Mit The Outer Worlds meldet sich Obsidian Entertainment nach langer Zeit wieder mit einem großen Single-Player-RPG zurück und das war auch höchste Zeit. Das Studio, das uns schon mit Meisterwerken wie Fallout: New Vegas, Pillars of Eternity oder Knights of the Old Republic 2 begeistert hat, hatte sich in den letzten Jahren eher kleineren Projekten gewidmet. Umso erfreulicher ist es, dass die Entwickler nun zeigen, dass sie ihr Handwerk noch immer perfekt beherrschen. The Outer Worlds ist eine Liebeserklärung an das klassische Western-RPG, wie wir es aus den besten Zeiten von Bethesda und BioWare kennen – nur eben besser gemacht, als diese Firmen es in letzter Zeit geschafft haben.
Das Spiel führt uns in eine Zukunft, in der nicht Regierungen, sondern Konzerne das Sagen haben. Die Halcyon-Kolonie wird vollständig von der Halcyon Holdings Corporation kontrolliert, einem Zusammenschluss verschiedener Firmen, die jeden Aspekt des menschlichen Lebens monetarisiert haben. Selbst die Luft zum Atmen kostet Geld, und wer sich keine Beerdigung leisten kann, wird kurzerhand zu Dünger verarbeitet. Diese satirische Überspitzing kapitalistischer Auswüchse zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel und sorgt für viele herrlich absurde Momente.
Story und Setting
Als namenloser Kolonist erwachen wir nach jahrzehntelangem Tiefschlaf auf einem Raumschiff, das eigentlich nie hätte ankommen sollen. Der exzentrische Wissenschaftler Phineas Welles hat uns aus unserer Kryokammer befreit und bittet uns um Hilfe bei seinem Plan, die restlichen schlafenden Kolonisten zu retten. Was zunächst wie eine einfache Rettungsmission aussieht, entpuppt sich schnell als vielschichtiger Konflikt zwischen verschiedenen Fraktionen, die alle ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft der Kolonie haben.
Die Welt von The Outer Worlds ist dabei ein wahrer Augenschmaus für alle, die auf Retro-Futurismus stehen. Das Spiel orientiert sich stark an der Ästhetik der 1950er und 60er Jahre und malt ein Bild der Zukunft, wie es sich die Menschen damals vorgestellt haben. Bunte Reklametafeln preisen die neuesten Produkte der Konzerne an, während Roboter in knallbunten Gehäusen durch die Gegend wandeln. Die verschiedenen Planeten, die wir besuchen können, haben alle ihren ganz eigenen Charakter – von der grünen Dschungelwelt Terra 2 bis hin zur kargen Asteroidenbasis Groundbreaker.
Besonders gelungen ist dabei die Art, wie Obsidian die Corporate-Dystopie mit Humor würzt. Angestellte begrüßen einen mit aufgesetztem Lächeln und Konzernsprech, während sie gleichzeitig über ihre miserablen Arbeitsbedingungen klagen. Werbeplakate preisen Produkte an, die offensichtlich gesundheitsschädlich sind, aber trotzdem von der Firmenleitung als „gut für die Moral“ angepriesen werden. Es ist diese perfekte Balance zwischen Ernst und Satire, die The Outer Worlds so besonders macht.
Gameplay und Entscheidungsfreiheit
Was The Outer Worlds von anderen modernen RPGs abhebt, ist die wahre Entscheidungsfreiheit, die es dem Spieler gewährt. Praktisch jede Quest kann auf verschiedene Arten gelöst werden, und zwar nicht nur durch die klassische Aufteilung „gut vs. böse“, sondern durch wirklich unterschiedliche Herangehensweisen. Will man einen Konflikt durch Diplomatie lösen, sich heimlich durchschleichen, oder doch mit Gewalt? Obsidian hat für jeden Spielstil eine Lösung parat.
Besonders beeindruckend ist dabei, dass man theoretisch jeden NPC im Spiel töten kann (mit wenigen Ausnahmen) und die Geschichte trotzdem weitergehen wird. Das führt zu einem „Path of the Damned“-Durchlauf, bei dem man buchstäblich alle wichtigen Charaktere umbringt und trotzdem ein Ende erreichen kann – wenn auch nicht gerade ein positives. Diese Freiheit ist heute in Zeiten von unsichtbaren Wänden und unverwundbaren wichtigen NPCs eine wahre Seltenheit.
Das Charaktersystem orientiert sich stark an klassischen Fallout-Spielen. Wir verteilen Punkte auf Attribute wie Stärke, Wahrnehmung und Intelligenz, können aus verschiedenen Fertigkeiten wählen und uns alle paar Level neue Perks aussuchen. Neu ist dabei das System der „Flaws“ (Makel). Stirbt man zu oft durch Fallen, bietet das Spiel einem eine Phobie vor Fallen an, die zwar Mali mit sich bringt, aber im Gegenzug einen zusätzlichen Perk-Punkt gewährt. Es ist ein cleveres System, das Schwächen zu Stärken macht und für zusätzliche Charakterentwicklung sorgt.
Die Gefährten-Crew
Einer der größten Stärken von The Outer Worlds sind definitiv die Begleiter. Jeder der sechs möglichen Gefährten hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Motivationen und reagiert entsprechend auf unsere Entscheidungen. Da wäre zum Beispiel Parvati, die naive Mechanikerin aus der ersten Stadt, die das erste Mal ihr kleines Kaff verlässt und voller Staunen die große weite Welt entdeckt. Oder Felix, der rebellische junge Mann, der gegen das System kämpft, aber nicht so recht weiß wie.
Besonders gelungen ist dabei, dass jeder Gefährte seine ganz eigenen Quests hat, die nicht nur oberflächliche Fetch-Aufgaben sind, sondern wirklich in die Tiefe gehen. Parvatis Geschichte über ihre ersten romantischen Gefühle ist herzerwärmend und zeigt eine Seite von Beziehungen, die in Videospielen viel zu selten dargestellt wird. Diese Questlinien gehören definitiv zu den Höhepunkten des Spiels.
Im Kampf können uns bis zu zwei Begleiter zur Seite stehen, die nicht nur ordentlich austeilen können, sondern auch ihre ganz eigenen speziellen Fähigkeiten haben. Mit dem richtigen Timing lassen sich verheerende Kombo-Angriffe ausführen, die selbst starke Gegner schnell zu Boden bringen.
Grafik und Präsentation
Visuell kann The Outer Worlds durchaus überzeugen, auch wenn es nicht die allerneuste Technik verwendet. Die Unreal Engine 4 sorgt für solide Grafik, die vor allem durch ihr stimmiges Art Design besticht. Die verschiedenen Planeten und Städte haben alle ihren ganz eigenen Charakter und laden zum Erkunden ein. Besonders die Beleuchtung und die Farbpalette tragen viel zur Atmosphäre bei.
Was bei der Präsentation besonders auffällt, ist die Liebe zum Detail. Überall finden sich kleine Gags und Anspielungen, die die Welt lebendig wirken lassen. Konzernterminal sind voller absurder E-Mails zwischen Angestellten, Werbetafeln preisen die seltsamsten Produkte an, und selbst die Itemtexte stecken voller Humor. Man merkt, dass die Entwickler mit viel Herzblut bei der Sache waren.
Die Synchronisation verdient ebenfalls Lob. Die englische Sprachausgabe ist durchweg hochwertig und transportiert den Humor des Spiels perfekt. Leider gibt es keine deutsche Synchronisation, aber die deutschen Untertitel sind sehr gut übersetzt und fangen die Wortwitzen größtenteils ein.
Sound und Musik
Auch akustisch weiß The Outer Worlds zu überzeugen. Der Soundtrack des Spiels orientiert sich an der Retro-Futurismus-Ästhetik und bedient sich bei verschiedenen Stilen von Jazz über Western-Musik bis hin zu futuristischen Synthie-Klängen. Besonders die Titelmelodie bleibt einem noch lange im Gedächtnis und sorgt jedes Mal für Gänsehaut, wenn man das Spiel startet.
Die Soundeffekte sind ebenfalls stimmig und verstärken die Immersion. Ob das Brummen der Energiewaffen, das Klappern der Rüstung oder die Umgebungsgeräusche der verschiedenen Planeten – alles fügt sich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Besonders gelungen sind auch die Vertonung der verschiedenen Waffen, die alle ihren ganz eigenen Charakter haben.
Kämpfe und Waffen
Das Kampfsystem von The Outer Worlds ist solide, auch wenn es nicht das innovativste ist, was wir je gesehen haben. Es orientiert sich stark an modernen Fallout-Spielen, bietet aber einige interessante Verbesserungen. Das TTD-System (Tactical Time Dilation) ersetzt das bekannte VATS und verlangsamt die Zeit, während wir gezielt auf Schwachstellen der Gegner zielen können. Das funktioniert gut und macht Kämpfe taktischer, ohne sie zu sehr zu vereinfachen.
Die Waffenvielfalt ist beeindruckend. Von klassischen Schrotflinten und Pistolen über futuristische Energiewaffen bis hin zu völlig verrückten Konstrukten wie dem „Prismatic Hammer“ ist für jeden Geschmack etwas dabei. Besonders die Sci-Fi-Waffen machen ordentlich Eindruck und fühlen sich mächtig an. Dazu kommt ein solides Crafting-System, mit dem man seine Waffen und Rüstungen verbessern kann.
Was hätte besser sein können?
Bei aller Begeisterung hat The Outer Worlds auch ein paar Schwächen. Das größte Problem ist definitiv die Länge des Spiels. Mit etwa 25-30 Stunden für einen kompletten Durchlauf (inklusive Nebenquests) ist das Spiel deutlich kürzer als andere große RPGs. Das ist nicht per se schlecht, denn lieber ein kürzeres, aber dafür durchweg hochwertiges Spiel als ein aufgeblähtes Monster. Trotzdem hätte man sich gerne noch mehr von dieser wunderbaren Welt gewünscht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Spiel in der zweiten Hälfte etwas an Fahrt verliert. Während die ersten Planeten noch voller Geheimnisse und interessanter Charaktere stecken, wirken die späteren Gebiete etwas ausgedünnt. Hier hätte man sich mehr Content gewünscht.
Das Inventarsystem ist ebenfalls nicht optimal gelöst. Man sammelt sehr schnell sehr viele Gegenstände, aber das Verwalten wird schnell zur lästigen Pflicht. Ein automatisches Sortieren oder bessere Filter hätten hier geholfen.
Fazit zu The Outer Worlds
The Outer Worlds ist genau das RPG geworden, auf das viele Fans seit Jahren gewartet haben. Es erinnert an die goldene Zeit von Fallout: New Vegas und Mass Effect und zeigt, dass klassische Western-RPGs noch lange nicht tot sind. Obsidian hat ein Spiel geschaffen, das zwar nicht in allen Bereichen perfekt ist, aber in den wichtigsten Punkten – Story, Charakterentwicklung und Entscheidungsfreiheit – absolut überzeugt.
Das Spiel lebt von seinen fantastischen Charakteren, der cleveren Gesellschaftssatire und der Freiheit, wirklich eigene Entscheidungen zu treffen. Wer Lust auf ein RPG hat, das einen wie einen Erwachsenen behandelt und nicht an der Hand durch eine vorgegebene Geschichte führt, wird hier absolut glücklich.
Klar, es ist kein 100-Stunden-Monster wie The Witcher 3, aber dafür ist jede einzelne Stunde durchweg hochwertig. The Outer Worlds beweist, dass man nicht immer größer werden muss, um besser zu werden. Es ist ein Spiel für Qualität statt Quantität, und genau das macht es zu einem der besten RPGs des Jahres 2019.
Obsidian hat hier nicht nur ein großartiges Spiel abgeliefert, sondern auch gezeigt, dass sie nach der Übernahme durch Microsoft nichts von ihrer Kreativität verloren haben. Wenn das der Auftakt für eine neue Serie von hochwertigen Single-Player-RPGs ist, dann können wir uns auf eine rosige Zukunft freuen. The Outer Worlds ist definitiv ein Pflichtkauf für jeden RPG-Fan und ein würdiger Nachfolger der großen Klassiker des Genres.