System Shock 2

[Review] System Shock 2

Mit System Shock 2 haben Looking Glass Studios und Irrational Games etwas ganz Besonderes geschaffen. Als Nachfolger des legendären System Shock von 1994 standen die Erwartungen natürlich astronomisch hoch – schließlich gilt der Vorgänger bereits jetzt als einer der innovativsten Titel der 90er Jahre. Doch was die Entwickler hier abgeliefert haben, übertrifft alle Erwartungen und definiert gleich mehrere Genres neu. System Shock 2 ist kein gewöhnlicher Shooter, kein klassisches RPG und auch kein typischer Horror-Titel – es ist eine einzigartige Mischung aus allen dreien, die so bisher noch nie dagewesen ist.

Wer auf der Suche nach einem Spiel ist, das sowohl das Gehirn als auch die Nerven fordert, wird hier definitiv fündig. System Shock 2 ist definitiv nichts für schwache Nerven oder Gelegenheitsspieler, die mal eben schnell ein paar Aliens abknallen wollen. Hier muss man mitdenken, planen und vor allem: überleben. Denn Ressourcen sind knapp, Munition kostbar und hinter jeder Ecke kann der Tod lauern.

Die Story von System Shock 2

Die Handlung setzt 42 Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils ein und spielt an Bord zweier Raumschiffe: der militärischen UNN Rickenbacker und der Forschungseinrichtung Von Braun. Beide Schiffe waren gemeinsam auf dem Weg zum Tau Ceti-System, um dort eine neu entdeckte Alienspezies zu untersuchen. Doch als der Spieler aus seinem Kryoschlaf erwacht, ist nichts mehr, wie es sein sollte.

Die Schiffe sind menschenleer, überall liegen Leichen herum und mysteriöse organische Strukturen haben sich in den Gängen ausgebreitet. Schlimmer noch: Die wenigen Überlebenden der Crew sind zu etwas geworden, das man nur noch schwer als menschlich bezeichnen kann. Sie sind von einer parasitären Alienspezies namens „The Many“ befallen worden, die ihre Körper und Geister übernommen hat.

Über Audio-Logs und E-Mails der toten Besatzung erfährt man nach und nach, was wirklich passiert ist. Die Von Braun hatte auf Tau Ceti V eine außerirdische Lebensform entdeckt, die sich als weitaus gefährlicher entpuppte, als zunächst angenommen. The Many sind nicht nur Parasiten – sie bilden ein Kollektivbewusstsein, das danach strebt, alle Lebewesen zu assimilieren und zu „vereinen“.

Doch das ist noch nicht alles. Denn im Hintergrund zieht eine alte Bekannte die Fäden: SHODAN, die wahnsinnige KI aus dem ersten Teil, ist zurück. Und sie hat ihre ganz eigenen Pläne mit dem Spieler, The Many und der gesamten Menschheit. Was folgt, ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen drei Parteien, bei dem der Spieler mittendrin steht und ständig entscheiden muss, wem er trauen kann – falls überhaupt jemandem.

Die Geschichte wird hauptsächlich über das Erkunden der Umgebung und das Sammeln von Audio-Logs erzählt. Diese sind brillant geschrieben und vertont – man entwickelt echte emotionale Verbindungen zu Menschen, die man nie lebend zu Gesicht bekommt. Jeder Bereich der Schiffe erzählt seine eigene kleine Tragödie, während sich das große Bild langsam zusammenfügt.

Gameplay und Mechaniken

Hier zeigt System Shock 2 seine wahre Genialität. Das Spiel vereint Elemente aus verschiedenen Genres so geschickt, dass etwas völlig Neues entsteht. Zu Spielbeginn wählt man eine von drei militärischen Laufbahnen: Marine, Navy oder OSA (Organization for Strategic Assessment). Diese Entscheidung prägt das gesamte Spielerlebnis fundamental.

Marines sind die Kampfspezialisten. Sie starten mit besseren Waffen-Fertigkeiten, können schwere Rüstungen tragen und sind im direkten Kampf überlegen. Dafür haben sie Probleme mit komplexer Technologie und Psi-Kräften. Navy-Offiziere sind die Technik-Experten des Spiels. Sie beherrschen das Hacken von Computersystemen, können Ausrüstung reparieren und verstehen komplexe Maschinen. Im Kampf sind sie anfangs schwächer, können aber durch geschickten Einsatz von Technik vieles kompensieren.

OSA-Agenten schließlich sind die „Magier“ des System Shock-Universums. Sie beherrschen Psi-Kräfte – eine Art psychische Fähigkeiten, die von einfacher Telekinese bis hin zur kompletten Gedankenkontrolle reichen. Diese Kräfte sind mächtig, aber auch teuer im Verbrauch und erfordern seltene Ressourcen.

Das Charaktersystem ist komplex aber logisch aufgebaut. Fertigkeiten werden über sogenannte „Cyber-Module“ verbessert, die man überall auf den Schiffen finden kann – sofern man gründlich sucht. Jede Fertigkeit kostet unterschiedlich viele Module, und man muss ständig schwierige Entscheidungen treffen: Investiere ich in bessere Waffen-Fähigkeiten oder lerne ich das Hacken? Verbessere ich meine Psi-Kräfte oder meine Ausdauer?

Was System Shock 2 von allen anderen Shootern unterscheidet, ist die extreme Ressourcen-Knappheit. Munition ist selten und wertvoll. Waffen nutzen sich mit jedem Schuss ab und müssen regelmäßig repariert werden, sonst zerbrechen sie zur ungünstigsten Zeit. Heilmittel sind kostbar und Ersatzteile rar. Man kann nicht einfach drauflosballern wie in Doom oder Quake – jeder Schuss muss sitzen, jede Entscheidung will wohlüberlegt sein.

Das Hacking-System verdient besondere Erwähnung. Statt simpler Passwort-Eingaben gibt es hier ein faszinierendes Mini-Spiel, bei dem man geometrische Formen durch ein Labyrinth zu einem Ziel navigieren muss, während Sicherheitsprogramme versuchen, einen aufzuhalten. Das ist anfangs verwirrend, wird aber schnell zu einem süchtig machenden Puzzle-Element, das perfekt zur Sci-Fi-Atmosphäre passt.

Die Psi-Kräfte sind definitiv ein Highlight des Spiels. Mit „Telekinetic Pull“ kann man Gegenstände aus der Ferne zu sich holen, „Charm“ verwandelt Feinde temporär in Verbündete, und „Invisibility“ ermöglicht es, ungesehen durch Gegnermassen zu schleichen. Besonders mächtig ist „Neural Toxin“, das Roboter und Cyborgs lahmlegt. Allerdings kosten diese Kräfte „Psi-Punkte“, die nur langsam regenerieren oder durch seltene Booster-Implantate wiederhergestellt werden können.

Grafik und Atmosphäre

Optisch setzt System Shock 2 neue Maßstäbe. Die Dark Engine, die auch schon in Thief zum Einsatz kam, zaubert beeindruckende Umgebungen auf den Bildschirm. Die Von Braun und die Rickenbacker sind keine sterilen Spielumgebungen, sondern lebende, atmende Orte mit einer eigenen Geschichte.

Jeder Deck-Bereich hat seinen eigenen Charakter: Die sterilen, weißen Labore der Forschungsabteilung wirken klinisch und kalt. Die Crew-Quartiere strahlen eine verlorene Gemütlichkeit aus – überall liegen persönliche Gegenstände herum, die Geschichten von Menschen erzählen, die nie zurückkehren werden. Die Wartungsschächte sind klaustrophobisch und dunkel, perfekte Verstecke für mutierte Kreaturen.

Das Licht-und-Schatten-Spiel ist meisterhaft inszeniert. Die Taschenlampe wird zu einem wichtigen Gameplay-Element – sie hilft nicht nur beim Sehen in dunklen Bereichen, sondern kann auch Gegner anlocken oder abschrecken. Manche Bereiche sind so düster, dass man sich ohne Licht verlaufen würde, andere sind grell erleuchtet und vermitteln eine falsche Sicherheit.

Die Gegner-Designs sind sowohl kreativ als auch verstörend. Die „Hybrids“ – ehemalige Menschen, die von The Many übernommen wurden – bewegen sich unheimlich mechanisch und murmeln wirre Sätze vor sich hin wie „We sing in harmony“ oder „The flesh is weak“. Die spinnenartigen „Arachnids“ huschen durch Belüftungsschächte und springen aus dem Nichts auf den Spieler. Besonders furchterregend sind die „Rumbler“ – schwer gepanzerte Mutanten, die ganze Gänge zum Beben bringen, wenn sie angreifen.

Sound und Vertonung

Der Soundtrack von Eric Brosius ist ein Meisterwerk des subtilen Horror-Sounds. Die Musik hält sich meist dezent zurück und lässt den Umgebungsgeräuschen den Vortritt. Das konstante Summen der Schiffssysteme, das gelegentliche Knarren der Metallhülle, das Zischen von Lüftungsanlagen – all das zusammen erschafft eine Atmosphäre permanenter Bedrohung.

Wenn die Musik dann doch einsetzt, verstärkt sie die jeweilige Stimmung perfekt. Die düsteren Synthesizer-Klänge beim Erkunden verlassener Bereiche sind ebenso unvergesslich wie die aggressiven Industrial-Beats während der Kampfsequenzen. Besonders die Musik in den „Many“-Bereichen ist verstörend und alien – perfekt passend zu diesen organischen Alpträumen.

SHODAN, wieder gesprochen von Terri Brosius, ist schlichtweg einer der besten Videospiel-Antagonisten aller Zeiten. Ihre digital verzerrte Stimme, die zwischen eiskalter Logik und wahnsinniger Arroganz wechselt, ist bereits jetzt ikonisch. Sätze wie „Look at you, hacker. A pathetic creature of meat and bone“ oder „I am SHODAN“ bekommen durch ihre Interpretation eine Eindringlichkeit, die unter die Haut geht.

Die Audio-Logs verdienen besondere Erwähnung. Jedes einzelne ist eine kleine Tragödie für sich. Die Sprecher vermitteln überzeugend die Verzweiflung, Angst und schwindende Hoffnung der Besatzung. Dr. Janice Politos Logs sind besonders bewegend – ihre anfängliche wissenschaftliche Neugier weicht langsam panischer Furcht, als sie erkennt, was sie entfesselt haben.

YouTube player

Wiederspielwert und Schwierigkeitsgrad

System Shock 2 bietet enormen Wiederspielwert. Die drei verschiedenen Charakterklassen spielen sich völlig unterschiedlich. Ein Marine-Charakter, der sich auf schwere Waffen spezialisiert, erlebt eine grundlegend andere Geschichte als ein OSA-Agent, der hauptsächlich mit Psi-Kräften arbeitet oder ein Navy-Offizier, der jeden Computer hackt und jedes Schloss knackt.

Manche Bereiche der Schiffe sind nur mit bestimmten Fertigkeiten zugänglich – wer nicht hacken kann, verpasst wichtige Zusatzinformationen und wertvolle Gegenstände. Wer keine Psi-Kräfte beherrscht, muss alternative Wege finden. Das schafft echten Anreiz für mehrere Durchläufe.

Der Schwierigkeitsgrad ist anspruchsvoll aber fair. System Shock 2 erklärt seine komplexen Systeme gut, aber man muss bereit sein, zu experimentieren und aus Fehlern zu lernen. Das Spiel ist darauf ausgelegt, dass man scheitert und es beim nächsten Mal besser macht. Glücklicherweise kann man fast überall speichern, was frustrierende Wiederholungen vermeidet.

Es gibt vier Schwierigkeitsgrade, wobei bereits „Normal“ eine ordentliche Herausforderung darstellt. „Hard“ ist wirklich nur etwas für erfahrene Spieler – hier ist Munition noch knapper und Gegner deutlich stärker. Wer es sich einfacher machen will, kann auf „Easy“ ausweichen, verliert aber einen wichtigen Teil des Spielerlebnisses. Die Ressourcen-Knappheit ist essentiell für die Atmosphäre.

Fazit zu System Shock 2

System Shock 2 ist schlichtweg ein Meisterwerk. Es ist ein Spiel, das beweist, was möglich ist, wenn talentierte Entwickler eine klare Vision haben und diese kompromisslos umsetzen. Die Kombination aus intelligentem Gameplay, dichter Horror-Atmosphäre und einer Story, die zum Mitdenken zwingt, ist in dieser Form einzigartig.

Natürlich hat das Spiel auch seine Schwächen. Die Lernkurve ist steil, die Systeme komplex bis zur Verwirrung, und der Schwierigkeitsgrad wird viele Gelegenheitsspieler abschrecken. Auch die Grafik wird nicht jeden begeistern, auch wenn sie technisch durchaus beeindruckend ist.

Aber wer bereit ist, sich auf System Shock 2 einzulassen, bekommt eine der intensivsten und intelligentesten Spielerfahrungen geboten, die bisher entwickelt wurden. Das Spiel respektiert die Intelligenz des Spielers und fordert sie auch ein. Es erzählt nicht nur eine Geschichte, sondern lässt den Spieler sie selbst entdecken und erleben.

Looking Glass Studios und Irrational Games haben hier etwas Revolutionäres geschaffen – ein Spiel, das Genre-Grenzen sprengt und neue Maßstäbe setzt. System Shock 2 ist kein Spiel für zwischendurch, es ist ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst. Wer schon immer wissen wollte, wie die Zukunft des intelligenten Spiele-Designs aussehen könnte, findet hier die Antwort.

Das ist kein gewöhnlicher Shooter, kein Standard-RPG und auch kein typischer Horror-Titel. System Shock 2 ist etwas völlig Neues – und etwas völlig Großartiges.

Wertung: 9/10


System Shock 2 Systemanforderungen:

  • Minimum: Pentium II 400 MHz, 64 MB RAM, DirectX 7-kompatible 3D-Grafikkarte, 650 MB Festplattenspeicher
  • Empfohlen: Pentium III 600 MHz, 128 MB RAM, 3D-Beschleuniger mit 32 MB VRAM
  • Plattformen: PC (Windows 95/98/NT/2000)

Getestet auf: Pentium III 550 MHz, 256 MB RAM, GeForce 256 mit etwa 22 Stunden Spielzeit

Hat dir dieser Beitrag gefallen?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0

Bisher keine Bewertungen! Sei der Erste, der diesen Beitrag bewertet.

Weil du diesen Beitrag nützlich fandest...

Teile ihn doch gerne in sozialen Netzwerken!

Es tut uns leid, dass der Beitrag für dich nicht hilfreich war!

Lasse uns diesen Beitrag verbessern!

Was können wir verbessern?

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.