Als The Last of Us vor sieben Jahren auf der PlayStation 3 erschien, wurde es weithin als sofortiger Klassiker gefeiert. Das Spiel erzählte die Geschichte des trauernden und verbitterten Vaters Joel und Ellie, einem Mädchen, mit dem er quer durch die USA zieht, um sie an einen bestimmten Ort zu bringen. Die intensive, fesselnde Handlung, das detailreiche apokalyptische Weltbild, die tollen Charaktere und die fesselnde Geschichte wurden hoch gelobt. Im ersten Teil von Last of Us konnten viele sich in die Protagonisten Joel und Ellie hinein versetzen bzw. mit ihnen mitfühlen. In einer trostlosen Welt, in der die Cordyceps-Hirninfektion den größten Teil der Bevölkerung ausgelöscht hat, die Gesellschaft total zerbröckelt ist und Infizierte überall umherstreifen.
The Last of Us – Part II versetzt uns fünf Jahre später wieder in genau diese trostlose Welt und zeigt uns was aus Joel und Ellie geworden ist. Ellie ist mittlerweile eine 19-jährige junge Frau und lebt in einer funktionierenden Gemeinschaft von Überlebenden namens „Jackson“. Dort schließt sie Freundschaften, lernt Gitarre spielen und bringt sich ein. Joel versucht immer noch, sie zu beschützen – die Beziehung zwischen den beiden wirkt jedoch angespannt. Genau hier setzt die Geschichte an und führt uns mit langsamen und ruhigen Szenen ein. Wir sind gespannt darauf, zu erfahren, was in den vergangenen fünf Jahren passiert ist, aber auch, was die Zukunft bringen mag. In dieser Phase wird man gekonnt spielerisch in die Grundlagen der Steuerung eingeführt und bekommt es nicht mit einem abgehackten Tutorial zu tun. So darf ein Spiel gerne anfangen und gibt uns damit direkt einen Vorgeschmack auf die tollen Möglichkeiten des Storytellings. Was natürlich keine Garantie für eine gute Geschichte ist, aber auf eine spannende Erzählweise hoffen lässt.
Wenn man sich dann gerade halbwegs eingefunden hat und anfängt, sich zu fragen, was denn da nun kommen mag, ist es auch schon da – das tragische und traumatische Ereignis, das Ellie zu einem gnadenlosen Racheengel werden lässt. So verlässt sie das relativ sichere Jackson und begibt sich auf einen Rachefeldzug nach Seattle. Die Stadt wurde zuerst vom Militär vereinnahmt, dann von den Infizierten überrannt und nun ist die Natur dabei, sie zurückzuerobern. Pflanzen wachsen durch die Autowracks, die an der Autobahn liegen und rostende Wolkenkratzer prägen die bedrohlich leeren Straßen. Verlassene Geschäftsfronten und Appartementhäuser könnten Spuren und Notizen der vom Untergang geweihten, ehemaligen Bewohnern verbergen. Das Gameplay präsentiert sich wie im ersten Teil, mit minimalen Anpassungen. Man durchsucht Wracks und Ruinen nach Material, um Ellies Waffen reparieren oder improvisierte Sprengstoffe und Gesundheitspakete herstellen zu können – oder man trifft auf Infizierte, die bereit sind, einen in Stücke zu reißen. Bald kommt sie mit den verbliebenen menschlichen Bewohnern der Stadt in Kontakt: den Überresten einer gut ausgerüsteten Miliz und den beunruhigenden Anhängern eines brutalen Kults, die bei der Jagd nach Opfern schaurige Pfiffe abgeben.
Es gibt Schusswechsel, durch die Luft fliegende Molotowcocktails, Sprengfallen und sogar einen Flammenwerfer. Abseits der (oft optionalen) Kämpfe aber auch viel Verstecken, Weglaufen und Kriechen. In der verzweifelten Hoffnung, nicht gefunden zu werden, nutzt man sämtliche taktische Möglichkeit des Geländes aus. Wenn man nicht gerade im einfachsten Schwierigkeitsgrad spielt (was aber absolut ok ist), hat man in The Last of Us – Part II selten das Gefühl, mächtig oder überlegen zu sein. Auch im späteren Spielverlauf, mit erweitertem Arsenal und vollen Ressourcen, kommt es immer wieder zu Situationen, in denen es richtig brenzlig werden kann. Das liegt unter anderem auch an der tollen Gegner-KI, die, von wenigen Aussetzern abgesehen, dem Spieler einiges abverlangt. Feinde nutzen das Terrain hervorragend aus und flankieren gerne mal die Position des Spielers.
The Last of Us – Part II ist ein sehr brutales Spiel. Die Gewalt ist extrem, manchmal unangenehm und meist folgenreich. Es fällt nicht schwer, auf die grotesken und leidenden Infizierten zu schießen, sie niederzustechen oder einfach in die Luft zu sprengen. Auch menschliche Gegner haben wir in The Last of Us problemlos eliminiert, da uns klar war, dass sie uns dasselbe antun werden. In einigen Fällen hat man vielleicht damals schon daran gedacht, dass es nicht immer „das Richtige“ ist, aber man wollte überleben. Joel und Ellie waren die „Guten“ und wir mögen die beiden. Hier kommt nun einer der entscheidenden Punkte ins Spiel, an dem sich nun die Gemüter scheiden. Wir ziehen also los, um Rache zu nehmen und ich wette, dass sich zu Beginn der Reise so ziemlich jeder „im Recht fühlt“. Nach und nach bekommen wir dann in Rückblicken erzählt, was sich ab einem bestimmten Zeitpunkt kurz vor dem Ende des ersten The Last of Us zugetragen hat. Hier ist es einfach enorm wichtig, dass man sich auf die Geschichte und wie sie vorgetragen wird, einlässt, denn dies ist meiner Meinung nach eine der absoluten Stärken des Titels. Wenn wir ehrlich sind, hat die Spielmechanik uns auch beim ersten Spiel nicht umgehauen, sie hat einfach nur gut funktioniert und ist etwas simpler gehalten, eben um nicht zu sehr von der Story und der tollen Atmosphäre abzulenken. Für mich persönlich eine gelungene Design-Entscheidung, die mir sehr gut gefällt und ich bin froh, dass sie daran festgehalten haben. Hier kommt man dann als Spieler dann aber immer wieder an einen Scheideweg, gefällt einem die Geschichte nicht oder hat man Probleme, sich so recht darauf einzulassen, büßt das Spiel enorm an Spielspaß ein und wird für den einen oder anderen nicht gut funktionieren. Ein richtiger Schlag ins Gesicht war es für viele dann, dass sie einen großen Teil der Geschichte dann mit einem anderen Charakter erleben und dieser nicht gerade führend ist auf der Beliebtheitsskala. Doch auch hiermit hat mich Neil Druckmann absolut überzeugt. Ich war erst überrascht, dann gespannt und letztendlich total erfreut, wie detailliert dieser Perspektivenwechsel umgesetzt und ausgestaltet wurde. Je nach Spielweise wird man beim ersten Durchgang von The Last of Us – Part II irgendwo zwischen 30 und 40 Spielstunden landen. Für viele wirkt das Spiel „gestreckt“ und auch ich verspürte einen Hauch dieses Gedankens kurz nach dem Perspektivwechsel. Doch dann wird einem relativ schnell klar, dass man nicht einfach nur die gleichen Geschehnisse aus einem anderen Blickwinkel erlebt, sondern man erfährt hautnah, was eine zweite Person zur gleichen Zeit alles erlebt.
Dies ist keine einfache Geschichte, die uns darüber aufklären möchte, dass Gewalt schlecht ist. Wie in den meisten Endzeit-Fiktionen ist Gewalt in dieser neuen Welt und unsere Interaktionen mit ihr eng verknüpft. Letztendlich kämpft jeder um sein Überleben, oder das seiner Liebsten. Stattdessen geht es um die Beweggründe für diese Gewalt, um die endlosen Zyklen der Vergeltung, die Einzelpersonen oder ganze Bevölkerungen in eine destruktive Spirale hinabziehen, und darum, was letztendlich nötig ist, um diese Zyklen zu durchbrechen. Wäre The Last of Us – Part II ein Film, der von einem künstlerisch angesehen Regisseur mit angesagten und fähigen Schauspielern vorgetragen worden wäre – wir hätten eine Oscar-Kandidaten vor uns. Als Videospiel kommen viele Aspekte aber irgendwie anders bei den Leuten an. Dem einen passt die Story nicht, der andere bemängelt bestimmte Designentscheidungen, der nächste hätte gerne noch mal das Gleiche aus dem ersten Teil, und wieder andere haben vielleicht ein kleines Problem mit der teilweise hervorgehobenen Präsentation der gleichgeschlechtlichen Liebe. Schlimm genug, dass so etwas im Jahre 2020 noch besonders auffällt oder Diskussionen auslöst, ist dies eben ein zusätzlicher Indikator, der zeigt, wie weit Film und Videospiel in der Wahrnehmung vieler noch auseinanderdriften. Dabei ist es doch sehr oft ein tolles Erlebnis, wenn wir einen spielbaren Film erleben dürfen und ein tolles und hochwertiges Abenteuer erleben. Zumindest technisch wird das aber sicher jedem gefallen.
Und technisch hat sich dieses Werk sicher nichts vorwerfen zu lassen und ist über jeden Zweifel erhaben. Der Detailgrad der Umgebungen ist enorm hoch, sie sind recht abwechslungsreich gestaltet und wirken einfach sehr realistisch. Klar gibt es viele sich wiederholende Texturen und in einigen Bereichen kann man die gezwungene Abgrenzung der Areale sehen. Aber auch das haben die Designer sehr gut hinbekommen, denn man hat eigentlich nie das Gefühl unnötig oder unnatürlich eingeschränkt zu sein. Man läuft also nicht gegen unsichtbare Wände oder bekommt Meldungen, dass man das Spielgebiet verlässt. Entweder ist eine Mauer eben zu hoch, um sie zu erklimmen, der Abgrund zu breit oder der Stacheldraht ist im Weg. So gelingt es wunderbar, die tolle Atmosphäre des Spiels nicht unnötig zu stören.
Wie auch der erste Teil, lebt The Last of Us – Part II von den Figuren, durch die wir die Handlung erleben und die sie zu uns transportieren. Insgesamt gibt es hier gute schauspielerische Leistungen, die wieder sehr gekonnt übertragen wurden. Die meiste Zeit denkt man gar nicht daran, dass man es hier mit 3D-Modellen zu tun hat und nicht mit echten Schauspielern. Man kann jede Narbe, jeden Kratzer und jeden Mikroausdruck auf ihren Gesichtern sehen, ihre Körpersprache lesen, oder die Angst oder den Konflikt in ihren Stimmen hören.
Die Erzählweise ist auch extrem gut, nicht nur die Dialoge, sondern auch der meisterhafte Einsatz von Rückblenden und anderen narrativen Mitteln, um Persönlichkeiten und Motivationen zu enthüllen. Auch erlebt man bestimmte Szenen in neuen Kontexten und besucht Orte erneut, die einen die Dinge dann oft anders sehen lassen. Verfolgungsjagden, Schießereien und schrecklich spannende Streifzüge durch längst verlassene, von Zombies verseuchte Gebäude werden durch ruhige Szenen ausgeglichen, in denen man nur der Geschichte folgt und sich umschaut. Die grafischen und technischen Errungenschaften des Spiels sind also einer der Schlüssel, warum dieser Titel so gut funktioniert: Alles, von der Animation bis zum Szenenaufbau, jedes Gebäude, jedes zerschlagene Möbelstück und jedes winzige Schmuckstück, aus dem diese post-apokalyptische Welt besteht, ist sehr akribisch arrangiert.
Im Laufe des Spiels wird Ellie immer wütender und mutiert zum gnadenlosen Racheengel. Der „Feind“ wird immer präsenter und wir fühlen uns ohne Zweifel im Recht. Genau da setzt man an und bringt uns nach und nach zum Grübeln. Neil Druckmann hat wiederholt gesagt, dass es bei The Last of Us 2 „um den Kreislauf der Gewalt“ geht und man beabsichtigt, dem Spieler das Gefühl zu geben, „von einem Teil der Gewalt, die er selbst begeht, abgestoßen zu werden“. Das Gefühl des Grauens, das wir dabei empfinden, wird durch die realistische Grafik und die hochmoderne Motion-Capture-Technik verstärkt. Hier gibt es aber dann den einen kleinen Kritikpunkt, denn spielerisch hätte man hier noch ein Detail ausgestalten können. Man wird im Laufe des Spiels während eines Kampfes auf einen Gegner stoßen, der entweder schwer verletzt ist oder unterlegen ist und dementsprechend um Gnade bettelt. Diese Situationen werden leider nicht ausreichend gewürdigt – ob man die Person verschont oder nicht, macht keinen Unterschied. Vielmehr ist es so, dass jeder Gegner auch nur den geringsten Bruchteil einer Sekunde des Zögerns unsererseits ausnutzt, um uns zu töten. Hier beraubt uns die Spielmechanik weiterer Möglichkeiten, uns bewusster mit Gewalt und Gnade auseinanderzusetzen.
Wo wir gerade bei der Spielmechanik sind – diese wurde grundlegend vom Vorgänger übernommen. Außer etwas größeren Arealen, die ab und zu mal das Gefühl vermitteln, dass wir entscheiden können, was wir zuerst tun oder wo wir zuerst hingehen, hat sich nicht viel verändert. Hier gibt es tatsächlich auch aus der Community die Fragestellung, warum man kein richtiges Open World-Konzept umgesetzt hat. Sicher hätte es da Möglichkeiten gegeben, dies zu tun. Die Frage ist nur, wie es dann ausgesehen hätte und in weit man die Intensivität der Story noch hätte transportieren können? Wenn man sich dann in der Zwischenzeit mit Aufgaben wie „Hole Brennholz für das Lager“ oder „Jage fünf Rehe“ beschäftigt, wäre das genau die Kritik, die ich dann nämlich anbringen würde w,arum die Story nicht funktioniert. Ich sage nicht, dass es unmöglich wäre, aber aus Erfahrung bin ich froh, dass man davon Abstand genommen hat.
Zu guter Letzt möchte ich dann auch noch ein paar Worte der grandiosen Soundkulisse widmen. Ob es nur das Rauschen des Windes ist, ein Klicker durch die Gegend streift oder wir die menschlichen Gegner aus der Ferne hören – der Sound ist phänomenal gut und bereichert die Atmosphäre enorm. Dazu kommt dann in tragenden Situationen der tolle Soundtrack von Oscarpreisträger Gustavo Santaolalla, der auch bereits für den Vorgänger verantwortlich war. Zusätzlich hat man für bestimmte Szenen ganz tolle Songs, teilweise in veränderten Versionen, ausgewählt und rundet damit die wirklich gelungene Präsentation ab.
Fazit
„Eine tiefgründige Gewaltorgie“
The Last of Us – Part II wurde ungeduldig erwartet, ist erwartungsgemäß sehr erfolgreich und enorm umstritten. So oder so ist der Titel ein Meilenstein in der Videospielgeschichte und das sicher zu Recht. Trotzdem ist es wie so oft Geschmackssache, ob einem das Spiel gefällt, oder ein bestimmter Aspekt davon. Warum einige Dinge gerade bei diesem Spiel so besonders kritisch und teilweise auch negativ gesehen werden, hat Gründe. Meiner Meinung nach liegt es zum einen am grandiosen Vorgänger, der es geschafft hat, ein recht simples Szenario einer Apokalypse meisterhaft zu erzählen, spielbar und somit direkt erlebbar zu machen und dabei auch noch ein wundervolles Charakter-Duo zu etablieren, das extrem beliebt ist. Dazu kommt, dass dieses Spiel einfach so verdammt realistisch wirkt. Wir alle kennen den Begriff „spielbarer Film“ und kennen ganz tolle Genre-Vertreter. Doch wo wir es oft mit langen Zwischensequenzen und haufenweise Quick-Time-Events zu tun haben, gibt man uns hier dauerhaft die Kontrolle, zumindest gefühlt. Dadurch, dass wir bestimmte Situationen auf unterschiedlichen Wegen betreten und uns mit unterschiedlichen Waffen wehren können, vergessen wir gerne, dass wir trotzdem einem vorgegeben Pfad folgen und dahin gehen, wo man uns hinhaben will. Ohne blinkenden Pfeil, ohne penetrante Markierungen, ausschließlich mit minimalistischer Unterstützung und unseren spielerischen Instinkten folgend. Es gibt hier keine verzerrten Darstellungen, Helden oder Schurken in Capes, Gegner mit verzerrtem und furchteinflößenden Äußeren. Auch wenn der Kill-Count in einigen Abschnitten gefühlt so hoch ist wie bei Call of Duty, fühlt es sich anders an. Sogar das Eliminieren eines Infizierten fühlt sich manchmal „falsch“ an. Und genau für dieses Gefühl sage ich „Alles richtig gemacht!“. Dieses Spiel ist so, wie es ist und das ist gut so. Es muss am Ende nicht jedem gefallen, das ist bei Filmen so, bei Büchern und warum soll es bei dieser Form des Geschichtenerzählens denn anders sein. Davon abgesehen, dass The Last of Us – Part II für mich ein grandioses Spielerlebnis war, finde ich, dass es grundsätzlich einen Blick wert ist und alles andere als verlorene Zeit.
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