Nach der erfolgreichen Wiederbelebung des isometrischen RPG-Genres durch Kickstarter-Finanzierungen wie Pillars of Eternity schien es, als würden Indie-Entwickler endlich wieder die Chance bekommen, ihre ambitionierten Träume zu verwirklichen. Doch was ist mit dem deutlich kleineren Nischensegment der First-Person-Fantasy-RPGs? Während The Elder Scrolls V: Skyrim seit über einem Jahrzehnt nahezu konkurrenzlos den Markt dominiert und auf The Elder Scrolls VI weiter gewartet wird, haben es nur wenige Entwickler gewagt, in diese Bresche zu springen. Testament: The Order of High-Human von Fairyship Games ist einer dieser mutigen Versuche – ein Action-Adventure mit RPG-Elementen, das heute seinen Release feiert. Als Fan von First-Person-Rollenspielen und ambitionierten Indie-Produktionen war ich gespannt darauf, ob das kleine 15-köpfige Team aus den USA einen würdigen Nachfolger zu Klassikern wie Dark Messiah of Might & Magic erschaffen konnte. Die Antwort darauf ist so komplex wie die Welt von Tessara selbst.
Testament führt uns in eine post-apokalyptische Fantasy-Welt, in der wir die Rolle von Aran übernehmen, einem gestürzten unsterblichen König der Hoch-Menschen. Nach dem Verrat seines Bruders Arva ist das Reich ins Chaos gestürzt und es liegt an uns, unsere verlorenen Kräfte zurückzugewinnen und das Land zu retten. Was zunächst nach einem klassischen „Gut gegen Böse“-Szenario klingt, entpuppt sich schnell als ambitioniertes Projekt mit sowohl beeindruckenden Höhen als auch frustrierenden Tiefen.
Story und Atmosphäre
Die Handlung von Testament ist zweifelsohne ambitioniert angelegt. Fairyship Games hat sich offensichtlich viel Mühe gegeben, eine tiefgreifende Lore für die Welt von Tessara zu erschaffen. Überall in der Spielwelt finden sich Notizen, Bücher und Umgebungsdetails, die die Geschichte des Reiches und seiner Bewohner erzählen. Das Problem liegt jedoch in der Präsentation dieser Geschichte. Anders als bei Skyrim, wo die Welt organisch ihre Geheimnisse preisgibt und der Spieler selbst entscheiden kann, wie tief er in die Lore einsteigt, bombardiert Testament den Spieler mit Informationen, ohne dabei emotionale Bindungen aufzubauen.
Der Protagonist Aran mangelt es leider an jeglichem Charisma. Seine monotone Stimme und die hölzernen Dialoge erinnern eher an ein Budget-RPG aus den frühen 2000ern als an ein modernes Spiel. Besonders auffällig ist die Kameraführung in Gesprächen, die sich merkwürdigerweise oft auf Brusthöhe der Gesprächspartner fokussiert und dabei deren Gesichter abschneidet – ein technisches Detail, das die bereits schwächelnde Immersion weiter untergräbt.
Die Geschichte selbst bleibt über weite Strecken unklar. Wo Dark Messiah of Might & Magic trotz seiner simplen Handlung durch atmosphärische Dichte und klare Ziele überzeugte, lässt Testament den Spieler oft ratlos zurück. Selbst nach mehreren Stunden Spielzeit blieb mir das eigentliche Ziel der Reise unklar. Der böse Bruder Arva taucht zwar gelegentlich in Zwischensequenzen auf, um einige bedrohliche Worte zu wechseln, verschwindet dann aber wieder, ohne dass echte Spannung oder Dringlichkeit vermittelt wird.
Grafik und Präsentation
Visuell zeigt Testament durchaus, was mit der Unreal Engine 4 möglich ist. Die Umgebungen sind detailliert gestaltet und die Fantasy-Welt von Tessara hat durchaus ihre reizvollen Momente. Besonders die verschiedenen Areale, von verfallenen Ruinen bis hin zu mystischen Tempeln, zeigen das künstlerische Talent des Teams. Die Charaktermodelle sind ordentlich ausgeführt und die Lichteffekte tragen zur Atmosphäre bei.
Allerdings fehlt dem Spiel der letzte Schliff. Während Skyrim durch seine lebendige, wenn auch technisch nicht perfekte Welt überzeugt, wirkt Testament oft steril und leblos. Die Animationen sind teilweise abgehackt, und technische Probleme wie fehlende Field-of-View-Einstellungen in einem First-Person-Spiel zeigen, dass noch viel Arbeit in die Politur hätte fließen sollen. Hier wird der Unterschied zu etablierten Produktionen wie The Witcher 3 deutlich, das trotz Third-Person-Perspektive eine derart dichte Atmosphäre schafft, dass man sich wünscht, Testament hätte ähnliche Aufmerksamkeit für Details erhalten.
Sound und Vertonung
Die Musikuntermalung von Testament ist zweifelsohne einer der stärkeren Aspekte des Spiels. Der Soundtrack fügt sich gut in die Fantasy-Atmosphäre ein und unterstützt sowohl ruhige Erkundungsphasen als auch die actionreicheren Kampfsequenzen. Die Umgebungsgeräusche sind authentisch und tragen zur Immersion bei.
Leider kann die Sprachausgabe nicht mit der Qualität von modernen RPGs mithalten. Wo Spiele wie Divinity: Original Sin 2 oder auch die Mass Effect-Trilogie durch exzellente Synchronisation und emotionale Tiefe überzeugen, klingt die Vertonung in Testament oft amateurhaft und emotionslos. Hier hätte sich das Team ein Beispiel an größeren Produktionen nehmen sollen, auch wenn das Budget natürlich begrenzt war.
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Gameplay und Mechaniken
Das Herzstück von Testament liegt im Kampfsystem, das Nahkampf, Magie und Fernkampf miteinander verbinden soll. In der Theorie klingt das nach einer spannenden Mischung aus Dark Messiah-artigen Schwertkämpfen und Skyrim-Magie. In der Praxis offenbaren sich jedoch erhebliche Schwächen.
Der Nahkampf fühlt sich träge und wirkungslos an. Wo Dark Messiah of Might & Magic jeden Schwerthieb mit befriedigender Wucht vermittelte und durch das geniale Kick-System und Umgebungsinteraktionen glänzte, fehlt Testament jegliches haptisches Feedback. Die Kombos sind schwerfällig, die Treffer-Rückmeldung ist mangelhaft und selbst mit fortschreitender Charakterentwicklung wird der Kampf nicht spannender. Das beworbene „skill-based combat“ entpuppt sich als simples Zwei-Tasten-System ohne nennenswerte Tiefe.
Der Bogenkampf ist noch frustrierender. Die Reload-Zeiten sind derart lang, dass der Fernkampf fast unbrauchbar wird. Selbst das Insight-System, das Schwachstellen der Gegner markiert, kann nicht über die grundlegenden Probleme hinwegtäuschen. Hier wird der Unterschied zu durchdachten Systemen wie in The Elder Scrolls-Titeln oder sogar dem deutlich älteren Thief deutlich, wo Fernkampf als taktisches Element funktioniert.
Das Magiesystem zeigt mehr Potenzial, wird aber durch die umständliche Bedienung ausgebremst. Die verschiedenen Elementartypen (Feuer, Schwerkraft, Leere) bieten theoretisch taktische Vielfalt, in der Praxis sind sie jedoch zu langsam und umständlich einsetzbar, um im hektischen Kampfgeschehen nützlich zu sein.
Ein weiterer schwerwiegender Kritikpunkt ist das Fehlen einer Karte. Während moderne Metroidvania-Spiele wie Hollow Knight ausgeklügelte Kartensysteme bieten und selbst der Urahn des Genres, Metroid Prime, bereits vor über 20 Jahren diese Grundfunktion beherrschte, lässt Testament den Spieler orientierungslos durch die Welt irren. Der nutzlose Kompass und die verwirrende Levelstruktur führen zu Frustration statt zu Entdeckerfreude.
Rätsel und Platforming
Die Rätsel in Testament sind einer der wenigen Lichtblicke des Spiels. Die Licht-Spiegel-Puzzles sind durchaus clever designt und bieten eine willkommene Abwechsung zum frustrierenden Kampfgeschehen. Auch die Plattform-Sequenzen funktionieren grundsätzlich, auch wenn sie nie die Eleganz eines Portal oder die Präzision eines Metroid Prime erreichen.
Diese Passagen zeigen, dass das Entwicklerteam durchaus kreative Ideen hat. Leider werden sie von den technischen und designerischen Schwächen des restlichen Spiels überschattet.
Technische Aspekte
Testament läuft grundsätzlich stabil, zeigt aber deutliche Optimierungsprobleme. Besonders auf dem Steam Deck ist das Spiel kaum spielbar, mit nur 40 FPS in leeren Bereichen bei niedrigsten Einstellungen. Auch auf Standard-PCs sind die Ladezeiten spürbar lang – ein Problem, das Titel wie Kingdom Come: Deliverance trotz ihrer Komplexität besser lösen.
Die Steuerung ist unergonomisch und lässt sich nicht vollständig anpassen. Für ein First-Person-Spiel ist das inakzeptabel, besonders wenn man bedenkt, dass selbst kleinere Indie-Titel hier oft bessere Lösungen bieten.
Länge und Wiederspielwert
Mit beworbenen 30-40 Spielstunden ist Testament theoretisch ein umfangreiches Abenteuer. In der Praxis fühlt sich diese Länge jedoch eher wie eine Qual an. Anders als bei Skyrim, wo hundert Stunden durch die schiere Freude am Erkunden und Experimentieren wie im Flug vergehen, oder bei Elden Ring, wo jede Entdeckung zur nächsten führt, zieht sich Testament quälend in die Länge. Die linearen Level bieten wenig Anreiz zur Erkundung, und die schwache Story motiviert nicht dazu, bis zum Ende durchzuhalten.
Während Spiele wie The Witcher 3 oder Dragon Age: Origins durch taktische Tiefe und emotionale Investition fesseln, bietet Testament nur wenig, was zum Weiterspielen motiviert. Der Charakterfortschritt ist zu langsam, die Belohnungen zu schwach und die Kampfmechaniken zu frustrierend.
Vergleich mit der Konkurrenz
Testament tritt in eine Arena ein, die von Giganten wie Skyrim dominiert wird, aber auch Platz für kreative Indie-Lösungen bietet. Im direkten Vergleich fällt das Spiel leider in allen wichtigen Kategorien ab.
Dark Messiah of Might & Magic, das offensichtliche Vorbild, war bereits 2006 in puncto Kampfsystem, Umgebungsinteraktion und atmosphärischer Dichte deutlich überlegen. Während Arkane Studios mit minimalen Mitteln ein Meisterwerk des First-Person-Fantasy-Kampfes schufen, wirkt Testament wie ein schwacher Abklatsch ohne das Verständnis dafür, was das Original so besonders machte.
Auch im Vergleich zu anderen Indie-Titeln wie Kingdom Come: Deliverance oder sogar dem deutlich älteren Gothic schneidet Testament schlecht ab. Diese Spiele zeigen, dass auch kleinere Studios durchaus in der Lage sind, überzeugende Rollenspielerlebnisse zu schaffen, wenn sie ihre Stärken kennen und ausbauen.
Fazit
Testament: The Order of High-Human ist ein Paradebeispiel dafür, wie Ambition allein nicht ausreicht, um ein gutes Spiel zu erschaffen. Fairyship Games hatte offensichtlich eine große Vision und viel Leidenschaft für ihr Projekt, aber die Umsetzung scheitert an grundlegenden Designproblemen und mangelnder Politur.
Wo Dark Messiah of Might & Magic trotz technischer Limitierungen durch innovative Kampfmechaniken und atmosphärische Dichte überzeugt, oder Skyrim durch seine schiere Größe und Freiheit begeistert, bietet Testament wenig, was die offensichtlichen Schwächen ausgleichen könnte. Die frustrierenden Kampfmechaniken, die charismalose Präsentation und die technischen Mängel machen aus einem potentiell interessanten Projekt eine langweilige und anstrengende Erfahrung.
Es ist schade, denn die Grundidee ist durchaus reizvoll. Ein First-Person-Fantasy-Abenteuer mit Metroidvania-Elementen hätte durchaus das Zeug zu einem Geheimtipp gehabt, besonders in einer Zeit, in der das Genre so unterversorgt ist. Stattdessen reiht sich Testament in die lange Liste ambitionierter Indie-Projekte ein, die an ihrer eigenen Überforderung scheitern.
Für Fans des Genres kann ich nur empfehlen, auf kommende Patches zu warten oder das Geld lieber in bewährte Alternatien wie die kürzlich erschienene Diablo IV oder andere etablierte Fantasy-RPGs zu investieren. Testament mag das Herz am rechten Fleck haben, aber das reicht leider nicht aus, um die fundamentalen Schwächen zu kaschieren. Wer Lust auf First-Person-Fantasy hat, greift besser zu Skyrim oder wartet auf kommende Ankündigungen größerer Studios.
Bewertung: 4/10