Bloober Team hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht, wenn es um atmosphärische Horrorerfahrungen geht. Mit Titeln wie Layers of Fear, Observer und Blair Witch bewies das polnische Studio ein feines Händchen für bedrückende Stimmung und psychologischen Schrecken. Nun wagt man mit The Medium einen großen Schritt und präsentiert gleichzeitig eines der ersten echten Aushängeschilder für die neue Konsolengeneration. Der Titel erscheint exklusiv für Xbox Series X/S und PC, ist ab dem ersten Tag im Xbox Game Pass verfügbar und nutzt die Leistung der neuen Hardware für ein bisher nie dagewesenes Gameplay-Feature. Ob das Wagnis aufgeht und Bloober Team ein neues Meisterwerk abliefert, klären wir in diesem ausführlichen Test.
Zwischen den Welten wandeln
The Medium versetzt uns ins Polen des Jahres 1999, kurz nach dem Ende der kommunistischen Ära. Wir schlüpfen in die Rolle von Marianne, einer jungen Frau die über die seltene Gabe verfügt als Medium zwischen der realen Welt und der Geisterwelt zu wandeln. Marianne nutzt ihre Fähigkeiten um ruhelos umherirrenden Seelen zu helfen ihren Frieden zu finden und endlich weiterzuziehen. Doch Marianne wird seit geraumer Zeit von einem wiederkehrenden Albtraum heimgesucht. In diesem sieht sie wie ein Mann ein junges Mädchen an einem See erschießt. Während sie noch mit der Trauer über den Tod ihres Ziehvaters zu kämpfen hat, erhält Marianne einen mysteriösen Anruf. Ein Mann namens Thomas meldet sich bei ihr, er kennt nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern scheint auch die Antworten auf ihre Fragen zu besitzen. Thomas bietet an Marianne die Herkunft ihrer Kräfte zu erklären und auch die Bedeutung ihres Albtraums zu enthüllen. Allerdings ist er nur bereit persönlich mit ihr zu sprechen und zwar im Niwa Workers‘ Resort, einem verlassenen Urlaubsresort aus kommunistischer Zeit, tief in der polnischen Wildnis gelegen.
Was zunächst nach einer einfachen Zusammenkunft klingt, entwickelt sich schnell zu einem alptraumhaften Abenteuer. Das Niwa-Resort ist nicht nur seit vielen Jahren verlassen, es war auch Schauplatz eines grausamen Massakers. Als Marianne das heruntergekommene Hotel betritt, stellt sie fest dass dieser Ort eine ungewöhnlich starke Verbindung zur Geisterwelt aufweist. In der Schattenwelt begegnet sie Sadness, dem Geist eines jungen Mädchens, das sie vor dem Maw warnt. Der Maw ist eine feindselige und bösartige Entität, die nicht nur in der Geisterwelt existiert, sondern auch teilweise in der realen Welt manifestieren kann. Dieses Monster war für das Niwa-Massaker verantwortlich und hat nun Marianne ins Visier genommen. Was genau damals geschah, wer Thomas wirklich ist und welche Rolle Marianne in diesem düsteren Puzzle spielt, gilt es im Spielverlauf herauszufinden.
Die Geschichte von The Medium ist düster, moralisch ambivalent und befasst sich mit schwierigen Themen wie Trauma, Missbrauch und den Schatten der Vergangenheit. Bloober Team erzählt eine erwachsene Geschichte, die den Spieler nicht mit einfachen Antworten abspeist. Jede neue Enthüllung wirft weitere Fragen auf und die Wahrheit entpuppt sich als weitaus komplexer als zunächst vermutet. Das Narrativ profitiert enorm von der starken Inszenierung und den überzeugenden Charakteren. Besonders die Beziehung zwischen Marianne und Sadness entwickelt sich zu einem emotionalen Kern der Geschichte.
Zwei Welten, eine Realität
Das Herzstück von The Medium ist zweifellos die patentierte Dual-Reality-Mechanik. An bestimmten Punkten im Spiel bewegt sich Marianne gleichzeitig durch die materielle Welt und die Geisterwelt. Der Bildschirm teilt sich dann entweder vertikal oder horizontal und beide Welten werden simultan dargestellt. Man steuert beide Versionen von Marianne gleichzeitig, was sowohl ein Storytelling-Element als auch eine Gameplay-Mechanik darstellt. Diese technische Meisterleistung ist erst durch die Leistungsfähigkeit der neuen Konsolengeneration möglich geworden. Bloober Team hatte die Idee bereits 2012, doch die damalige Hardware der Xbox 360, PlayStation 3 und Wii U war schlichtweg nicht in der Lage zwei vollständige Spielwelten gleichzeitig zu rendern.
In der realen Welt präsentiert sich das Niwa-Hotel als verfallenes Gebäude mit morbider Atmosphäre. Die Korridore sind dunkel, die Tapeten lösen sich von den Wänden und überall finden sich Spuren des Massakers und des anschließenden Verfalls. Die Geisterwelt hingegen ist eine albtraumhafte Spiegelung unserer Realität. Inspiriert von den dystopisch-surrealistischen Gemälden des polnischen Künstlers Zdzisław Beksiński präsentiert sich diese Schattenwelt als feuriges Inferno aus verrottendem Fleisch, organischen Strukturen und verstörenden Landschaften. Diese Umgebungen sind visuell atemberaubend und gleichzeitig zutiefst verstörend. Selten hat man in einem Videospiel eine derart konsequente und beeindruckende Umsetzung einer surrealistischen Kunstrichtung gesehen.
Die Mechanik selbst funktioniert beeindruckend gut. Während man beide Welten gleichzeitig sieht, muss man Interaktionen zwischen ihnen nutzen um voranzukommen. Wenn beispielsweise in der realen Welt ein Aufzug ohne Strom ist, kann die geistige Version von Marianne in der Schattenwelt Objekte manipulieren um den Strom wiederherzustellen. Zusätzlich kann sich Mariannes Geist vom Körper lösen und Bereiche erkunden die für ihre physische Form unzugänglich sind. Allerdings kann diese Trennung nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden. Die geistige Marianne verfügt zudem über übernatürliche Fähigkeiten wie Energieschilde und Geisterexplosionen, die sie gegen die Gefahren der Schattenwelt einsetzen kann. Diese Kräfte müssen an speziellen Energiequellen, den sogenannten Spirit Wells, aufgeladen werden.
Rätsel zwischen den Dimensionen
Das Gameplay von The Medium konzentriert sich primär auf Erkundung und das Lösen von Rätseln. Die meisten Aufgaben verlangen dass man die Interaktion zwischen beiden Welten geschickt nutzt. Dies reicht von simplen Mechanismen wie dem Öffnen einer Tür in einer Welt um in der anderen voranzukommen, bis hin zu komplexeren mehrstufigen Puzzles. Leider muss man hier auch einen Kritikpunkt anbringen. Viele der Rätsel sind relativ einfach gestrickt und fallen eher in die Kategorie „Gegenstand finden und an richtiger Stelle einsetzen“. Für erfahrene Spieler dürfte es kaum Momente geben an denen man wirklich ins Grübeln kommt. Die Dual-Reality-Mechanik kaschiert dies zwar zu einem gewissen Grad, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen dass die grundlegende Rätselgestaltung eher konventionell ausfällt.
Dafür bietet The Medium mit den Begegnungen des Maw spannende Momente. Diese monströse Entität jagt Marianne durch die Geisterwelt in packenden Verfolgungsjagden. Noch beunruhigender wird es wenn der Maw sich in der realen Welt manifestiert. Dann ist er unsichtbar und Marianne muss sich per Stealth an ihm vorbeischleichen. Sie kann zeitweise die Luft anhalten damit das Monster sie nicht hören kann, doch natürlich ist diese Fähigkeit limitiert. Diese Sequenzen sind hervorragend inszeniert und bauen echte Spannung auf. Das Problem ist nur dass es viel zu wenige davon gibt. Den Großteil des Spiels ist Marianne relativ sicher unterwegs und die bedrohliche Atmosphäre der Geisterwelt bleibt leider zu oft nur Kulisse ohne echte Gefahr.
Während der Erkundung sammelt Marianne verschiedene Objekte ein. Mit ihrer Insight-Fähigkeit kann sie Echoes aktivieren, also Erinnerungen die an bestimmten Gegenständen haften. Diese liefern zusätzliche Hintergrundinformationen zur Geschichte und sind als Sammelobjekte im Spiel verstreut. Das Spiel nutzt zudem eine Fixed-Camera-Perspektive, ganz im Stil klassischer Survival Horror-Titel wie den frühen Resident Evil-Teilen. Diese Entscheidung unterstreicht die filmische Inszenierung, sorgt aber gelegentlich auch für Orientierungsprobleme wenn die Kamera in ungünstigen Momenten wechselt.
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Technische Brillanz trifft auf künstlerische Vision
Visuell spielt The Medium in der absoluten Oberklasse. Die Entwickler haben hier wirklich alles aus der Hardware herausgeholt. Die Detaildichte der Umgebungen ist beeindruckend, egal ob man sich durch die verfallenen Korridore des Niwa-Hotels bewegt oder die albtraumhaften Landschaften der Geisterwelt durchquert. Besonders die Lichtsetzung verdient ein Lob. Auf der Xbox Series X profitiert das Spiel von Hardware-beschleunigtem Raytracing, was die ohnehin schon atmosphärische Beleuchtung nochmals auf ein neues Level hebt. Schatten fallen realistisch, Lichtreflexionen wirken natürlich und die gesamte Lichtdramaturgie trägt enorm zur bedrückenden Stimmung bei. In True 4K Ultra HD entfaltet The Medium seine volle visuelle Pracht.
Die Performance ist durchweg solide. Die Tatsache dass zwei komplette Spielwelten gleichzeitig gerendert werden, ohne dass es zu nennenswerten Framedrops kommt, ist technisch bemerkenswert. Ladezeiten sind dank der SSD der Xbox Series X praktisch nicht vorhanden. Man bewegt sich nahtlos durch die Spielwelt ohne dass störende Ladebildschirme den Spielfluss unterbrechen würden.
Die künstlerische Gestaltung der Geisterwelt ist das visuelle Highlight. Die Entwickler haben die Werke von Zdzisław Beksiński nicht einfach kopiert, sondern dessen Stil aufgegriffen und in eine interaktive dreidimensionale Umgebung übertragen. Die organischen Strukturen, die fleischigen Wände, die surrealen Landschaften, all das wirkt wie ein interaktives Gemälde des polnischen Künstlers. Selten hat ein Videospiel eine derart konsequente künstlerische Vision durchgezogen.
Akustisches Meisterwerk
Ebenso beeindruckend wie die Optik präsentiert sich die Soundkulisse. Für den Soundtrack konnte Bloober Team zwei absolute Schwergewichte der Branche gewinnen. Arkadiusz Reikowski, der bereits an Layers of Fear und Observer arbeitete, komponierte gemeinsam mit der lebenden Legende Akira Yamaoka. Yamaoka-san ist jedem Horror-Fan ein Begriff, schließlich prägte er mit seiner Arbeit an der Silent Hill-Reihe ganze Generationen von Spielern. Die Zusammenarbeit dieser beiden Komponisten resultiert in einem dualen Soundtrack, der perfekt zur Dual-Reality-Mechanik passt.
Die Musik ist subtil und atmosphärisch, hält sich oft dezent im Hintergrund um die Spannung nicht künstlich zu forcieren. In entscheidenden Momenten schwillt der Soundtrack dann aber zu bedrohlichen oder melancholischen Klängen an und unterstreicht die Emotionen perfekt. Die Sound-Effekte und Umgebungsgeräusche sind ebenso gelungen. Das Knarzen alter Holzdielen, das Tropfen von Wasser, die verstörenden Geräusche der Geisterwelt, all das trägt zur dichten Atmosphäre bei. Mit einem guten Headset wird das Hörerlebnis nochmals intensiviert, besonders in den Momenten in denen man dem Maw ausweichen muss.
Die englische Sprachausgabe ist durchweg hochwertig. Die Sprecher leisten hervorragende Arbeit und transportieren die Emotionen ihrer Charaktere glaubwürdig. Besonders die Darstellung von Marianne überzeugt, man nimmt ihr die Zerrissenheit zwischen ihrer Gabe und dem Wunsch nach einem normalen Leben absolut ab. Deutsche Untertitel sind vorhanden, eine deutsche Synchronisation gibt es allerdings nicht. Das ist zwar etwas schade, mindert den Gesamteindruck aber nur minimal.
Umfang und Wiederspielwert
The Medium ist kein besonders langes Spiel. Für einen durchschnittlichen Spieldurchgang sollte man etwa acht bis zehn Stunden einplanen, je nachdem wie gründlich man die Umgebung erkundet und nach Sammelgegenständen sucht. Wer wirklich jedes Echo finden und jede Ecke der Spielwelt ausleuchten möchte, kann diese Zeit auf etwa zwölf Stunden strecken. Das ist für ein narrativ fokussiertes Horror-Adventure durchaus angemessen, dürfte aber Spieler die nach einem umfangreichen Erlebnis suchen etwas enttäuschen.
Der Wiederspielwert hält sich in Grenzen. Die Geschichte ist weitestgehend linear und Entscheidungen haben kaum Auswirkungen auf den Verlauf. Es gibt keine alternativen Enden oder stark verzweigten Pfade. Wer das Spiel einmal durchgespielt hat, kennt im Grunde alles was es zu sehen gibt. Lediglich das Sammeln verpasster Collectibles könnte einen zu einem zweiten Durchgang motivieren. Das ist aber auch nicht weiter tragisch, denn The Medium ist klar als fokussiertes Einzelspieler-Erlebnis konzipiert und nicht als Titel mit dem man Wochen verbringen soll.
Fazit
Bloober Team hat mit The Medium ein ambitioniertes Projekt gestemmt und ein technisch beeindruckendes Horror-Adventure abgeliefert. Die patentierte Dual-Reality-Mechanik ist innovativ, die visuelle und akustische Präsentation ist herausragend und die düstere Geschichte weiß durchaus zu fesseln. Besonders die künstlerische Umsetzung der Geisterwelt nach den Werken von Zdzisław Beksiński ist ein absolutes Highlight und wird sicher in die Annalen der Videospielgeschichte eingehen.
Allerdings hat das Spiel auch seine Schwächen. Die Rätsel sind oft zu simpel, die Spielzeit ist eher kurz und es fehlt an echten Gefahrenmomenten. Der Maw ist ein fantastischer Antagonist, taucht aber viel zu selten auf. Die meiste Zeit bewegt man sich relativ sicher durch die Spielwelt, was der bedrohlichen Atmosphäre etwas den Wind aus den Segeln nimmt. Man hätte sich gewünscht dass Bloober Team mutiger gewesen wäre und mehr Risiken eingegangen wäre. So fühlt sich The Medium stellenweise eher wie ein interaktiver Film an, denn als ein vollwertiges Videospiel.
Trotz dieser Kritikpunkte ist The Medium definitiv eine Empfehlung wert, besonders für Fans von psychologischem Horror und narrativen Adventures. Die Tatsache dass das Spiel ab dem ersten Tag im Xbox Game Pass verfügbar ist, macht es zu einem absoluten Pflichttitel für Abonnenten. Wer die Werke von Bloober Team schätzt oder sich für innovatives Gameplay interessiert, sollte The Medium definitiv eine Chance geben. Es ist vielleicht nicht das perfekte Spiel, aber es ist ein wichtiger Meilenstein für die neue Konsolengeneration und zeigt eindrucksvoll was in Zukunft möglich sein wird. Bloober Team hat mit The Medium bewiesen dass sie zu den spannendsten Horror-Entwicklern der Branche gehören und man darf gespannt sein was sie als Nächstes präsentieren werden.