden Auftakt und zeigt euch direkt auf, was euch im weiteren Spielverlauf erwartet: Eine Mischung aus Stealth, Action und politischen Intrigen.
Die Geschichte entwickelt sich nach und nach zu einem noch viel umfangreicheren, aber auch deutlich verzwickteren Narrativ. Du wirst im Laufe des Spiels einige bedeutende historische Figuren treffen, darunter Ryōma Sakamoto, Kogoro Katsura und andere wichtige Persönlichkeiten dieser turbulenten Zeit der japanischen Geschichte.
Fraktionswahl und deren Konsequenzen
Die Möglichkeit, sich einer Pro- oder Anti-Shogunat-Fraktion anzuschließen und schwerwiegende politische Entscheidungen zu treffen, die die Zukunft Japans in einer der interessantesten Epochen seiner Geschichte prägen können, ist durchaus faszinierend und verleiht dem Spiel eine gewisse historische Tiefe.
Auf einer thematischen Ebene behandelt diese Geschichte durchaus zum Nachdenken anregende Aspekte – Nationalismus, Xenophobie, Kolonialismus, die Konfrontation mit revolutionärer neuer Technologie, die eine bestimmte traditionelle Lebensweise schnell obsolet machen kann. Wenn du eine ausgeprägte Vorliebe für diese historische Periode hast, macht es wahnsinnig viel Spaß, sich damit aktiv auseinanderzusetzen. Die Entscheidungen haben tatsächlich spürbare Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte und können sogar dazu führen, dass bestimmte Charaktere in späteren Missionen als wertvolle Verbündete zur Verfügung stehen oder eben nicht.
Narrative Schwächen: Inkonsistente Charakterbeziehungen
Besonders gelungen sind die charakterbasierten Nebenquests, die oft tiefere Einblicke in die japanische Gesellschaft dieser Zeit gewähren. Hier erfährt man mehr über die Ängste der Menschen vor den fremden „Barbaren“, die Zerrissenheit zwischen Tradition und Fortschritt, und die komplexen politischen Verstrickungen der Zeit. Auch wenn das meiste davon eher als oberflächlich bezeichnet werden kann, ist es doch deutlich mehr narrative Substanz als in vielen anderen Open-World-Titeln.
Allerdings zeigen sich hier auch einige strukturelle Probleme, die das Spielerlebnis erheblich trüben können. So wirkt es oft so, als sei es völlig egal, für welche Fraktion man sich entscheidet – letztendlich arbeitet man doch alle verfügbaren Missionen ab, unabhängig von der eigenen politischen Ausrichtung. Das nimmt den so wichtig erscheinenden Entscheidungen viel von ihrer Bedeutung und macht das Fraktionssystem etwas zahnlos.
Noch verwirrender wird es bei den zahlreichen Gefährten und deren wechselnden Loyalitäten. In einer Mission befreit man noch einen Charakter aus dem Gefängnis oder kämpft Seite an Seite mit einem loyalen Mitstreiter, nur um ihm in der nächsten Mission plötzlich als erbitterten Kontrahenten gegenüberzustehen oder ihn sogar als feindliches Hauptziel eliminieren zu müssen. Diese inkonsistenten Konstellationen sorgen für erhebliche Verwirrung und beeinträchtigen die Immersion spürbar. Man verliert schnell den Überblick über die komplexen Beziehungsgeflechte, was sich negativ auf die Wahrnehmung der eigentlich interessanten Story auswirkt.
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Grafik und Technik: Solide PlayStation 5-Kost, aber nicht spektakulär
Technisch präsentiert sich Rise of the Ronin als durchaus ansehnlicher PlayStation 5-Titel, erreicht aber nicht ganz die visuellen Höhen, die man sich von einer Next-Gen-Exklusivität erwartet hätte. Die weitläufigen Landschaften des historischen Japans sind durchaus malerisch gestaltet, mit ausgedehnten Reisfeldern, authentischen traditionellen Städten und imposanten Bergketten, die den Horizont säumen.
Besonders die atmosphärischen Herbstszenerien mit ihren in warmen Rottönen fallenden Blättern können durchaus beeindrucken und verleihen der Spielwelt eine friedliche, beinahe meditative Atmosphäre, die zum Verweilen einlädt.
Die drei Hauptgebiete im Detail
Die drei Hauptgebiete – das geschäftige Yokohama mit seinem internationalen Flair, das traditionelle Edo (das heutige Tokyo) und das kulturell bedeutsame Kyoto – sind alle mit erkennbarer Liebe zum Detail gestaltet und vermitteln ein authentisches Gefühl für das Japan der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die historische Architektur ist durchweg stimmig umgesetzt, die Kleidung der NPCs passt zur jeweiligen Zeitperiode und auch die verschiedenen Waffen und Gegenstände wirken historisch korrekt recherchiert. Besonders beeindruckend sind die dynamischen Übergänge zwischen den verschiedenen Tageszeiten und Wetterlagen – ein malerischer Sonnenuntergang über den weitläufigen Reisfeldern oder ein plötzlicher, atmosphärischer Regenschauer in den engen, verwinkelten Gassen von Edo können durchaus stimmungsvoll wirken.
Technische Mängel trüben das Gesamtbild
Allerdings fallen immer wieder störende technische Mängel auf: Charaktermodelle wirken teilweise etwas steif und wenig detailliert, die Gesichtsmimik der NPCs ist oft recht hölzern und unnatürlich, und die Texturen können in bestimmten Bereichen durchaus als „matschig“ und wenig detailreich bezeichnet werden. Auch die begrenzte Anzahl der verschiedenen NPC-Modelle fällt negativ auf, sodass man häufig dieselben Gesichter in verschiedenen Städten und Regionen antrifft.
Im direkten optischen Vergleich zu Ghost of Tsushima, dem wohl prominentesten Konkurrenten in Sachen atmosphärischer Samurai-Action, fällt Rise of the Ronin leider deutlich ab und kann nicht mithalten.
Performance und technische Umsetzung
Was die Performance angeht, so läuft das Spiel in beiden verfügbaren Modi (Grafik-Modus und Performance-Modus) recht stabil und ohne größere Einbrüche, wobei der Performance-Modus mit seinen flüssigen 60 FPS deutlich zu empfehlen ist, da das schnelle und reaktive Kampfsystem erheblich davon profitiert.
Längere Ladezeiten gibt es dank der leistungsstarken SSD der PlayStation 5 praktisch nicht zu beklagen, und auch die durchdachte Nutzung des DualSense-Controllers mit haptischem Feedback bei erfolgreichen Paraden und wuchtigen Angriffen ist gelungen umgesetzt und trägt zur Immersion bei.
Sound: Atmosphärisch überzeugende Klangkulisse
Wesentlich überzeugender als die Grafik fällt der vielschichtige Soundtrack aus, der mit traditionellen japanischen Instrumenten eine sehr authentische und stimmungsvolle Atmosphäre schafft. Shamisen, traditionelle Taiko-Trommeln und japanische Bambusflöten verschmelzen zu einem stimmungsvollen Klangteppich, der die verschiedenen Regionen und emotionalen Situationen perfekt untermalt und zur Immersion beiträgt.
Besonders in den intensiven Kampfsequenzen wird die Musik dramatischer und treibender, ohne dabei aufdringlich oder störend zu werden. Die Komponisten haben hier wirklich hervorragende Arbeit geleistet.
Sprachausgabe und Synchronisation
Die Sprecher leisten größtenteils einen soliden und überzeugenden Job, wobei die deutsche Synchronisation durchaus vorhanden und ordentlich umgesetzt ist. Wer möchte, kann aber auch auf die japanische Originalvertonung mit deutschen Untertiteln zurückgreifen, was der historischen Atmosphäre definitiv zugutekommt und authentischer wirkt.
Die Hauptcharaktere sind gut und glaubwürdig vertont, und auch die historischen Persönlichkeiten bekommen passende, charakteristische Stimmen verliehen, die zu ihrer jeweiligen Persönlichkeit passen.
Kampf-Audio und Umgebungsgeräusche
Die Kampfgeräusche sind knackig und kraftvoll umgesetzt und vermitteln ein ausgezeichnetes Gefühl für die Wucht und das Gewicht der verschiedenen Waffentypen. Das metallische Klirren der Schwerter beim Zusammenprall, das charakteristische Pfeifen der abgeschossenen Pfeile und das imposante Donnern der frühen Feuerwaffen – alles klingt authentisch und befriedigend.
Umgebungsgeräusche tragen erheblich zur stimmungsvollen Atmosphäre bei: vom rhythmischen Pferdegetrappel über lebhaftes Marktgeschrei bis hin zu den beruhigenden Geräuschen des Windes in den dichten Bambuswäldern ist alles stimmig und detailreich umgesetzt.
Besonders hervorzuheben ist die geschickte Nutzung der 3D-Audio-Funktionen der PlayStation 5. Mit einem guten Gaming-Headset kann man herannahende Feinde schon von weitem hören und sich entsprechend taktisch darauf vorbereiten. Diese akustischen Hinweise sind nicht nur atmosphärisch gelungen, sondern auch spielerisch durchaus hilfreich und taktisch relevant.
Gameplay: Kampfsystem als unbestreitbares Herzstück
Die eigentlichen Story-Missionen spielen sich grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten ab: entweder als spontane Begegnungen, die du nahtlos auf der weitläufigen Weltkarte betrittst und direkt abschließt (meist durch simple Interaktion mit einem NPC), oder als eigenständige, strukturierte Mission, die du bewusst aus dem Menü startest und dir vorher sorgfältig Begleiter aussuchst (es stehen nach und nach immer mehr verschiedene zur Auswahl).
Letztere haben auch immer ein einzigartiges, spezifisches Ziel, wie zum Beispiel einen wichtigen Verbündeten aus einem gut bewachten Gefängnis zu befreien oder einen korrupten Regierungsbeamten gezielt zu eliminieren, und sind meist deutlich umfangreicher und anspruchsvoller gestaltet.
Koop-Modus: Nette Ergänzung mit Schwächen
Statt ausschließlich KI-Verbündete als Begleiter zu wählen, kann man auch im Online-Koop-Modus mit bis zu zwei Freunden gemeinsam spielen. Das ist auf jeden Fall recht unterhaltsam und macht besonders bei den härteren Herausforderungen Spaß, etwas ungünstig ist allerdings, dass man immer erst beim tatsächlichen Start der Mission erfährt, ob man solo oder mit menschlichen Verbündeten unterwegs ist. Daher wirkt dieses Feature leider auch ein bisschen nachträglich hinzugefügt – nach dem Motto „Ach komm, einen Koop-Modus packen wir auch noch rein“. Dennoch macht es durchaus Spaß, die besonders herausfordernden Bosskämpfe gemeinsam zu bestreiten.
Das Kampfsystem: Team NINJAs Meisterwerk
Das ausgeklügelte Kampfsystem ist zweifellos das unbestreitbare Herzstück von Rise of the Ronin und hier zeigt sich Team NINJAs jahrelange, gesammelte Erfahrung in der Entwicklung anspruchsvoller Action-Spiele in ihrer vollen Pracht. Das parry-lastige System erfordert präzises Timing und eine gute Beobachtungsgabe, belohnt aber geschickte und geduldige Spieler mit spektakulären Kontermöglichkeiten und befriedigenden Kampfkombinationen.
Verschiedene Waffengattungen – von traditionellen Katanas über lange Speere und Naginatas bis hin zu frühen westlichen Feuerwaffen – bieten völlig unterschiedliche Spielstile und taktische Herangehensweisen an die verschiedenen Kampfsituationen.
Besonders gelungen und innovativ ist die Möglichkeit, während eines laufenden Kampfes dynamisch zwischen verschiedenen Kampfstilen zu wechseln und so flexibel auf unterschiedliche Gegnersituationen und Bedrohungen zu reagieren. Jede Waffe verfügt über drei verschiedene, charakteristische Stile (Himmel, Erde, Mensch), die jeweils andere spezifische Vor- und Nachteile bieten. Ein Katana im schnellen Himmel-Stil ist beispielsweise deutlich schneller und wendiger, aber dafür schwächer in der Durchschlagskraft, während der kraftvolle Erde-Stil langsamer, aber dafür durchschlagskräftiger und wuchtiger ist.
Counterspark-System: Spektakuläre Gegenangriffe
Das innovative Counterspark-System, bei dem perfekt getimte Paraden zu spektakulären und cinematischen Gegenangriffen führen, ist ein echtes Highlight und das beste Feature des gesamten Spiels. Wenn man erst einmal den spezifischen Rhythmus und die Angriffsmuster verschiedener Gegnertypen verstanden und verinnerlicht hat, entwickeln sich die Kämpfe zu einem regelrechten, hypnotischen Tanz aus präzisem Angriff und geschickter Verteidigung.
Besonders die epischen Bosskämpfe gegen andere erfahrene Samurai oder bedeutende historische Figuren sind echte Höhepunkte des gesamten Spielerlebnisses und bieten die befriedigendsten Gaming-Momente des Titels.
Die Open World: Fluch und Segen zugleich
Leider wird diese unbestreitbare Stärke durch das teilweise generische Open-World-Design spürbar verwässert. Die weitläufige Spielwelt ist überfrachtet mit typischen, abzuhakenden Open-World-Aktivitäten: Banditenlager systematisch befreien, Sammelgegenstände akribisch finden, repetitive Nebenquests mechanisch abarbeiten – vieles davon wirkt wie sinnlose Zeitverschwendung und lenkt von den eigentlich starken, gut durchdachten Story-Missionen ab.
Die übersichtliche Karte ist in verschiedene thematische Regionen aufgeteilt, die jeweils einen individuellen „Bekanntheitsgrad“ haben. Je höher dieser durch verschiedene Aktivitäten wird, desto mehr zusätzliche Inhalte und Möglichkeiten werden freigeschaltet.
Positive Aspekte der offenen Spielwelt
Andererseits bietet die offene Spielwelt durchaus auch durchdachte Möglichkeiten zur atmosphärischen Erkundung, die reizvoll und lohnenswert sein können. Das gut umgesetzte Gleitsystem erlaubt es, größere Strecken schnell und elegant zurückzulegen und dabei die malerische Landschaft in Ruhe zu genießen.
Mit dem praktischen Enterhaken kann man problemlos Gebäude erklimmen und versteckte, schwer erreichbare Bereiche erreichen. Auch die Möglichkeit, auf Pferden durch die Landschaft zu reiten oder sogar in frühen, historisch korrekten Eisenbahnen zu fahren, trägt positiv zur authentischen Atmosphäre bei.
Bond-System: Interessante Idee mit Schwächen
Das Bond-System, bei dem man systematisch Beziehungen zu verschiedenen NPCs aufbaut und pflegt, ist eine durchaus interessante Idee mit Potenzial. Je besser und vertrauensvoller die Beziehung zu einem bestimmten Charakter ist, desto mehr konkrete Vorteile erhält man – seien es neue, mächtige Fähigkeiten, bessere und seltenere Ausrüstung oder einfach zusätzliche, interessante Storylines und Charakterentwicklung.
Leider wird dieses an sich durchdachte System durch die bereits erwähnten inkonsistenten Charakterbeziehungen erheblich geschwächt. Wenn man gerade noch eine emotionale Bindung zu einem wichtigen Charakter aufgebaut hat, nur um ihm kurz darauf als erbitterten Feind gegenüberzustehen, wirkt das Bond-System schnell oberflächlich und wenig durchdacht.
Auch die bereits kritisierte Tatsache, dass man unabhängig von der gewählten politischen Fraktion praktisch alle verfügbaren Missionen abarbeiten kann, macht viele der mühsam aufgebauten Beziehungen wenig bedeutsam – schließlich weiß man nie, ob der heutige loyale Verbündete nicht morgen schon der zu bekämpfende Gegner ist.
Loot und Progression: Zu viel des Guten
Besonders ärgerlich und störend ist das völlig überladene Loot-System: Das Spiel überschüttet den Spieler geradezu mit Ausrüstungsgegenständen, die sich oft nur minimal und bedeutungslos in ihren statistischen Werten unterscheiden. Nach jedem größeren Kampf oder abgeschlossenen Quest hat man mehrere neue Waffen und Rüstungsteile im Inventar, die mühsam sortiert und verglichen werden müssen.
Das führt zu ständigen, nervigen Unterbrechungen des eigentlichen Spielflusses, da man regelmäßig das überfüllte Inventar aufräumen und reorganisieren muss. Für ein Spiel, das sich primär auf sein exzellentes Kampfsystem konzentrieren sollte, ist das eine merkwürdige und kontraproduktive Designentscheidung.
Positive Aspekte der Charakterentwicklung
Andererseits bietet das umfangreiche Loot-System durchaus auch interessante Möglichkeiten zur individuellen Charakteranpassung und -optimierung. Verschiedene Waffenarten haben unterschiedliche, charakteristische Eigenschaften und spezielle Effekte, und man kann seine gesamte Ausrüstung durchaus sinnvoll an den eigenen bevorzugten Spielstil anpassen.
Das detaillierte Schmiedesystem erlaubt es zudem, vorhandene Waffen und Rüstungen systematisch zu verbessern oder sogar völlig neue, einzigartige Gegenstände zu erschaffen.
Die umfangreichen Skill-Trees sind vielfältig und bieten für praktisch jeden denkbaren Spielstil passende Optionen. Von reinen, offensiven Kampffähigkeiten über subtile Schleich-Skills bis hin zu praktischen Überlebensfähigkeiten ist alles dabei. Allerdings kann das komplexe System auch etwas überwältigend wirken, besonders für casual orientierte Spieler, die sich nicht intensiv mit den verschiedenen, verschachtelten Mechaniken beschäftigen möchten.
Stealth und Erkundung: Mehr als nur direkter Kampf
Neben dem herausragenden Kampfsystem bietet Rise of the Ronin auch umfangreiche und durchdachte Stealth-Mechaniken. Man kann unaufmerksame Gegner lautlos von hinten ausschalten, sich geschickt durch hohes Gras und dichte Vegetation schleichen oder clevere Ablenkungsmanöver nutzen, um Patrouillen zu umgehen.
Das Stealth-System ist zwar nicht so ausgereift und detailliert wie in spezialisierten Schleichspielen, bietet aber eine willkommene, taktische Abwechslung zum direkten, frontalen Kampf und eröffnet alternative Lösungsansätze für viele Situationen.
Erkundungsanreize und Belohnungen
Die systematische Erkundung der weitläufigen Spielwelt wird durch verschiedene, lohnenswerte Aktivitäten belohnt: Traditionelle Schreine erhöhen permanent die maximale Gesundheit, versteckte Schätze bringen wertvolle Crafting-Materialien und seltene Gegenstände, und atmosphärische Fotos können an besonders malerischen Orten gemacht werden.
Auch wenn vieles davon aus anderen Open-World-Spielen bekannt vorkommt, ist die grundsätzliche Umsetzung doch solide und bietet durchaus Motivation, auch abseits der Hauptquest die detailreich gestaltete Welt zu erkunden und ihre Geheimnisse zu entdecken.
Historischer Kontext und Authentizität: Ein Pluspunkt für Geschichtsinteressierte
Ein besonderer und lobenswerter Pluspunkt von Rise of the Ronin ist die erkennbar authentische und respektvolle Darstellung der faszinierenden Bakumatsu-Periode. Die Entwickler haben sich sichtlich große Mühe gegeben und erheblichen Aufwand betrieben, um diese historisch bedeutsame Zeit der japanischen Geschichte korrekt und würdevoll darzustellen.
Die komplexen politischen Spannungen zwischen den Modernisierern und den traditionellen Konservativen, die einflussreiche Rolle der ausländischen Mächte und die tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen werden authentisch und gut nachvollziehbar eingefangen.
Historische Persönlichkeiten und Ereignisse
Die bedeutenden historischen Persönlichkeiten sind mit erkennbarem Respekt und großer Sorgfalt dargestellt, ohne dabei zu reverential oder unkritisch zu werden. Man merkt deutlich, dass hier umfangreiche historische Recherche betrieben wurde, um ein möglichst authentisches und korrektes Bild dieser turbulenten Zeit zu zeichnen.
Für Geschichtsinteressierte ist das Spiel daher auch eine echte Bereicherung, da es einen interaktiven, spielerischen Zugang zu einem wichtigen und faszinierenden Kapitel der japanischen Geschichte bietet, der in westlichen Medien oft vernachlässigt wird.
Ein ambitioniertes Experiment mit erkennbaren Schwächen
Rise of the Ronin zeigt sehr deutlich, dass Team NINJA zum ersten Mal ernsthaft versucht, eine umfangreiche Open World zu erschaffen. Das Ergebnis ist durchaus respektabel und anerkennenswert, auch wenn es nicht völlig frei von strukturellen Schwächen und Designproblemen ist.
Während das exzellente Kampfsystem und die authentische historische Atmosphäre durchaus zu überzeugen wissen, wird das Gesamterlebnis durch einige generische Open-World-Mechaniken und die erwähnten narrativen Inkonsistenzen spürbar gebremst.
Die Spielwelt fühlt sich stellenweise leer und seelenlos an, trotz der vielen Aktivitätsmarkierungen auf der übersichtlichen Karte. Man merkt deutlich, dass hier versucht wurde, bewährte Formeln anderer erfolgreicher Spiele zu übernehmen, anstatt ein komplett eigenes, innovatives Konzept zu entwickeln.
Dennoch gelingt es dem Spiel immer wieder, durch seine unbestreitbar starken Momente – sei es ein besonders gelungener, cinematischer Bosskampf oder eine emotional berührende Story-Sequenz – positiv zu überraschen und zu begeistern.
Technische Bewertung
Die technischen Mängel sind zwar deutlich vorhanden und sichtbar, aber keineswegs spielbrechend oder gravierend. Die Performance ist durchgehend stabil, die Ladezeiten sind dank der PlayStation 5-Hardware angenehm kurz und das Spiel stürzt nur äußerst selten ab. Für eine erste Open-World-Produktion von Team NINJA ist das durchaus akzeptabel und zeigt, dass das Entwicklerteam durchaus lernfähig ist.
Fazit: Ein faszinierendes Experiment mit mehr Licht als Schatten
Rise of the Ronin ist ein faszinierendes und ambitioniertes Experiment, das trotz einiger nicht zu übersehender Schwächen deutlich mehr richtig als falsch macht. Team NINJA hat eindrucksvoll bewiesen, dass sie auch außerhalb ihrer gewohnten, linearen Pfade durchaus interessante und unterhaltsame Spiele erschaffen können, auch wenn das Endergebnis nicht in allen Bereichen perfekt ist.
Das ausgeklügelte Kampfsystem ist nach wie vor das absolute Highlight des gesamten Spielerlebnisses und rechtfertigt allein schon die Anschaffung für alle Fans von anspruchsvollen und reaktiven Action-Spielen. Die sorgfältig gewählte historische Periode ist faszinierend und wird mit erkennbarem Respekt, viel Liebe zum Detail und großer Authentizität behandelt.
Die Story mag nicht revolutionär oder bahnbrechend sein, aber sie ist durchaus gut und fesseln erzählt und bietet genügend interessante Wendungen und Charaktermomente, um Spieler bei der Stange zu halten und zum Weiterspielen zu motivieren.
Schwächen, die das Gesamterlebnis nicht zerstören
Ja, die Open-World-Mechaniken sind teilweise generisch und aus anderen Spielen bekannt, und ja, das überladene Loot-System ist definitiv überfrachtet und störend. Aber das Spiel schafft es dennoch, eine kohärente und größtenteils unterhaltsame Erfahrung zu bieten, die über weite Strecken zu fesseln weiß.
Für jeden, der sich für die faszinierende japanische Geschichte interessiert oder einfach nur ein solides, handwerklich gut gemachtes Action-RPG mit Tiefe sucht, ist Rise of the Ronin durchaus empfehlenswert und eine Bereicherung für die PlayStation 5-Bibliothek.
Spielzeit und Wiederspielwert
Die über 40 Stunden reine Spielzeit vergehen erstaunlich schnell, besonders wenn man sich primär auf die gut durchdachte Hauptstory konzentriert und nicht zwanghaft jeden Sammelgegenstand und jede Nebenaktivität finden muss. Das innovative Bond-System sorgt für erheblichen Wiederspielwert, da verschiedene Entscheidungen zu durchaus unterschiedlichen Ausgängen und alternativen Charakterentwicklungen führen können.
Team NINJA hat mit Rise of the Ronin definitiv ein solides und tragfähiges Fundament gelegt, auf dem zukünftige Open-World-Projekte erfolgreich aufbauen können. Es ist kein uneingeschränktes Meisterwerk, aber es ist ein sehr gutes und lohnenswerte Spiel, das seine Zielgruppe definitiv zufriedenstellen wird.
Fans der erfolgreichen Nioh-Reihe werden sich hier trotz der deutlichen Unterschiede durchaus heimisch fühlen, und auch Neueinsteiger können ohne größere Bedenken zugreifen und werden ein unterhaltsames Spielerlebnis finden.
Ein wichtiger Beitrag zur Gaming-Landschaft
Das Spiel zeigt eindrucksvoll, dass auch in der heutigen, oft von generischen Formeln geprägten Gaming-Zeit noch Raum für originelle, ungewöhnliche Settings und interessante historische Hintergründe ist. In einer Welt voller Fantasy-RPGs und futuristischer Shooter ist ein atmosphärisches Spiel über das Japan des 19. Jahrhunderts eine willkommene, erfrischende Abwechslung.
Rise of the Ronin beweist, dass Team NINJA bereit ist, neue Wege zu erkunden und sich nicht auf den Lorbeeren ihrer bisherigen Erfolge auszuruhen. Das verdient Respekt und Anerkennung, auch wenn nicht alle Experimente vollständig geglückt sind.
Wertung: 7,9/10
Pro:
- Exzellentes, reaktives Kampfsystem
- Authentische historische Atmosphäre
- Über 40 Stunden Spielzeit
- Interessante Charakterentscheidungen
- Solide technische Umsetzung auf PS5
Contra:
- Generische Open-World-Mechaniken
- Überladenes Loot-System
- Inkonsistente Charakterbeziehungen
- Teilweise schwache Grafik im Vergleich zur Konkurrenz
- Oberflächliches Fraktionssystem
Rise of the Ronin ist ab sofort exklusiv für PlayStation 5 erhältlich und bietet trotz einiger Schwächen ein rundum gelungenes Spielerlebnis für Fans von Action-RPGs und japanischer Geschichte. Für alle Interessierten lohnt sich definitiv ein Blick auf dieses ambitionierte Projekt von Team NINJA.