vampire masquerade bloodlines

[Review] Vampire: The Masquerade – Bloodlines

Mit Vampire: The Masquerade – Bloodlines wagt sich Troika Games in düstere Gefilde vor und präsentiert uns ein Rollenspiel, das sich wie ein interaktiver Film durch die schattigen Straßen von Los Angeles bewegt. Bereits wenige Stunden nach dem Release macht sich jedoch bemerkbar, dass dieses ambitionierte Projekt eine wahre Odyssee hinter sich hat – nicht unähnlich den Vampiren, die es zu portraitieren versucht. Als letztes Werk des renommierten Entwicklerstudios, das uns bereits mit Arcanum und Fallout begeisterte, sollte Bloodlines ein würdiger Abschluss werden. Ob dies gelungen ist, bleibt eine Frage der Perspektive.

Das Spiel basiert auf dem beliebten Pen-&-Paper-Rollensystem „Vampire: Die Maskerade“ von White Wolf Publishing und verspricht, die düstere Atmosphäre der World of Darkness endlich spielbar zu machen. Vampirclans, politische Intrigen und der ewige Kampf zwischen Menschlichkeit und bestialischen Trieben – all das soll in die digitale Welt übertragen werden. Ein gewaltiges Unterfangen, das Troika Games allerdings unter enormem Zeitdruck bewältigen musste.

Story

Der Spieler erwacht als frisch verwandelter Vampir in den Straßen von Santa Monica. Die Verwandlung war nicht geplant – ein Verstoß gegen die Gesetze der Camarilla, der Vampirregierung, die über das Schicksal der Untoten wacht. Nur durch ein Wunder überlebt man die Hinrichtung und wird unter die Fittiche des Prinzen von Los Angeles genommen, der einem eine letzte Chance gewährt. Was folgt, ist eine nächtliche Reise durch die verschiedensten Bezirke der Stadt der Engel – von den heruntergekommenen Stränden Santa Monicas bis hin zu den neonbeleuchteten Straßen Hollywoods.

Die Geschichte entwickelt sich dabei zu einem komplexen Geflecht aus vampirischer Politik, mysteriösen Artefakten und persönlichen Schicksalen. Je nach gewähltem Vampirclan erlebt man unterschiedliche Nuancen der Handlung, wobei besonders die Malkavians mit ihren prophetischen Wahnvorstellungen eine völlig neue Sicht auf die Ereignisse bieten. Jede der sieben Clans – von den aristokratischen Ventrue bis hin zu den bestialischen Gangrel – bringt eigene Stärken, Schwächen und vor allem eine einzigartige Sichtweise auf die Welt mit sich.

Die Erzählweise ist dabei erwachsen und düster, ohne in billige Schockeffekte zu verfallen. Charaktere wie der charismatische Anarchenführer Nines Rodriguez oder die geheimnisvolle Jeanette vom Asylum wirken authentisch und vielschichtig. Besonders beeindruckend sind die moralischen Dilemmata, vor die man immer wieder gestellt wird: Erhält man seine Menschlichkeit oder gibt man sich den dunklen Trieben hin? Diese Entscheidungen haben tatsächlich spürbare Auswirkungen auf den Spielverlauf.

Grafik

Optisch setzt Bloodlines auf die damals brandneue Source-Engine von Valve, dieselbe Technologie die auch Half-Life 2 antreibt. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen – die Gesichtsanimationen der Charaktere wirken lebendig und ausdrucksstark, was gerade in den vielen Dialogsequenzen von enormer Bedeutung ist. Die verschiedenen Stadtteile von Los Angeles wurden mit viel Liebe zum Detail gestaltet und fangen die Atmosphäre der jeweiligen Bezirke gekonnt ein.

Santa Monica präsentiert sich als heruntergekommener Küstenort mit bröckelnden Gebäuden und zwielichtigen Gestalten, während Hollywood mit seinen Neonlichtern und dem Glanz der Unterhaltungsindustrie lockt. Jeder Bereich hat seinen ganz eigenen Charakter und trägt zur dichten Atmosphäre bei. Besonders gelungen sind auch die verschiedenen vampirischen Fähigkeiten, die sich visuell stark unterscheiden – von den schleichenden Schatten der Nosferatu bis hin zu den hypnotischen Kräfte der Toreador.

Allerdings zeigt sich hier auch eine der größten Schwächen des Spiels: Die Technik ist noch nicht ganz ausgereift. Texturen laden gelegentlich verzögert nach, die Framerate bricht bei komplexeren Szenen ein, und nicht selten sorgen kleinere grafische Glitches für ungewollte Unterbrechungen der Immersion. Diese Kinderkrankheiten trüben das ansonsten sehr stimmige Gesamtbild spürbar.

Sound

Akustisch liefert Bloodlines eine Meisterleistung ab. Der Soundtrack, komponiert von Rik Schaffer, schafft es perfekt, die düstere Vampir-Atmosphäre zu transportieren. Von melancholischen Piano-Melodien bis hin zu industriellen Klängen ist alles dabei, was das Herz eines Goth-Fans höher schlagen lässt. Besonders hervorzuheben ist der Song „Swamped“ von Lacuna Coil, der perfekt die Stimmung des Spiels einfängt.

Die Sprachausgabe ist durchgehend hochwertig, auch wenn sie leider nur in englischer Sprache verfügbar ist. Die Sprecher hauchen ihren Charakteren Leben ein – von der verführerischen Stimme Jeannettes bis hin zu den gutturalen Lauten der Nosferatu. Jeder Clan hat seinen eigenen sprachlichen Charakter, was zur Glaubwürdigkeit der Spielwelt enorm beiträgt.

Auch die Umgebungsgeräusche sind stimmig umgesetzt. Das Rauschen des Ozeans in Santa Monica, der Verkehrslärm in Downtown oder die gedämpften Beats aus den Clubs – all das trägt zur dichten Atmosphäre bei und lässt einen tief in die World of Darkness eintauchen.

Gameplay

Das Herzstück von Bloodlines ist das Rollenspielsystem, das eng an die Pen-&-Paper-Vorlage angelehnt ist. Zu Beginn wählt man einen der sieben verfügbaren Vampirclans, was nicht nur die verfügbaren Disziplinen (Vampirkräfte) bestimmt, sondern auch die Art, wie andere Charaktere auf einen reagieren. Ein Nosferatu muss sich aufgrund seiner grotesken Erscheinung vor Menschen verstecken, während ein Toreador mit seinem übernatürlichen Charisma punkten kann.

Die Charakterentwicklung erfolgt über Erfahrungspunkte, die man für das Lösen von Quests und das Entdecken neuer Geheimnisse erhält. Diese kann man in verschiedene Attribute, Fertigkeiten und Disziplinen investieren. Das System ist komplex genug, um interessante Builds zu ermöglichen, aber nicht so überladen, dass es erschlagend wirkt.

Besonders gelungen ist die Questgestaltung. Viele Aufgaben lassen sich auf unterschiedliche Weise lösen – je nach Clan und Charakterbuild. Ein Ventrue kann mit seinem gesellschaftlichen Einfluss Türen öffnen, die ein Brujah mit roher Gewalt aufbrechen muss. Diese Vielfalt sorgt für einen hohen Wiederspielwert und macht Lust darauf, verschiedene Clans auszuprobieren.

Die Kampfmechanik hingegen zeigt deutliche Schwächen. Sowohl der Nah- als auch der Fernkampf fühlen sich träge und unpräzise an. Die KI der Gegner ist oft vorhersagbar, und die Kollisionsabfrage funktioniert nicht immer zuverlässig. Glücklicherweise kann man viele Konfrontationen durch geschickte Diplomatie oder Schleichen vermeiden – ein Ansatz, der viel besser zum Vampir-Setting passt.

Die Maskerade, das oberste Gesetz der Vampirwelt, spielt eine wichtige Rolle im Gameplay. Setzt man seine Vampirkräfte vor Menschen ein oder hinterlässt Leichen, verschlechtert sich der Maskerade-Status. Zu viele Verstöße können zum Game Over führen – ein cleverer Mechanismus, der die Spieler dazu zwingt, subtil zu agieren.

Technische Probleme

Leider kann nicht verschwiegen werden, dass Bloodlines in seinem aktuellen Zustand mit erheblichen technischen Problemen zu kämpfen hat. Abstürze sind keine Seltenheit, Quests können unter Umständen nicht beendet werden, und gerade in den späteren Spielabschnitten häufen sich die Bugs dramatisch. Es ist offensichtlich, dass das Spiel noch nicht fertig entwickelt war, als es in den Handel kam.

Besonders ärgerlich ist, dass einige dieser Probleme das Spielerlebnis erheblich trüben können. Wenn wichtige NPCs plötzlich verschwinden oder Dialogoptionen nicht funktionieren, bricht die sorgfältig aufgebaute Immersion zusammen. Es bleibt zu hoffen, dass Activision zeitnah Patches nachliefert, um diese Kinderkrankheiten zu beheben.

Fazit

Vampire: The Masquerade – Bloodlines ist ein Spiel der Gegensätze. Einerseits bietet es eine der dichtesten und atmosphärischsten Spielwelten, die je erschaffen wurden. Die komplexe Story, die glaubwürdigen Charaktere und das stimmige Setting machen es zu einem unvergesslichen Erlebnis für alle Fans von Vampir-Lore und erwachsenen Rollenspielen.

Andererseits ist es in seinem derzeitigen Zustand technisch eine Katastrophe. Die zahlreichen Bugs und die unausgereifte Kampfmechanik verhindern, dass sich das volle Potenzial entfalten kann. Es ist bitter zu sehen, wie ein so ambitioniertes Projekt unter dem Zeitdruck des Publishers leidet.

Trotz aller technischen Mängel ist Bloodlines ein Spiel, das man erlebt haben sollte – allerdings erst, wenn die gröbsten Probleme behoben wurden. Die einzigartige Atmosphäre und die faszinierende Vampir-Welt entschädigen für viele Frustrationen. Wer bereit ist, über die technischen Schwächen hinwegzusehen, wird mit einem der originellsten und erwachsensten Rollenspiele der letzten Jahre belohnt.

Für Troika Games markiert Bloodlines das Ende einer Ära. Das Studio hat bewiesen, dass es durchaus in der Lage ist, innovative und atmosphärische Spiele zu entwickeln. Es bleibt zu hoffen, dass andere Entwickler den Mut haben, ebenfalls erwachsene und düstere Themen anzugehen, anstatt auf die üblichen Fantasy-Klischees zu setzen.

Bloodlines ist kein Spiel für jedermann – aber für die Zielgruppe ist es ein absolutes Muss. Wer sich auf die düstere Welt der Vampire einlassen kann und bereit ist, über technische Mängel hinwegzusehen, wird hier eines der faszinierendsten Rollenspielerlebnisse der letzten Jahre finden.


Update (März 2005)

Einige Monate nach unserem ursprünglichen Test haben wir Vampire: The Masquerade – Bloodlines erneut unter die Lupe genommen. Leider muss festgestellt werden, dass Activision die Hoffnungen vieler Spieler enttäuscht hat. Abgesehen von einem kleinen Patch kurz nach Release, der hauptsächlich kritische Abstürze behob, gab es keine weiteren offiziellen Updates.

Umso erfreulicher ist es, dass sich die Community des Spiels angenommen hat. Ambitionierte Fans arbeiten bereits an umfangreichen inoffiziellen Patches, die nicht nur Bugs beheben, sondern sogar geschnittene Inhalte wiederherstellen sollen. Diese „Unofficial Patches“ sind noch nicht vollständig verfügbar, zeigen aber bereits vielversprechende Ansätze zur Behebung der gröbsten Probleme.

Für Neukäufer bedeutet das: Wer das Spiel jetzt erwirbt, bekommt immer noch dasselbe technisch problembehaftete, aber atmosphärisch brillante Erlebnis. Die Bewertung bleibt daher unverändert, auch wenn die Hoffnung besteht, dass engagierte Fans das vollenden werden, was Troika Games nicht mehr zu Ende bringen konnte.

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