The Sinking City

[Review] The Sinking City

Mit The Sinking City wagt sich Frogwares in unbekannte Gewässer. Nachdem das Team über viele Jahre hinweg vor allem mit ihren Sherlock Holmes-Spielen überzeugen konnte, präsentieren sie uns nun etwas Neues. Ein Open-World-Detektivspiel, das tief in die düstere Mythologie von H.P. Lovecraft eintaucht und dabei versucht, klassische Ermittlungsarbeit mit Survival-Horror-Elementen zu verbinden. Die Stadt Oakmont, Massachusetts erwartet uns – eine Stadt, die von übernatürlichen Fluten heimgesucht wird, während ihre Bewohner langsam dem Wahnsinn verfallen. Klingt spannend? Das ist es definitiv. Aber ob das Experiment in allen Belangen geglückt ist, schauen wir uns jetzt genauer an.

Willkommen in Oakmont – der Stadt zwischen Wasser und Wahnsinn

Charles W. Reed, ein ehemaliger Navy-Taucher und Veteran des Ersten Weltkriegs, arbeitet mittlerweile als Privatdetektiv in Boston. Doch Reed hat ein Problem. Seit dem Untergang der USS Cyclops wird er von albtraumhaften Visionen gequält. Versunkene Ruinen mit unmöglicher Architektur, eine schlafende Kreatur von gigantischen Ausmaßen, überflutete Straßen und eine Stimme die aus den Tiefen ruft. Diese Visionen scheinen nicht nur ihn zu plagen, sondern werden besonders häufig in der Stadt Oakmont berichtet. Professor Johannes van der Berg lädt Reed ein, um gemeinsam die Ursache dieser Erscheinungen zu ergründen.

Kaum in Oakmont angekommen, wird Reed auch schon von Robert Throgmorton engagiert, dem einflussreichen Kopf einer der führenden Familien der Stadt. Throgmorton sucht Professorin Harriet Dough, eine Forscherin, die er beauftragt hatte, die Ursache der mysteriösen Flut zu untersuchen, die Oakmont heimsucht. Was als einfacher Auftrag beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Reise in die dunklen Geheimnisse einer Stadt, die buchstäblich am Abgrund steht. Oakmont ist nicht nur physisch halb unter Wasser, sondern auch gesellschaftlich am Ende. Verschiedene Fraktionen kämpfen um die Vorherrschaft, während draußen auf den Straßen untote Kreaturen und weitaus schlimmere Dinge lauern.

Im Verlauf der Geschichte wird Reed in die komplexen politischen Machenschaften der Stadt hineingezogen. Es gibt die alteingesessenen Familien, eine mysteriöse Fischmenschen-Rasse, die sogenannten Innsmouther, Geheimbünde, korrupte Polizisten und natürlich die allgegenwärtige Bedrohung durch kosmische Schrecken. Die Story ist durchweg atmosphärisch inszeniert und schafft es, die typische Lovecraft-Atmosphäre einzufangen – jene Mischung aus Neugier und Grauen, wenn man auf Dinge stößt, die der menschliche Verstand nicht erfassen kann.

Detektivarbeit ohne Wegweiser – Ermitteln will gelernt sein

Frogwares hat sich bei The Sinking City etwas Besonderes einfallen lassen. Anders als bei vielen modernen Open-World-Spielen bekommt man hier nicht einfach einen Wegpunkt auf die Karte geknallt mit der Aufforderung „Geh dorthin“. Nein, hier muss man tatsächlich selbst nachdenken und ermitteln. Das Spiel lässt einem bewusst viel Freiheit – und damit auch die Möglichkeit, sich zu verirren oder in Sackgassen zu landen.

Das zentrale Werkzeug für Reeds Ermittlungen ist sein sogenannter Mind Palace, sein Gedankenpalast. Hier werden alle gesammelten Hinweise und Indizien zusammengetragen. Eure Aufgabe ist es, diese Hinweise logisch miteinander zu verknüpfen. Kombiniert man die richtigen Indizien, erhält man neue Schlussfolgerungen oder Anhaltspunkte, die einen weiterbringen. Manchmal gibt es sogar mehrere mögliche Kombinationen, die zu unterschiedlichen Deduktionen führen. Diese Mechanik kennen Veteranen bereits aus den Sherlock Holmes-Spielen von Frogwares, wurde hier aber nochmal verfeinert.

Zusätzlich verfügt Reed über übernatürliche Fähigkeiten, die ihm bei der Ermittlungsarbeit helfen. Mit dem Mind’s Eye kann er Details wahrnehmen, die normalen Menschen verborgen bleiben. Bestimmte Objekte offenbaren ihre Geheimnisse erst, wenn man diese Fähigkeit aktiviert. Besonders eindrucksvoll ist die Retrokognition. An Tatorten kann Reed die Vergangenheit rekonstruieren und Ereignisse nachspielen. Der Spieler muss dann die einzelnen Geschehnisse in die richtige Reihenfolge bringen, um zu verstehen, was wirklich passiert ist. Diese Mechanik funktioniert ausgezeichnet und sorgt für echte Aha-Momente.

Die Stadt selbst bietet verschiedene Archive und Institutionen, die bei der Recherche helfen. Im Rathaus findet man Adressen von Personen und Organisationen, bei der Oakmont Chronicle recherchiert man in alten Zeitungsartikeln und Anzeigen, die Polizeistation und das Krankenhaus halten ebenfalls nützliche Informationen bereit. Man muss oft zwischen mehreren dieser Anlaufstellen hin und her wechseln, um an die benötigten Informationen zu gelangen. Das kann manchmal etwas umständlich wirken, verstärkt aber das Gefühl, tatsächlich detektivisch tätig zu sein.

Das Spiel bietet drei Schwierigkeitsgrade für die Ermittlungen. Im einfachsten Modus (Newcomer) werden wichtige Hinweise mit Icons versehen, die zeigen, wo man sie verwenden kann. Im normalen Modus (Detective) fallen diese Hilfen weg und man muss selbst herausfinden, was als nächstes zu tun ist. Im höchsten Schwierigkeitsgrad (Master Sleuth) bekommt man zusätzlich keine Benachrichtigung mehr, wenn man alle Hinweise an einem Ort gefunden hat oder wann man den Mind Palace nutzen sollte. Für Puristen definitiv die richtige Wahl, während Gelegenheitsspieler die Hilfestellungen sicher zu schätzen wissen werden.

Oakmont – eine Open World voller Geheimnisse

Die Spielwelt von Oakmont ist beeindruckend gestaltet. Die Stadt ist in verschiedene Distrikte unterteilt, jeder mit seinem eigenen Charakter und seiner eigenen Atmosphäre. Das besondere an Oakmont sind natürlich die Überschwemmungen. Große Teile der Stadt stehen unter Wasser, was die Fortbewegung zu einer echten Herausforderung macht. Zu Fuß kommt man oft nicht weit, also muss man sich ein Boot schnappen. Praktischerweise liegen diese überall verteilt herum – vermutlich hat man sie genau dort platziert, wo Spieler sie brauchen könnten. Realistisch? Nicht unbedingt. Praktisch? Auf jeden Fall.

Die Architektur der Stadt orientiert sich an Neuengland des frühen 20. Jahrhunderts. Frogwares nutzte die Unreal Engine 4 und prozedurale Generierung, um ganze Stadtblöcke zu erstellen. Das Ergebnis ist eine dicht bebaute, authentisch wirkende Stadtlandschaft. Zwischen den prozedural generierten Gebäuden finden sich zahlreiche handgefertigte, einzigartige Locations – seien es markante Kirchen, herrschaftliche Anwesen oder unheimliche Kultstätten. Die überfluteten Bereiche sind mit Schlamm, Seetang und Seepocken dekoriert, was ihnen eine besonders beklemmende Atmosphäre verleiht.

Überall in der Stadt warten Geheimnisse darauf, entdeckt zu werden. Es gibt zahlreiche Nebenquests, die oft genauso spannend sind wie die Hauptstory. Manchmal stolpert man einfach über eine Leiche oder einen verzweifelten Bürger, der Hilfe braucht. Diese Zufallsbegegnungen lockern das Spielgeschehen auf und sorgen dafür, dass Oakmont sich lebendig anfühlt – oder besser gesagt: sterbend, aber auf eine sehr lebendige Art. Darüber hinaus kann man Verstecke plündern, Kisten mit Ressourcen finden und überall in der Stadt verstreute Sammelobjekte aufspüren.

Kampf ums Überleben – wenn Ermitteln nicht mehr reicht

The Sinking City ist primär ein Detektivspiel, aber es wäre kein Lovecraft-Spiel ohne Monster. Und davon gibt es reichlich. Untote Bewohner, groteske Meereskreaturen und Dinge, für die es keine passende Beschreibung gibt, bevölkern die Straßen von Oakmont. Manchmal kann man ihnen aus dem Weg gehen, manchmal muss man kämpfen.

Das Kampfsystem ist allerdings der Schwachpunkt des Spiels. Die Kämpfe fühlen sich zäh und manchmal frustrierend an. Die Schusswaffen aus den 1920er Jahren – Revolver, Schrotflinte, Gewehr und sogar ein Granatwerfer – haben ordentlich Wumms, aber die Gegner sind oft schwammig zu treffen und benötigen viele Treffer, bevor sie endlich zu Boden gehen. Der Nahkampf ist noch schlimmer. Die Animationen sind langsam und fühlen sich unpräzise an. Sich mit einem Brecheisen gegen einen spuckenden Monsterfisch zu wehren, ist definitiv nicht die beste Idee, aber manchmal bleiben einem keine Alternativen.

Das größte Problem beim Kampf ist das Ressourcenmanagement. In Oakmont ist die Gesellschaft zusammengebrochen, und Kugeln haben das Geld als Währung abgelöst. Jede verschossene Patrone ist gleichzeitig verlorenes Handelsgut. Man kann nicht einfach drauflosballern, sondern muss immer abwägen, ob sich der Kampf lohnt oder ob man nicht doch besser einen Bogen um die Gegner macht. Munition findet man zwar regelmäßig in Kisten oder kann sie bei Händlern kaufen, aber sie ist kostbar. Diese Mechanik fügt sich gut ins Survival-Horror-Setting ein, macht die Kämpfe aber nicht automatisch besser.

Dazu kommt die Sanity-Mechanik. Reed verliert geistige Gesundheit, wenn er übernatürliche Kreaturen sieht oder verstörende Szenen erlebt. Bei niedriger Sanity beginnt sich die Wahrnehmung zu verändern – die Umgebung wirkt verzerrt, Halluzinationen treten auf. Fällt die Sanity auf Null, stirbt Reed. Man kann die geistige Gesundheit mit antipsychotischen Medikamenten wiederherstellen oder einfach abwarten, da sie sich langsam von selbst regeneriert. Für Ermittlungsarbeiten benötigt Reed ebenfalls Sanity, da seine übernatürlichen Fähigkeiten diese Ressource verbrauchen. Es ist also ein ständiges Abwägen zwischen Selbstschutz und Fortschritt in der Untersuchung.

Technik und Präsentation – Licht und Schatten

Visuell macht The Sinking City vieles richtig. Die Atmosphäre ist durchweg stimmig und die Beleuchtung sorgt für die richtige Mischung aus düster und bedrohlich. Besonders die überfluteten Straßen und die verfallenen Gebäude sehen beeindruckend aus. Oakmont fühlt sich an wie eine Stadt am Ende der Welt. Die Charaktermodelle sind solide, wenn auch nicht auf dem allerhöchsten Niveau. Die Animationen der NSCs wirken manchmal etwas steif, aber das fällt im Gesamtbild nicht allzu schwer ins Gewicht.

Leider gibt es auch technische Probleme. Ladezeiten können teilweise recht lang ausfallen, je nachdem auf welcher Plattform man spielt. Gelegentlich treten Screen-Tearing-Effekte auf und die Framerate kann in dicht bevölkerten Bereichen einbrechen. Es kommt auch vor, dass NPCs in der Umgebung hängen bleiben oder sich seltsam verhalten. Diese technischen Unzulänglichkeiten trüben das Erlebnis, sind aber nicht spielbrechend. Man merkt, dass Frogwares hier ein ambitioniertes Projekt gewagt hat, bei dem das Budget vielleicht nicht ganz ausgereicht hat, um den letzten Feinschliff zu liefern.

Akustisch überzeugt The Sinking City auf ganzer Linie. Der Soundtrack ist atmosphärisch und zurückhaltend, untermalt die düstere Stimmung perfekt und wird in den richtigen Momenten dramatischer. Die Umgebungsgeräusche – das Plätschern des Wassers, die Schreie ferner Kreaturen, das Knarzen alter Holzdielen – tragen enorm zur Immersion bei. Die Sprachausgabe liegt ausschließlich in englischer Sprache vor, mit deutschen Untertiteln. Die englischen Sprecher liefern durchweg solide Leistungen ab, auch wenn sie nicht ganz an das Niveau großer AAA-Produktionen herankommen. Die Untertitel sind gut übersetzt und helfen dabei, der Geschichte zu folgen.

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Entscheidungen mit Konsequenzen

Ein interessanter Aspekt von The Sinking City sind die moralischen Entscheidungen, die der Spieler treffen muss. Am Ende vieler Quests steht man vor der Wahl, wie man den Fall abschließt. Soll der Verdächtige zur Rechenschaft gezogen werden oder gibt es mildernde Umstände? Manchmal muss man entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss. Diese Entscheidungen sind oft nicht schwarz-weiß, sondern bewegen sich in moralischen Grauzonen.

Das Spiel urteilt nicht über die Entscheidungen des Spielers. Es gibt kein Karma-System, keine Punkte für „gut“ oder „böse“. Die Konsequenzen zeigen sich vielmehr im weiteren Spielverlauf. Bestimmte NSCs werden je nach Entscheidung später im Spiel wieder auftauchen – oder eben nicht. Manche Questlinien öffnen oder schließen sich je nachdem, wie man sich verhalten hat. Das sorgt für einen gewissen Wiederspielwert, auch wenn die Kerngeschichte weitgehend gleich verläuft.

Die Hauptkampagne dauert je nach Spielstil zwischen 15 und 25 Stunden. Wer sich auch den zahlreichen Nebenquests widmet und Oakmont gründlich erkundet, kommt leicht auf 30 Stunden und mehr. Das ist ein ordentlicher Umfang für ein Spiel dieser Art.

Fazit zu The Sinking City

The Sinking City ist ein mutiges Experiment, das in vielen Bereichen geglückt ist. Die Ermittlungsmechaniken sind hervorragend und bieten echte Herausforderungen für Spieler, die gerne selbst nachdenken. Die düstere Lovecraft-Atmosphäre wird perfekt eingefangen, und die Geschichte zieht einen von Anfang an in ihren Bann. Oakmont ist eine faszinierende Spielwelt, die man gerne erkundet – zumindest solange man nicht von Monstern angefallen wird.

Die Schwächen liegen vor allem im Kampfsystem, das sich zäh und frustrierend anfühlt, sowie in den technischen Problemen, die das Spielerlebnis gelegentlich beeinträchtigen. Auch die generische Natur mancher Nebenquests und die Wiederholungen in der Stadtgestaltung fallen nach einigen Stunden auf. Trotzdem überwiegen die positiven Aspekte deutlich.

Frogwares hat mit The Sinking City gezeigt, dass sie mehr können als nur Sherlock Holmes. Sie haben ein einzigartiges Detektivspiel geschaffen, das sich von der Masse abhebt. Wer Lovecraft-Horror mag, gerne rätselt und ermittelt und bereit ist, über einige technische Schwächen hinwegzusehen, bekommt hier ein atmosphärisches und forderndes Abenteuer geboten. Für Fans klassischer Action-Shooter ist The Sinking City eher nichts, aber wer sich auf die besondere Mischung aus Investigation und Horror einlässt, wird reichlich belohnt. Oakmont wartet darauf, seine Geheimnisse preiszugeben – wenn man den Wahnsinn überlebt.

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