Ubisoft und die Coins
Am 16. April hat Ubisoft das von Blue Byte (ehemals Related Design) entwickelte Anno 1800 veröffentlicht. Um euch nicht lange auf die Folter zu spannen und das Ergebnis etwas vorweg zu nehmen es ist ein tolles Spiel geworden, allerdings mit ein paar Schwächen.
Wie nahezu bei allen Spielen von Ubisoft, gibt es auch in Anno wieder Club-Belohnungen zu “erwerben”. Unter anderem Symbole für das Firmenlogo, sowie Charakter-Porträts. Ein paar davon sind kostenlos, andere muss man gegen Units tauschen. Es gibt allerdings auch Belohnungen die für gewisse Events vergeben werden, wie z.B. an der Teilnahme der Closed und Open Beta oder, wenn man bestimmte Spiele sein eigen nennt. Es ist schade, dass man nicht alle freischalten kann. Ich persönlich hätte es schöner gefunden, wenn man jeweils zwei oder drei Wege gehabt hätte, die Belohnungen freizuschalten. Denn gerade bei Dingen wie einer Closed Beta, die im Normalfall nicht jedem zugänglich ist, wirkt es unfair. Auf der anderen Seite ist es eine schöne Geste für all diejenigen die als Spieler an der Entwicklung beteiligt waren.
Anno 1800 spielt wie der Name impliziert im 19. Jahrhundert, während der Industrialisierung. Der Wechsel zwischen alter und neuer Welt wird über die Weltkarte vollzogen. Auf dieser kann man sobald freigeschaltet die neu in Anno implementierten Expeditionen starten. Die Überfahrt von Schiffen kann durchaus gefährlich sein und sollte nur im Konvoi stattfinden.
Charaktererstellung und Startbedingungen
Doch der Reihe nach. Beginnt man eine Neues Spiel wählt man zunächst ob man die in vier Kapitel unterteilte Kampagne spielen möchte oder ob man ein Freies Spiel bevorzugt. Im Anschluss legt man fest ob man ein “on the fly” Tutorial haben möchte. Danach wählt man ein Porträt, danach einen Namen und im Anschluss das Logo. Ist dies getan, wählt man den Schwierigkeitsgrad, hier hat man die Auswahl zischen, Normal, Fortgeschritten, Experte und Benutzerdefiniert. Einige Optionen im benutzerdefinierten Menü sind, sofern man sich für die Kampagne entschieden hat gesperrt.
Die Charaktererstellung wirkt allerdings etwas gehuddelt bzw. geschludert. Zum einen ist es möglich, dass man das gewählte Porträt bzw. dessen Gegner-KI als eben diesen wählen kann. Zum anderen schlägt der Zufallsnamen-Generator für weibliche Avatare, immer wieder Namen wie Christian Jäger, Felix Mondragon oder auch Schnitzel & Sons vor. Letzteres lässt darauf schließen, dass man eigentlich einen Unternehmensnamen wählt und keinen Personennamen. Im Menü selbst wird es allerdings als Spielername bezeichnet. Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz klar, was ich hier wähle. Sei es wie es sei, das ist beileibe kein Beinbruch, aber es wirkt wie bereits erwähnt unsauber.
Der Titelbildschirm und die Ladebildschirme die an Ölgemälde erinnern finde ich persönlich grandios. Auf dem Titelbildschirm selbst, gibt es bereits jede Menge zu bestaunen, die Frachtpalette die auf und ab gezogen wird, der kleine Schoner im Hintergrund und die aufsteigenden Rauchschwaden, lassen bereits beim Einloggen das Spiel lebendig erscheinen. Beim Laden erhält man außerdem hin und wieder mal Tipps und Tricks.
Der Start – Aufbruch in Neue Abenteuer
Ich kann jedem der Anno zum ersten Mal spielt oder wie ich schon länger keine Titel aus der Anno Serie mehr gespielt hat mit der Kampagne und der Mehr Hilfe Option einzusteigen.
Die Kampagne beginnt damit, dass man versuchen muss ein Ticket in die Alte Welt zu ergattern. Hierbei wird einem erklärt, wie man Schiffe steuert und Treibgut birgt. Sofern man bei der Auswahl gewählt hat, dass man mehr Hilfe möchte. Danach geht es in die Alte Welt zur Familie. Nach einem kurzen Video und einer Animation die das Erste Kapitel einläutet muss man auch schon die erste Insel besiedeln.
Die erste Aufgabe ist es einen Marktplatz zu errichten, zehn Bauernhäuser zu bauen und 50 Bauern zu beherbergen. So lernt man während des Spielens gewisse Grundelemente. Mit fortschreiten der Kampagne werden die Aufgaben selbstverständlich anspruchsvoller bzw. schwieriger zu bewältigen respektive zu erfüllen. Die Positionierung der Erklärungen ist manchmal etwas störend. So kommt es schon mal vor, dass ein Schiff verdeckt wird.
Die Kampagne
Ich möchte nicht zuviel von der Kampagne verraten, daher nur eine kurze Einschätzung nach ca. 55% Fortschritt. Die Kampagne ist insgesamt sehr gut, die Zwischensequenzen sind gelungen und wirken durchaus beeindruckend. Vor allem die “Dronenflüge” über Städte und Schiffe hinweg. Die Aufgaben sind sowohl repetitiv als auch Abwechslungsreich. Die Story selbst ist mir dann aber doch bisher zu vorhersehbar und wirkt arg gekünstelt. Die Charaktereinblendungen bei Dialogen am oberen rechten Bildschirmrand, gefallen mir ehrlich gesagt überhaupt nicht. Die Bewegungen der Charaktere und das gesprochene Wort passen nicht zusammen. Dadurch wirkt der Dialog oft irgendwie Fehl am Platz und asynchron, mutet damit seltsam an.
Die Lernkurve innerhalb der Kampagne ist angemessen und quasi “self-paced”. Wer schnell spielt und die Aufgaben schnell abschließt, bei dem ist die Kurve eher steil. Wer sich Zeit nimmt, das ganze mit Ruhe und Besonnenheit angeht, bei dem ist sie eher flacher. Was mir sehr gefällt und das gilt nicht nur für die Kampagne ist, dass man sich tatsächlich meistens Zeit nehmen kann um seine nächsten Schritte sorgfältig zu planen.
Die meisten (externen bzw. optionalen) Aufgaben habe ein 30 Minuten Zeitlimit, Kampagnenaufgaben meistens gar keines. Immer wieder schön finde ich, die Wimmelbildaufgaben oder auch die Foto-Challenges. Diese bringen durchaus Abwechslung sind für Strategiespiele doch eher selten bzw. ungewöhnlich erfrischend. Erfahreneren Spielern der Reihe sollte sie bereits vertraut sein. Für Serieneinsteiger kann ich mir vorstellen, dass es zunächst etwas befremdlich wirkt, aber überwiegend positiv aufgenommen wird.
Expeditionen – Entscheide schnell
Sobald man beim Kapitän eine Expedition gestartet hat, kommen immer mal wieder Ereignisse bei denen man Entscheidungen treffen muss. Diese können z.B. sein, dass man das Schiff verlässt um in den Urwald zu gehen oder aber man weiterhin versucht dem Fluss zu folgen. Auch dies ist eine nette Abwechslung. Die Entwickler wollten nach eigener Aussage ein “Wähle dein eigenes Abenteuer”-Bücher Erlebnis in die Welt von Anno bringen. Dies haben sie meiner Meinung nach nur mit mäßigem Erfolg geschafft.
Möglicherweise habe ich eine Option die das folgende ermöglicht schlicht übersehen. Aber ich husche immer nur durch die eigentlich toll erzählten respektive geschriebenen Ereignisse, weil im Hintergrund das Spiel weiter läuft. So ist es mir mindestens dreimal passiert, dass eine Insel während eines Ereignisses halb abgefackelt ist oder Teile meiner Schifffslotte versenkt wurden. Wie man dieses eigentlich tollte Feature so implementieren kann ist mir ein absolutes Rätsel. Außerdem sind die Folgen der Entscheidungen nicht immer lesbar.
(Mehr) Zahlen bitte!
Die Produktionsketten sind in Summe einleuchtend und für den Spieler logisch nachvollziehbar. Mir persönlich fehlen gerade in Bezug auf Handelsrouten und Warenketten, dann aber doch Statistiken und Auswertungen bzw. eine zentrale Stelle an der ich diese finden kann, sofern sie denn zur Verfügung stehen. Da bin ich von anderen Spielen dann doch etwas verwöhnt.
Um das perfekte Verhältnis zwischen einzelnen Erzeugnissen zu ermitteln, muss man z.B. jeweils die Betriebe anklicken und prüfen wie lange die einzelnen Produktionsschritte benötigen. Einen Beweis in welchem Verhältnis z.B. Kohle und Eisen zueinander im Hochofen liegen müssen, habe ich bisher immer noch nicht finden können, lediglich Anhaltspunkte. Das Warenlager des Hochofens ermöglicht es 6 Kohle und 8 Eisen zu lagern. Also ein Verhältnis 6 zu 8 bzw. 3 zu 4. Für mich klingt das als bräuchte ich 3 Kohle und 4 Eisen um 1 Stahlbarren zu erzeugen. Hier wird die Berechnung schon ziemlich komplizierter.
Hier ein paar Beispiele:
- Holzfällerhütte 15 Sekunden, Sägewerk 15 Sekunden, Verhältnis 1:1
- Lehmgrube 30 Sekunden, Ziegelei 60 Sekunden, Verhältnis 1:2
- Eisenmine 15 Sekunden, Köhlerei 30 Sekunden, Verhältnis 1:2
Hochofen 30 Sekunden benötigt 3 Kohle und 4 Eisen (90 Sekunden und 60 Sekunden) für den perfekten Warenfluss benötigt man 2 Köhlereien und 3 Eisenminen und zwei Hochöfen. Da im Verhältnis 3:4 gearbeitet wird. Wir stellen in 180 Sekunden 6 Kohle und 8 Eisen her. Macht in Summe alle 30 Sekunden zwei Stahlbarren.
Diese Stahlbarren können dann zu Stahlträgern, Kanonen oder Nähmaschinen verarbeitet werden.
Wie ihr seht, werden die Produktionsketten mit dem Fortschritt des Spiels und Freischaltung der einzelnen Kreisläufe immer komplexer. Außerdem sind die Werte nur Vermutungen. Da nicht ersichtlich ist, wie viele Holzstämme z.B. für ein Brett benötigt werden. Die Gegenüberstellung der Größe der Warenlager und der Produktionszeiten lassen Dinge nur vermuten bzw. erahnen. Für mich ist z.B. auch nicht erkennbar wie sich der Bedarf, der Bürger berechnet. Dies macht eine gezielte Produktion bzw. ein exakten Überhang äußerst schwierig.
Hier hätte ich mir mehr Transparenz und abrufbare Statistiken gewünscht. Dies ist allerdings kein Novum und war bei Anno so, seit ich mich erinnern kann.
Hingeschaut und zugehört
Optisch und akustisch ist Anno 1800 durchaus gelungen. Mit der Ausnahme, dass ich die Synchronisation nicht so gelungen finde. Des Weiteren finde ich es schade, dass man zwar unterschiedliche Einstellungen für Text und Sprache haben kann. Allerdings immer nur die gewählte Sprache oder Englisch. Hier hätte ich mir wie auch schon bei Tropico 6 freie Wahl gewünscht. Auswählbare Sprachen sind Englisch, Deutsch, Französisch, Polnisch, Europäisches Spanisch, Italienisch, Russisch, Japanisch, Vereinfachtes Chinesisch, Traditionelles Chinesisch und Koreanisch.
Die Landschaft ist traumhaft, es gibt viel zu entdecken. Bären, Wölfe, Büffel um nur mal ein paar beheimatete Tiere zu nennen. Ich kann jedem Spieler nur raten, das Spiel zu speichern und auf die niedrigste Geschwindigkeitsstufe zu stellen und im Anschluss mal “STRG+Shift+R” zu drücken. Dies ist ein völlig neues Erlebnis. Allerdings nicht ganz ausgereift. Die Welt ist schon beeindruckend. Im Verlaufe des Spiels können die Städte unglaubliche Ausmaße annehmen. Die Dörfer bzw. Städte wirken zu jederzeit belebt. Und gerade die Wimmelbildmissionen lenken die Aufmerksamkeit immer wieder auf den Trubel.
Die Begleitmusik ist gelungen, allerdings können die situativ eingespielten Hörschnipsel einen durchaus auf dem Wecker gehen, wenn etwa immer noch bedrohliche Musik gespielt wird obwohl das Feuer schon erfolgreich bekämpft wurde.
Fazit
Anno 1800 ist ein grandioses Spiel das durchaus Schwächen offenbart. Um es in den Worten eines gewissen Roman W. aus D. zu sagen: “we have a grandios (Anno-)saison gespielt”. Die fehlenden Statistiken sind meiner Meinung nach allerdings weiterhin ein Manko der Reihe.
Einen politischen Teil gibt es eigentlich nicht, diplomatische Beziehungen zu pflegen ist durchaus anspruchsvoll. Die Warenkreisläufe werden mit fortschreitender Spieldauer bzw. Erfolg beim Städtebau herausfordernder. Die Lernkurve ist sehr angenehm, die Geschwindigkeit mit der man agieren muss ist nahezu freiwählbar, überfordert einen aber zu keiner Zeit. Das Spiel kann dennoch durchaus hektisch werden, wenn eines der Schiffe angegriffen wird und zeitgleich ein Feuer ausbricht und die Einwohner einer weiteren Insel anfangen zu protestieren und einen Aufstand anzetteln. Wenn dann der Kapitän auch noch eine Entscheidung während einer Expedition fordert, die Zeitung veröffentlicht werden will. Dann kann man schon mal den Überblick verlieren und verfällt etwas in Hektik mit leicht panischer Schnappatmung.
Optisch ist der siebente Teil toll gelungen. Die musikalische Untermalung wirkt (zumeist) angemessen und unaufdringlich.
Alles in allem kann man sagen, dass Anno 1800 ein tolles Spiel geworden ist.
PS:
Off the records möchte ich erwähnen, dass ich das Spiel schon (virtuell) in die Ecke pfeffern wollte, da ich beim Spielen mehrfach in den Zeitungs-/Speicherbug gerannt bin. Dies wurde aber in einem der ersten Patches behoben. Von daher ist es eine kleine Delle, die ich allerdings bewusst übersehe und nicht in die Bewertung einfließen lasse.