Als CD Projekt RED 2007 mit The Witcher den ersten Ausflug in die düstere Fantasy-Welt des polnischen Autors Andrzej Sapkowski wagte, war die Resonanz durchaus gemischt. Technische Schwächen, eine unausgereifte Kampfmechanik und diverse Bugs trübten den grundsätzlich positiven Eindruck einer atmosphärisch dichten Geschichte. Mit The Witcher 2: Assassins of Kings liefern die polnischen Entwickler nun den heiß ersehnten Nachfolger ab und versprechen auf ganzer Linie Verbesserungen. Ob diese Versprechen eingelöst werden können und The Witcher 2 tatsächlich das Action-Rollenspiel ist, auf das wir alle gewartet haben, klären wir in diesem ausführlichen Test.
Politische Intrigen und Monsterjagd
Die Geschichte setzt kurz nach den Ereignissen des Vorgängers an. Geralt von Riva, der namensgebende Hexer, hat sein Gedächtnis größtenteils wiedererlangt und arbeitet mittlerweile als Leibwächter für König Foltest von Temeria. Doch bereits in den ersten Minuten des Spiels überschlagen sich die Ereignisse dramatisch. Ein mysteriöser Attentäter ermordet Foltest und Geralt wird des Königsmordes bezichtigt. Von nun an ist der Hexer auf der Flucht, bemüht seine Unschuld zu beweisen und den wahren Königsmörder zu finden. Was zunächst nach einer simplen Räuberpistole klingt, entpuppt sich schnell als vielschichtiges Intrigenspiel voller politischer Verstrickungen, in dem verschiedene Fraktionen ihre ganz eigenen Ziele verfolgen.
Was The Witcher 2 dabei besonders auszeichnet, ist die Art und Weise wie CD Projekt RED moralische Grautöne inszeniert. Es gibt hier keine klassische Gut-gegen-Böse-Dichotomie. Stattdessen bewegt sich Geralt in einer Welt voller komplexer Charaktere mit nachvollziehbaren Motivationen. Die Entscheidungen die der Spieler trifft haben dabei weitreichende Konsequenzen und führen teilweise zu komplett unterschiedlichen Handlungssträngen. Besonders im zweiten Akt gabelt sich die Story auf eine Weise, die man in dieser Konsequenz selten in Rollenspielen erlebt. Je nachdem welcher Fraktion man sich anschließt, erlebt man völlig andere Schauplätze, Charaktere und Quests. Das sorgt für enormen Wiederspielwert, denn wer wirklich alles sehen möchte, kommt um einen zweiten Durchgang nicht herum.
Die Nebenmissionen sind dabei keineswegs bloßes Beiwerk, sondern oft kleine Geschichten für sich, die tiefere Einblicke in die Welt und ihre Bewohner gewähren. Ob es nun darum geht einen Fluch zu brechen, politische Machenschaften aufzudecken oder schlicht einen besonders hartnäckigen Monster-Auftrag zu erfüllen – die Quests sind durchweg stimmungsvoll inszeniert und verzichten weitestgehend auf generische Fetsch-Aufgaben.
Kampf wie ein Profi
Wer den Vorgänger gespielt hat, wird sich zunächst umgewöhnen müssen. Das Kampfsystem wurde komplett überarbeitet und präsentiert sich nun deutlich actionlastiger. Vorbei sind die Zeiten des rhythmischen Klickens. Stattdessen erwartet den Spieler ein anspruchsvolles Echtzeit-Kampfsystem, das sowohl Reaktionsvermögen als auch taktisches Geschick fordert. Geralt kann zwischen zwei Schwertern wechseln – dem Stahlschwert für menschliche Gegner und dem Silberschwert für Monster. Zusätzlich stehen ihm fünf magische Zeichen zur Verfügung, die von Flammenstößen über Gedankenkontrolle bis hin zu schützenden Schilden reichen.
Die Kämpfe selbst fühlen sich wuchtig und befriedigend an. Jeder Schwerthieb hat Gewicht, jedes ausgewichene Manöver will gut getimed sein. Besonders gegen mehrere Gegner gleichzeitig wird schnell klar, dass blindes Draufhauen zum sicheren Tod führt. Positionierung, das geschickte Einsetzen von Zeichen und die richtige Vorbereitung durch Tränke und Öle sind der Schlüssel zum Erfolg. Apropos Vorbereitung: The Witcher 2 nimmt seine Alchemie-Elemente ernst. Tränke können nur außerhalb des Kampfes eingenommen werden, was den Spieler zwingt sich im Vorfeld Gedanken über die bevorstehende Herausforderung zu machen. Das mag zunächst umständlich wirken, unterstreicht aber die Rolle Geralts als professioneller Monsterjäger, der seine Aufträge gewissenhaft vorbereitet.
Der Schwierigkeitsgrad ist dabei keineswegs ohne. Selbst auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad können einzelne Bosskämpfe durchaus frustrierend ausfallen, wenn man nicht die richtige Strategie parat hat. Wer eine echte Herausforderung sucht, wird beim höchsten Schwierigkeitsgrad „Dark“ fündig, bei dem bereits einfache Gegner zu tödlichen Bedrohungen werden. Für Einsteiger steht natürlich auch ein niedrigerer Schwierigkeitsgrad zur Verfügung, der das Kampfgeschehen deutlich entschärft.
Eine lebendige Welt voller Details
Auch wenn The Witcher 2 im Vergleich zum Open-World-Giganten Skyrim eher auf kleinere, abgeschlossene Areale setzt, so wirken diese doch ungemein lebendig und detailverliebt gestaltet. Die Stadt Flotsam im ersten Akt beispielsweise ist ein wunderbar atmosphärischer Ort voller verwinkelter Gassen, zwielichtiger Gestalten und mittelalterlichem Flair. Später führt die Reise in die beiden Städte Vergen und Loc Muinne, die beide auf ihre eigene Art beeindrucken. Überall gibt es Nebenmissionen zu entdecken, NPCs die interessante Geschichten zu erzählen haben und Geheimnisse die nur darauf warten gelüftet zu werden.
Das Charaktersystem erlaubt es dem Spieler Geralt nach eigenem Gusto zu entwickeln. Über vier Talentbäume kann man den Hexer zu einem Schwertmeister, einem Magie-Spezialisten oder einem Alchemie-Experten formen. Die Möglichkeiten sind vielfältig, auch wenn man in einem Durchgang bei Weitem nicht alle Fähigkeiten freischalten kann. Ausrüstung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, wobei die diversen Hexer-Rüstungssets nicht nur optisch etwas hermachen, sondern auch spürbare Gameplay-Vorteile bieten. Das Crafting-System ermöglicht es zudem eigene Waffen und Rüstungen herzustellen, sofern man die entsprechenden Diagramme und Materialien besitzt.
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Technische Brillanz mit kleinen Macken
Grafisch setzt The Witcher 2 neue Maßstäbe. Die REDengine zaubert beeindruckende Landschaften, detaillierte Charaktermodelle und atmosphärische Lichteffekte auf den Bildschirm. Besonders die Gesichtsanimationen während der Dialoge wirken authentisch und transportieren Emotionen glaubhaft. Die Umgebungen strotzen vor Details – sei es das flackernde Lagerfeuer, die wogenden Kornfelder oder die düsteren Sümpfe. Wettereffekte wie Regen oder Nebel tragen zusätzlich zur dichten Atmosphäre bei.
Allerdings hat diese grafische Pracht ihren Preis. Selbst aktuelle Hochleistungs-PCs werden bei maximalen Einstellungen in die Knie gezwungen. Wer das Spiel in voller Pracht genießen möchte, sollte über entsprechend potente Hardware verfügen. Glücklicherweise lassen sich die Grafikoptionen sehr detailliert anpassen, sodass auch Besitzer schwächerer Systeme in den Genuss kommen können, wenn auch mit Abstrichen bei der visuellen Qualität.
Auch bei der Performance gibt es gelegentlich kleinere Schwächen. Ruckler in besonders dicht bevölkerten Arealen oder beim Laden neuer Gebiete treten hin und wieder auf. Hinzu kommen vereinzelte Bugs, die von harmlosen Grafikfehlern bis hin zu ärgerlichen Quest-Bugs reichen können, die im schlimmsten Fall ein Neuladen erfordern. CD Projekt RED hat zwar bereits mehrere Patches nachgeschoben, einige Probleme bestehen aber weiterhin.
Atmosphäre vom Feinsten
Akustisch liefert The Witcher 2 eine hervorragende Vorstellung ab. Der Soundtrack von Adam Skorupa und Krzysztof Wierzynkiewicz fängt die düstere, mittelalterliche Atmosphäre perfekt ein. Von melancholischen Melodien in ruhigen Momenten bis hin zu epischen Kampfhymnen während dramatischer Auseinandersetzungen – die musikalische Untermalung passt stets zum Geschehen und verstärkt die emotionale Wirkung der Szenen.
Die englische Sprachausgabe ist durchweg professionell und die Sprecher hauchen ihren Charakteren Leben ein. Geralt wird dabei erneut von Doug Cockle gesprochen, dessen raue, leicht zynische Stimme mittlerweile untrennbar mit dem Charakter verbunden ist. Auch die deutschen Untertitel sind sauber übersetzt und ermöglichen es auch Spielern ohne Englischkenntnisse der Story problemlos zu folgen. Eine vollständige deutsche Synchronisation wäre natürlich wünschenswert gewesen, ist bei einem vergleichsweise kleinen polnischen Studio aber sicherlich auch eine Budgetfrage.
Fazit zu The Witcher 2: Assassins of Kings
CD Projekt RED ist mit The Witcher 2: Assassins of Kings ein beeindruckender Wurf gelungen. Das Action-Rollenspiel überzeugt durch eine packende, verzweigte Geschichte, ein anspruchsvolles Kampfsystem und eine technisch wie atmosphärisch herausragende Präsentation. Die moralisch komplexen Entscheidungen haben echte Konsequenzen und die unterschiedlichen Handlungsstränge im zweiten Akt sorgen für enormen Wiederspielwert.
Natürlich gibt es auch Kritikpunkte. Die hohen Hardware-Anforderungen, gelegentliche Performance-Probleme und vereinzelte Bugs trüben das Gesamtbild minimal. Auch das Tutorial hätte etwas ausführlicher ausfallen können, denn gerade Einsteiger werden anfangs von der Komplexität der Systeme erschlagen. Wer sich jedoch auf The Witcher 2 einlässt und bereit ist Zeit zu investieren, wird mit einem der besten Rollenspiele der letzten Jahre belohnt.
The Witcher 2: Assassins of Kings ist mehr als nur eine Verbesserung des Vorgängers – es ist ein eigenständiges Meisterwerk, das zeigt wozu ein leidenschaftliches Entwicklerteam in der Lage ist. Fans düsterer Fantasy-Welten und anspruchsvoller Rollenspiele kommen hier voll auf ihre Kosten. CD Projekt RED hat bewiesen, dass sie mit den ganz Großen der Branche mithalten können und mit The Witcher 2 einen Meilenstein geschaffen, der das Genre nachhaltig bereichert.
Bewertung: 8,7/10