Sherlock Holmes: Crimes and Punishments

[Review] Sherlock Holmes: Crimes and Punishments

Die ukrainischen Entwickler von Frogwares haben sich seit über einem Jahrzehnt der Aufgabe verschrieben, die Geschichten des weltberühmten Detektivs Sherlock Holmes in interaktive Erlebnisse zu verwandeln. Nach acht vorherigen Spielen der Serie, darunter „The Testament of Sherlock Holmes“ aus dem Jahr 2012, kehren die Entwickler nun mit ihrem bisher ambitioniertesten Projekt zurück. „Sherlock Holmes: Crimes and Punishments“ verspricht nicht nur sechs eigenständige Kriminalfälle zu bieten, sondern erstmals auch die Möglichkeit, als Spieler völlig falsche Schlüsse zu ziehen und unschuldige Personen zu verurteilen. Das Spiel setzt dabei auf die Unreal Engine 3 und will mit verbesserter Grafik, atmosphärischen Schauplätzen und einem innovativen Moral-Choice-System neue Maßstäbe für Adventure-Spiele setzen. Ob Frogwares dieses ehrgeizige Vorhaben gelingt und wie sich das Spiel im Vergleich zu anderen aktuellen Adventures schlägt, klären wir in unserem ausführlichen Test.

Story

Arthur Conan Doyle würde seine helle Freude an diesem interaktiven Sammelband haben. „Crimes and Punishments“ präsentiert sich als Anthologie von sechs völlig eigenständigen Kriminalfällen, die thematisch und stilistisch stark variieren. Da wäre der mysteriöse „Schwarze Peter“ Fall, in dem ein Harpunier in seiner eigenen Hütte ermordet aufgefunden wird. Der komplexe „Riddle on the Rails“ führt uns in einen verschlossenen Zugwaggon, in dem sich ein scheinbar unlösbarer Mord ereignet hat. Jeder Fall bringt seine eigenen Charaktere, Schauplätze und Rätsel mit sich, wodurch das Spiel eine beachtliche Vielfalt bietet.

Besonders hervorzuheben ist die authentische Umsetzung der Holmes’schen Deduktionsmethodik. Watson fungiert nicht nur als treuer Begleiter, sondern auch als Spiegel für die eigenen Überlegungen. Die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten wirken wie direkt aus einer der Originalgeschichten entnommen und transportieren die typische Atmosphäre der viktorianischen Kriminalliteratur. Holmes zeigt sich dabei gewohnt exzentrisch, brillant und gelegentlich auch überheblich, während Watson die Rolle des bodenständigen Mediziners mit der nötigen Portion Bewunderung für die Fähigkeiten seines Freundes ausfüllt.

Das wahre narrative Highlight liegt jedoch im moralischen Dilemma, das jeder Fall mit sich bringt. Nach der Aufklärung der Geschehnisse steht der Spieler vor der Wahl: Soll der Täter der Gerechtigkeit übergeben oder aus Mitleid laufen gelassen werden? Diese Entscheidungen haben keine Auswirkungen auf nachfolgende Fälle, verleihen jedoch jedem einzelnen Kapitel ein emotionales Gewicht, das weit über das reine Rätsellösen hinausgeht.

Grafik

Visuell bewegt sich „Crimes and Punishments“ auf dem Niveau aktueller Adventure-Titel und kann durchaus mit Produktionen wie „The Wolf Among Us“ oder „Murdered: Soul Suspect“ mithalten. Die Unreal Engine 3 zeigt hier ihre Stärken bei der Darstellung atmosphärischer Innenräume und stimmungsvoller Beleuchtung. Baker Street 221B wurde mit bemerkenswerter Liebe zum Detail nachgebildet – von Holmes‘ chaotischen Chemieexperimenten bis hin zu Watsons ordentlich geführten Patientenakten erweckt jeder Gegenstand die berühmte Wohnung zum Leben.

Die Charaktermodelle sind solide umgesetzt, wenngleich sie nicht an die Motion-Capture-Perfektion eines „Beyond: Two Souls“ heranreichen. Holmes und Watson wirken authentisch und charakteristisch, die Nebenfiguren bewegen sich auf einem respektablen Niveau für ein Adventure-Spiel. Besonders gelungen sind die verschiedenen Schauplätze: Von der düsteren Harpunier-Hütte über luxuriöse Herrschaftshäuser bis hin zu einem detailreich gestalteten Bahnhof bietet jeder Fall seine eigene visuelle Identität.

Technische Schwächen zeigen sich gelegentlich in Form von Textur-Pop-ins und leichten Frame-Rate-Einbrüchen in besonders detailreichen Szenen. Diese fallen jedoch selten störend ins Gewicht und schmälern den Gesamteindruck nur minimal. Die Ladezeiten zwischen den verschiedenen Schauplätzen halten sich in akzeptablen Grenzen, könnten aber etwas flüssiger ausfallen.

Sound

Akustisch bewegt sich das Spiel auf hohem Niveau und trägt maßgeblich zur Atmosphäre bei. Die englische Sprachausgabe ist durchweg professionell umgesetzt, wobei Holmes‘ Stimme die richtige Balance zwischen Arroganz und Charisma trifft. Watson klingt vertrauenswürdig und sympathisch, ohne dabei in die Klischee-Falle des trotteligen Assistenten zu tappen. Die deutschen Untertitel sind präzise übersetzt und lassen keine Verständnisprobleme aufkommen.

Der Soundtrack verdient besondere Erwähnung. Komponist Frank Horvat hat es verstanden, jedem Fall eine eigene musikalische Identität zu verleihen, ohne dabei die übergeordnete viktorianische Atmosphäre zu vernachlässigen. Streicherarrangements untermalen nachdenkliche Momente, während dramatischere Passagen mit dezenten Bläsern und Perkussion unterlegt werden. Die Musik drängt sich nie in den Vordergrund, sondern ergänzt das Geschehen auf zurückhaltende, aber wirkungsvolle Weise.

Umgebungsgeräusche tragen zusätzlich zur Immersion bei. Das Knarren alter Dielen, das Ticken von Uhren oder das entfernte Rumpeln von Kutschen auf Kopfsteinpflaster lassen das viktorianische London lebendig werden. Auch die Soundeffekte bei der Untersuchung von Beweisstücken oder beim Lösen von Rätseln sind stimmig umgesetzt und verstärken das Gefühl, tatsächlich als Detektiv zu agieren.

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Gameplay

Das Herzstück von „Crimes and Punishments“ liegt in seinem innovativen Deduktionssystem. Anders als in den meisten Adventure-Spielen führt das Sammeln von Hinweisen nicht automatisch zur richtigen Lösung. Stattdessen müssen die gefundenen Indizien im sogenannten „Mind Palace“ von Holmes miteinander verknüpft werden. Diese Mechanik erfordert logisches Denken und die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Theorien abzuwägen. Das Spiel bietet dabei bewusst mehrere plausible Lösungsansätze an, von denen nur einer der Wahrheit entspricht.

Die Untersuchung der Tatorte gestaltet sich abwechslungsreich und fordernd. Holmes kann nicht nur offensichtliche Hinweise sammeln, sondern auch die anwesenden Personen analysieren. Das Portrait-System ermöglicht es, durch Betrachtung von Kleidung, Haltung und Gesichtsausdruck Rückschlüsse auf den Charakter und die Umstände einer Person zu ziehen. Ein schmuddeliger Ärmel könnte auf handwerkliche Tätigkeit hindeuten, während teure Schuhe auf Wohlstand schließen lassen. Diese Detailarbeit macht jeden Gesprächspartner zu einem kleinen Rätsel für sich.

Die verschiedenen Minispiele lockern das Gameplay gelungen auf, ohne zu dominant zu werden. Das Schloss-Öffnen mit Dietrichen, chemische Experimente im Labor von Holmes oder die Rekonstruktion von Tatverläufen bieten willkommene Abwechslung zum reinen Dialog-Adventure. Besonders die Experimente fühlen sich authentisch an und vermitteln das Gefühl, tatsächlich wissenschaftliche Methoden zur Verbrechensaufklärung zu nutzen.

Ein Kritikpunkt liegt in der gelegentlich zu linearen Struktur einzelner Fälle. Während die Deduktion am Ende jedes Falls echte Wahlfreiheit bietet, sind die Ermittlungen selbst oft vorbestimmt. Bestimmte Hinweise können nur in einer festgelegten Reihenfolge gefunden werden, was das Gefühl spontaner Ermittlungsarbeit gelegentlich trübt. Zudem hätte eine dynamischere Kamera bei der Untersuchung von Gegenständen das Gameplay noch flüssiger gestalten können.

Die Steuerung funktioniert sowohl mit Gamepad als auch mit Maus und Tastatur zufriedenstellend. Point-and-Click-Puristen werden sich mit der traditionellen Maussteuerung wohler fühlen, während Controller-Nutzer eine durchaus brauchbare Alternative vorfinden. Die Menüführung ist intuitiv gestaltet und ermöglicht einen schnellen Zugriff auf das Notizbuch, die Hinweise und das Deduktionssystem.

Fazit

Mit „Sherlock Holmes: Crimes and Punishments“ ist Frogwares ein beeindruckender Spagat zwischen Authentizität und Innovation gelungen. Das Spiel bietet nicht nur sechs spannende Kriminalfälle, sondern auch ein Deduktionssystem, das tatsächlich logisches Denken erfordert. Die Möglichkeit, falsche Schlüsse zu ziehen und unschuldige Personen zu verurteilen, verleiht jedem Fall ein emotionales Gewicht, das weit über das hinausgeht, was man von typischen Adventure-Spielen gewohnt ist.

Die technische Umsetzung bewegt sich auf solidem Niveau, ohne dabei neue Maßstäbe zu setzen. Visuell und akustisch bietet das Spiel eine stimmige Reise ins viktorianische England, die Fans der literarischen Vorlage ebenso ansprechen dürfte wie Adventure-Enthusiasten. Die sechs Fälle bieten ausreichend Abwechslung und Spielzeit für etwa 12-15 Stunden Unterhaltung.

Kritisch anzumerken bleibt die gelegentlich zu lineare Struktur der Ermittlungen und kleinere technische Schwächen. Dennoch handelt es sich um das bisher beste Sherlock Holmes-Spiel aus dem Hause Frogwares und eine klare Empfehlung für alle Fans von Kriminalgeschichten und anspruchsvollen Adventures. Wer schon immer einmal in die Fußstapfen des berühmtesten Detektivs der Literaturgeschichte treten wollte, findet hier die bisher authentischste Möglichkeit dazu.

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