Ehrlich gesagt habe ich mich sehr auf eine Umsetzung dieser Art gefreut, war aber auch leicht skeptisch. Ein weiteres Brettspiel zu einer erfolgreichen Videospielreihe – wie oft haben wir das schon erlebt, und wie oft war das Ergebnis ernüchternd? Als langjähriger Witcher-Fan, der sowohl die Bücher als auch die Spiele verschlungen hat, ging ich mit gemischten Erwartungen an „The Witcher: Old World“ heran. Kann Go on Board wirklich das Feeling einfangen, als Monster jagender Hexer durch den Kontinent zu ziehen?
Nach unzähligen Stunden am Spieltisch kann ich sagen: Teilweise ja, aber es ist kompliziert.
Von Kartenkombos und Monsterjagd
Das Spiel wirft uns in eine Ära vor Geralt, als noch alle Hexerschulen existierten und Monster eine echte Plage darstellten. Als Spieler übernehmen wir die Rolle eines Hexers und haben ein simples Ziel: Sammle vier Trophäen und gewinne. Diese bekommt man durch Monsterjagd, Duelle mit anderen Hexern oder durch das Perfektionieren der eigenen Fähigkeiten.
Soweit, so klassisch. Interessant wird es beim Gameplay-Mix aus Deckbuilding und Area-Control. Jeder Hexer startet mit zehn identischen Karten, baut aber kontinuierlich sein persönliches Deck auf. Diese Karten sind gleichzeitig eure Bewegungsressource, eure Waffen UND eure Lebenspunkte. Klingt verwirrend? Ist es anfangs auch, aber das System funktioniert überraschend elegant.
Die Mechanik dahinter ist durchdacht: Möchtet ihr in die Berge reisen, müsst ihr eine Karte mit Bergsymbol abwerfen. Kämpft ihr gegen Monster, kombiniert ihr Karten zu Schaden-Combos. Erleidet ihr Schaden, verliert ihr dauerhaft Karten aus eurem Deck. Das ist nicht nur mechanisch stimmig, sondern auch thematisch – ein verletzter Hexer ist eben weniger schlagkräftig.
Atmosphäre vs. Realität
Thematisch trifft „Old World“ definitiv ins Schwarze. Die Erkundungskarten sind voller typischer Witcher-Situationen: Ihr helft Dorfbewohnern bei merkwürdigen Problemen, untersucht seltsame Vorfälle oder geratet in moralische Dilemmas. Die Texte sind gut geschrieben und fangen den zynischen, aber heroischen Ton der Vorlage perfekt ein.
Optisch macht das Spiel ebenfalls eine gute Figur. Der Kontinent ist detailliert dargestellt, die Artwork stimmungsvoll und die verschiedenen Hexerschulen haben alle ihre eigene Identität. Man merkt, dass hier Witcher-Fans am Werk waren.
Nur beim Spielfluss hapert es dann doch erheblich. Das größte Problem: die Wartezeiten. Bei vier oder fünf Spielern kann es durchaus vorkommen, dass ihr zehn Minuten auf euren nächsten Zug wartet. Jeder muss seine Kartenkombinationen durchdenken, Kämpfe dauern ihre Zeit, und die verschiedenen Aktionsmöglichkeiten wollen alle bedacht werden.
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Die Krux mit den vielen Spielern
Hier liegt auch mein größter Kritikpunkt. Theoretisch unterstützt das Spiel 1-5 Spieler, praktisch funktioniert es nur zu zweit oder zu dritt wirklich gut. Bei höheren Spielerzahlen wird aus einem atmosphärischen Hexer-Erlebnis ein zähes Wartespiel.
Das ist besonders schade, weil die Interaktion zwischen den Spielern durchaus spannend ist. Hexer können sich duellieren, um Gebiete kämpfen oder sich gegenseitig die besten Monster vor der Nase wegschnappen. Diese Momente sind großartig – wenn sie denn kommen.
Dazu kommt ein weiteres Problem: Nach einigen Partien stellt sich Routine ein. Man kennt die Erkundungskarten, weiß welche Monster wo spawnen und hat seine bevorzugten Strategien entwickelt. Der anfängliche Entdeckergeist weicht einem „Täglich grüßt das Murmeltier“-Gefühl.
Deckbuilding für Fortgeschrittene
Positiv hervorzuheben ist definitiv das Deckbuilding-System. Es ist komplex genug, um taktische Tiefe zu bieten, aber nicht so überladen, dass Einsteiger verzweifeln. Die verschiedenen Hexerschulen spielen sich merklich unterschiedlich – der Wolf setzt auf rohe Gewalt, während die Katze auf Geschwindigkeit und Tricks baut.
Das Kaufsystem neuer Karten funktioniert flüssig, und es macht wirklich Spaß zu sehen, wie sich das eigene Deck über die Partie entwickelt. Besonders gelungen: Tränke und Zauberzeichen sind als separate Kartentypen implementiert und fühlen sich authentisch an.
Kämpfe sind taktisch interessant, auch wenn sie manchmal etwas zu vorhersagbar ablaufen. Monster haben ihre eigenen Angriffsmuster, und es gilt, die richtige Kartenkombination zu finden. Das funktioniert, auch wenn man sich manchmal mehr Überraschung wünschen würde.
Fazit: Durchwachsene Hexerei
„The Witcher: Old World“ ist ein solides, aber nicht außergewöhnliches Brettspiel. Es schafft atmosphärisch viel und das Deckbuilding-System funktioniert gut. Die thematische Umsetzung ist gelungen, und Witcher-Fans werden definitiv ihre Freude haben.
Aber – und das ist ein großes Aber – die praktischen Probleme sind nicht von der Hand zu weisen. Die langen Wartezeiten bei höheren Spielerzahlen, die sich wiederholenden Elemente nach mehreren Partien und die teils trägen Spielabläufe trüben das Erlebnis erheblich.
Kaufempfehlung: Ja, aber mit Einschränkungen. Wenn ihr zu zweit oder zu dritt spielt, regelmäßige Witcher-Fans seid und euch komplexere Deckbuilding-Spiele nicht abschrecken, dann bekommt ihr hier ein atmosphärisches und mechanisch stimmiges Erlebnis. Für große Spielgruppen oder Gelegenheitsspieler gibt es bessere Alternativen.
Die Bewertung fällt mir schwer, weil „Old World“ vieles richtig macht, aber an den entscheidenden Stellen schwächelt. Es ist ein gutes Spiel für die richtige Zielgruppe – aber diese Zielgruppe ist kleiner, als sie sein sollte.
7,9/10 – Empfehlenswert für Witcher-Fans in kleinen Runden, für alle anderen eher Mittelmaß.
Auf einen Blick:
- Designer: Łukasz Woźniak
- Verlag: Go on Board/Asmodee
- 1-5 Spieler (empfohlen: 2-3)
- Ab 14 Jahren
- 90-150 Minuten
- Preis: ca. 75-90 Euro
Erweiterungen: Mehr Content für Hexer-Süchtige
Go on Board hat mittlerweile eine ganze Sammlung an Erweiterungen veröffentlicht, die das Grundspiel in verschiedene Richtungen erweitern. Hier ein Überblick über die wichtigsten:
Skellige (ca. 45€) Diese Erweiterung bringt die berühmten Inseln auf die Karte. Mit drei Schiffs-Miniaturen könnt ihr zu neuen Orten reisen, wobei jede Schiffsfahrt ein eigenes Seeabenteuer mit sich bringt. Das Highlight: Der antike Seemonster Dagon kann durch bestimmte Ereignisse erwachen. Definitiv atmosphärisch, aber macht das Grundspiel noch länger.
Zauberinnen und Magier (ca. 55€) Fünf völlig neue Charaktere mit einer eigenen Ressource namens „Magie“. Statt Trophäen sammeln Magier magische Zutaten von Monstern. Thematisch stimmig und mechanisch interessant – Magier spielen sich komplett anders als Hexer. Perfekt, wenn ihr das Grundspiel schon ausgereizt habt.
Legendäre Jagd (ca. 65€) Sieben gigantische Boss-Monster (68mm hoch!) wandern über die Karte und hinterlassen Zerstörung. Das einzige Siegziel: Eines dieser Monster besiegen. Komplett anderes Spielgefühl, sehr thematisch, aber auch deutlich schwieriger. Nur für Hardcore-Fans empfehlenswert.
Adventure Pack (ca. 35€) 200 neue Erkundungs- und Ereigniskarten. Das ist quasi „More of the Same“ – mehr Variabilität in den Geschichten und Begegnungen. Für alle, die das repetitive Problem des Grundspiels lösen wollen. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Monster Trail (ca. 40€) Bringt die sechste Hexerschule (Manticore) ins Spiel und erweiterte Monster-Mechaniken. Die Bestien bekommen neue Spezialfähigkeiten und vier verschiedene Angriffsmuster. Für Taktik-Fans interessant, macht die Monster aber noch unberechenbarer.
Wild Hunt (ca. 55€) Der kooperative Modus! Hier kämpfen alle Spieler gemeinsam gegen Eredin und die Wilde Jagd. Komplett andere Spielerfahrung, löst das Downtime-Problem aber nicht wirklich. Trotzdem: Wer Koop-Spiele mag, sollte hier zuschlagen.
Meine Empfehlung: Startet mit dem Adventure Pack für mehr Variabilität, dann Skellige für neuen Content. Die anderen sind eher für absolute Hexer-Fanatiker.